http://www.Martin-Loewenstein.de

Über das Lächeln
Theologische Spekulationen über das Lächeln Christi

IHS - Jesuiten
Glaubens-ver-suche in der Pfarrei St. Michael Göttingen, 7. September 2000

Hat unser Heiland, als er auf Erden wandelte gelächelt? Die Heilige Schrift schweigt sich darüber wenig sagend aus. Der Grund für dieses Schweigen könnte gleichermaßen sein, dass das Lächeln des Heilands den Evangelisten eine Selbstverständlichkeit war, derer man keine Erwähnung tun muss - oder aber, dass ein lächelnder Christus eine so undenkbare Banalität wäre, dass den Verfassern der Heiligen Berichte ein Hinweis auf das Fehlen des Lächelns vollkommen überflüssig vorgekommen wäre. In der Tat wäre die Banalität auf dem Antlitz Christi mancher Wohnstubendarstellungen aus dem 19. Jahrhundert ein emotionales Argument, dass so zumindest Christus nie und nimmer gelächelt habe. Aber, wie gesagt, aus den Schriften wissen wir es nicht.

Erstaunlicher schon als das Schweigen der Evangelien zu unserer Frage ist der Umstand, dass sie auch im Disput zwischen William von Baskerville und Jorge von Burgos meines Wissens nicht berührt wird. Die beiden sind als Romanfiguren aus Umberto Ecos "Der Name der Rose" einem breiteren Publikum wohl bekannt. Der Roman ist natürlich fiktiv, frei erfunden. Keineswegs frei erfunden sind hingegen zahllose in den Roman eingestreute Zitate bedeutender Theologen aus tausend Jahren Theologiegeschichte und der Streit, um den es in diesem Roman geht, ist im Hochmittelalter ebenso real gewesen. Wie wohl erinnerlich, entpuppt sich als Kern des zu lösenden Kriminalrätsels ein Buch des Philosophen Aristoteles. Ob selbiges je existiert hat ist in der Wissenschaft umstritten. Auf jeden Fall ist kein Exemplar auf uns gekommen. Dieses Buch wäre die zweite Poetik gewesen, nach der ersten, die über die Tragödie handelt, ein Buch über die Komödie. Im Roman von Umberto Eco nun wird gefabelt, dieses Buch sei in der Bibliothek des Klosters vorhanden und werde dort vom greisen Mönch Jorge versteckt. Dieser, bis in die Knochen Bibliothekar der er ist, bringt es zwar nicht über sich, das Buch zu vernichten. Er hält den Inhalt aber so gefährlich, dass er verhindern möchte, dass es jemand zu Gesicht bekommt. Dafür begeht er sogar Morde, die aufzuklären William von Baskerville ins Kloster gekommen ist. Den Grund, aus dem der blinde Jorge das Buch für so gefährlich ist, enthüllt dieser im Disput mit dem Gast: Der Philosoph spricht wohlwollend über das Lachen. Wenn nun mit der Autorität eines Aristoteles das Lachen geadelt würde - dies sei doch das Ende aller gottesfürchtigen Ordnung.

"Gewiss ist das Lachen dem Menschen eigentümlich, es ist das Zeichen unserer Beschränktheit als Sünder. Aus diesem Buch aber könnten verderbte Köpfe wie deiner den äußersten Schluss ziehen, dass im Lachen die höchste Vollendung des Menschen liege! Das Lachen vertreibt dem Bauern für ein paar Momente die Angst. Doch das Gesetz verschafft sich Geltung mit Hilfe der Angst, deren wahrer Name Gottesfurcht ist. Und aus diesem Buch könnte leicht der luziferische Funke aufspringen, der die ganze Welt in einen neuen Brand stecken würde, und dann würde das Lachen zu einer neuen Kunst, die selbst dem Prometheus noch unbekannt war: Zur Kunst der Vernichtung von Angst!" (604)

An anderer Stelle wird das Argument noch mehr ins Moralische gewendet. Dort heißt es:

"Die Seele ist heiter nur, wenn sie die Wahrheit schaut und sich am vollendeten Schönen ergötzt, und über die Wahrheit und Schönheit lacht man nicht. Eben darum hat Christus niemals gelacht. Das Lachen schürt nur den Zweifel." (169)

In der Tat ist in den gelehrten Disputen des hohen Mittelalters die Frage erwogen worden, ob es wohl denkbar sei, dass unser Herr und Erlöser, als er auf Erden wandelte, gelacht habe. Dass Eco seine Roman-Figuren diese Diskussion aber hauptsächlich um den Aspekt führen lässt, ob Lachen die Autorität und Gottesfurcht erschüttere, ist deutlich auf die Erwartungen seines zeitgenössischen Publikums zurückzuführen- und die Notwendigkeiten der Dramaturgie eines Krimalromans. Im Mittelalter hat die Gelehrten ein ganz andere Aspekt beschäftigt. Und dieser andere Gesichtspunkt lohnt es, bedacht zu werden.

Der greise Jorge bringt zwei der Argumente im Streit darum, ob es denkbar wäre, dass der Erlöser gelacht hat. Das erste Argument geht darum, ob das Lachen die Menschheit Christi mindere oder nicht. Wir sind geneigt, diese Frage ganz spontan zu beantworten und ohne weiteres Nachdenken auch nur der Erwägung wert zu achten. Natürlich! Lachen ist doch etwas Schönes - warum soll dann Christus nicht gelacht haben! Solch ein Einwand zeigt aber nur, wie sehr wir die Kunst verlernt haben, grübelnd solche Fragen aufzuwerfen, sie wieder und wieder und von allen Seiten zu beleuchten, um zu sehen, ob an der Lösung solch einer Frage nicht Erkenntnis zu gewinnen sei. Hören wir also den greisen Jorge:

"Das Lachen dagegen schüttelt den Körper, entstellt die Gesichtszüge und macht die Menschen den Affen gleich." (168)

Auf dieses Argument erwidert William von Baskerville, dass Affen eben gerade nicht lachen. - Leider lässt der Roman dieses Argument gelten. Es ist jedoch schief. Denn Jorge hatte nicht behauptet, dass das Lachen an sich den Mensch dem Affen gleich mache, sondern dass das Lachen eine Entstellung der Gesichtszüge bewirke und eben dies die Menschen den Affen gleich mache. Ob Affen lachen und wie sich der Gesichtszug dieses oder jenes Menschen in jedweder Gemütsverfassung zum Antlitz eines Affen verhält, können wir getrost dahin gestellt sein lassen. Denn der Einwand geht tiefer. Er setzt nämlich voraus, dass der entspannte Gesichtszug des Menschen diesen in seiner Würde darstelle. Also: Was den Mensch zum Menschen macht, seine Geistigkeit - so müsste das Argument lauten - drückt sich im entspannten Ebenmaß seiner Gesichtszüge aus. Eben diese verzerrt das Lachen ins Grimassenhafte.
Das Bedenken gegenüber dem Lachen kann sogleich noch weiter vorangetrieben werden: Da es zweifellos zum Menschlichen des Menschen gehört, dass der Mensch in Harmonie von Leib und Geist lebt, dass also der Leib sich nicht vom Geist löst, der Leib nicht, die wohlwollende Führung des Geistes ignorierend, ein ungezügeltes Eigenleben führt - da also derart Geist und Leib zueinander stehen, so könne doch nicht ein Zustand gelobt werden, der ganz offensichtlich darin besteht, dass der Leib ganz unerklärlich durcheinandergeschüttelt wird und dem Geist - zumindest vorübergehend - jedweder Zugriff auf den Leib verwehrt wird.
Wir erkennen die Weisheit der mittelalterlichen Gelehrten, die diese Frage nicht vordergründig-emotional sondern in tiefem Bedenken beantworten wollten. Denn in der Diskussion darum, ob Christus gelacht habe oder nicht, steht nicht weniger zur Debatte als die Frage in welcher Form Gottes Wort Mensch geworden sei: In uneingeschränkter Würde des Menschen, in vollkommener Harmonie und makelloser Einheit von Geist und Leib - oder mit jenen Ausfallserscheinungen, die uns in unserer menschlichen Existenz so vertraut sind.

Zumindest von der "Ausfallserscheinung" Sünde bekennen wir, das Christus diese nun gar nicht zu eigen gewesen wäre. Entsprechend beten wir im Vierten Hochgebet "Er hat wie wir als Mensch gelebt, in allem uns gleich außer der Sünde." Nun soll in keiner Weise gesagt sein, dass das LachenSünde ist. Es gibt aber eine Gemeinsamkeit und diese besteht in der gestörten Harmonie. Was ist die Sünde anderes, als dass wir das Gute kennen, es aber nicht tun? Sünde ist ein partieller Verlust unserer selbst. Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief : "Daher soll die Sünde euren sterblichen Leib nicht mehr beherrschen, und seinen Begierden sollt ihr nicht gehorchen" (6,12). Der Mensch, wie er von Gott geschaffen ist, soll ganz uneingeschränkt über sich selbst herrschen. Der große Augustinus hat daher folgerichtig spekuliert, dass der Adam vor dem Sündenfall in allem die Kontrolle über seinen Leib gehabt habe. Als Beispiele, die uns eine Erinnerung an die völlige Beherrschung des Leibes bewahrt hätten, bringt Augustinus die Beobachtung, dass es Menschen gäbe, die ganz gezielt mit den Ohren wackeln können oder ihre Darmwinde kontrolliert ablassen. Ja, der Heilige ist Mann genug, um auch andere Körperteile, die sich nach dem Sündenfall der Steuerung der höheren Seelenkräfte entziehen, in seine Erwägung einzubeziehen (de citivtate Dei, ##,##).

Um also auf das Lachen zurückzukommen kann aus dem Gesagten die Frage genauer formuliert werden: Wenn durch körperliche Einwirkungen (Kitzeln) oder durch Anregungen des Geistes (erheiternde Rede) der Mensch in einen Zustand kommt, in dem er ganz und gar nicht mehr Herr ist über seinen Leib, dieser vielmehr ein Eigenleben führt, welches manches Mal nur durch Erschöpfung zu einem Ende kommt, wenn also derart der Mensch in einen Geist, der vielleicht ganz anderes will, und einen Leib zerfällt, der dem Geist die Kontrolle zumindest der Zunge verwehrt - wenn dies eintritt, sollte dies nicht zu Recht als eine Minderung des Menschen betrachtet werden und daher mit einigem Recht von Christus gesagt werden dürfen, dass dem Heiland dererlei niemals widerfahren sei?

Und schließlich noch ein zweiter Gedanke über das Lachen. Ganz unabhängig nämlich davon, ob Christus gelacht hat oder nicht, dürfte ganz außer Frage stehen, dass die Engel nicht im Mindesten in der Lage sind zu lachen. Ich sage nicht, dass die Engel keinen Humor hätten. Zum Lachen sind sie jedoch schlechterdings außer Stande. Denn ihnen fehlt eine entscheidende Voraussetzung dafür: Der Leib. Dies aber wollen wir als wichtigstes Ergebnis unserer bisherigen Untersuchung festhalten, dass das Lachen eine Situation darstellt, in der die Person des Lachenden zumindest partiell die Kontrolle über ihren Körper verliert, Körper und Geist gleichsam auseinander driften und nur höchste Willensanstrengung - und selbst diese nicht immer - den Körper wieder zur Räson zu bringen vermag. Dem widerspricht auch gar nicht, dass der Geist sich am Lachen des Körpers freuen mag und nicht den geringsten Anlass hat, diesem merkwürdigen Verhalten ein Ende zu setzen. Das widerspricht der These deswegen nicht, weil der eigene Wille allein umgekehrt nicht dazu ausreicht, ein Lachen hervorzubringen, bestenfalls ein mehr oder weniger gelungenes Imitat desselben (wenn man Stan Laurel und Oliver Hardy in "Fra Diabolo" einmal als Sonderproblem beiseite lassen will).

Was aber bringt dann das Lachen hervor? Mit dieser Frage wagen wir uns auf ein umfänglich beackertes Feld und ich will keinesfalls die Diskussion darüber eröffnen, was nun das Wesen des Witzes sei. Ich will vielmehr, um die Sache nicht zu komplizieren, Lachen als Katastrophenreaktion definieren. Diese Definition würde es mit dem Weinen gemeinsam haben. Lachen ist die Reaktion des Menschen auf die Katastrophe, dass die wohlgefügte Ordnung seiner Welt an einem Punkt in Chaos umschlägt. Der Witz profitiert davon, indem er gezielt eine unerwartete Pointe an das Ende einer harmlosen Begebenheit setzt, also eine Ordnung aufbaut, um sie dann punktgenau zu durchbrechen. Die Definition deckt auch das sonst unerklärliche Lachen mit ab, das ausbricht, wenn im Kino den Zuschauer der plötzliche Horror überfällt.

Weit davon entfernt Zeichen gelöster Heiterkeit zu sein gehört nämlich das Lachen zu den oft zu beobachtenden kollektiven Reaktionen auf eine Horrorszene. Natürlich lässt sich Lachen unter Umständen auch rein körperlich durch Kitzeln hervorrufen. Dieses Lachen scheint man auch bei manchen Tieren nachweisen zu können. Ich will das Kitzeln aber als Sonderform aus dem Bereich des hier Definierten bannen.

Lachen als Katastrophenreaktion verweist uns auf das Wesen des Menschen. Der Mensch "ist" nämlich nie nur, wie etwa ein Stein "ist". Der Mensch verhält sich aktiv-gestaltend zu seiner Um- und Mitwelt, die für ihn der Zugang zum Gesamt der Welt ist. Der Mensch findet sich und bestimmt sich im Gegenüber zu anderen und sogar zu sich selbst. Dieses, dass der Mensch sich selbst zum Gegenstand hat, ist das ihm oder ihr Eigentümlichste. Der Mensch ist nicht einfach sein Körper mit einer Prise Geist als Zutat, der Mensch hat seinen Körper und muss ein Leben lang um dieses Verhältnis ringen. Denn die Ordnung, in der wir zueinander, zu den Dingen und zu uns selbst sind, liegt nicht in unseren Instinkten fest, sondern muss immerfort neu gewonnen werden. Anders gesagt besteht unser Leben darin, ständig eine Ordnung um uns herum zu gewinnen, die uns das Zueinander von uns und anderem bestimmt. Wenn eine solche, vielleicht mühsam errungene Ordnung zerbricht, fallen wir in Lachen oder Weinen (oder, was auf ein wiederum neues Feld führt: Wut).

Ohne solche Ordnung seiner Um- und Mitwelt kann der Mensch schlechterdings nicht leben. Er ist dabei nicht allein. Da er das Schicksal mit allen Menschen teilt, ist er darauf angewiesen, im Zusammenhang der Gesellschaft diese Ordnung zu bestimmen. Uns wird das vielleicht erst bewusst, wenn uns die gesellschaftliche Konvention zur einzwängenden Last wird. Aber ohne dass wir viel darüber nachdenken, sind all die gesellschaftlichen Formen für uns unumgängliche Stütze in der Lebensorientierung. Eine funktionierende Gesellschaft errichtet daher Schranken dafür, welches Verhalten "in Gesellschaft" erlaubt ist. Zwar ist es heute ein Leichtes, solche Schranken zu kippen (Sie zu überspringen bedeutet sie zu kippen!). Die Erfahrung der Unbehaustheit im Schrankenlosen ist aber dafür der Preis, weil die Gesellschaft den Abweichler notfalls ausgrenzen muss, um sich zu schützen. Wie immer geht es dabei um das rechte Maß, da manche Schranke ungerechtfertigt oder überholt ist. Die Notwendigkeit einer Ordnung der Welt wird dadurch aber eher bestätigt als widerlegt. Der greise Jorge aus dem Namen der Rose hat nur bedingt recht, wenn er meint, das Lachen zerstöre die Ordnung. Das Lachen ist vielmehr Reaktion auf die Zerstörung. Allenfalls verbietet es die gesellschaftliche Konvention in bestimmten Situationen zu lachen, um den Schaden dadurch zu begrenzen, dass er nicht angezeigt wird.

Zu seinem Recht kommt Jorge dort, wo das Lachen revolutionär wird: im Rheinland. Der Karneval ist die bewährte Methode, dem Lachen Raum zu geben, an den Fundamenten der gesellschaftlichen Ordnung zu rütteln, um zu sehen, welche Frucht als reif herunterfällt. So mancher Schein wurde durch die Büttenrede bereits entlarvt. Weswegen der Karneval ja auch eine hochernste Sache ist.

Es wird wohl eine diesseits der Ewigkeit unentscheidbare Frage bleiben, ob unser Herr Jesus gelacht hat oder nicht. Aber immerhin haben wir gesehen, dass das Lachen in zweierlei Hinsicht mit der Sünde zu tun hat - auch wenn es fern davon ist, selbst Sünde zu sein. Zunächst haben wir gesehen, dass das Lachen ein Mangel an Integration von Geist und Leib darstellt, da der Geist das Lachen weder nach Belieben hervorzubringen noch abzustellen vermag. Im Lachen zerfällt der Mensch zeitweilig. Weiters aber haben wir gesehen, dass das Lachen seine Ursache in der Katastrophe hat, dass die Welt nicht in Ordnung ist. Wo die Urmacht des Chaos über uns hereinbricht, lachen oder weinen wir - oder gar beides zusammen. (Oder, wie gesagt, wir verfallen in rasende Wut, was nun der Sünde schon viel näher kommt!). Wir wissen nicht, ob Jesus gelacht hat.

Zwei Mal allerdings wird in der Heiligen Schrift berichtet, dass Jesus geweint habe: Beim Anblick Jerusalems, wissend darum, dass diese prächtige Stadt im Kern schon zerstört ist. Lukas berichtet darüber (19,41f)

Als er näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie und sagte: Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt. Jetzt aber bleibt es vor deinen Augen verborgen.

Hier könnte es sich um ein Weinen handeln, das dem unseren nur verwandt, nicht aber gleich ist, da es ein Weinen ist, das aus höherem, göttlichen Wissen um die Zukunft der Stadt gespeist wird: Die kommende Katastrophe. Stärker noch und anrührender ist das zweite Weinen Jesu, das uns überliefert ist - in Betanien am Grab des Lazarus. Hier wird sogar ausdrücklich vermerkt, dass Jesus in seinem Innersten aufgewühlt war. Zumindest vom Weinen her können wir also sagen, dass der menschgewordene Gott an der Gespaltenheit der Welt, an jener Folge der Sünde Adams leidend Teil hatte. Gott lässt also das uns umgebende Chaos an sich heran, lässt sich von ihm anrühren - und weint. Um der Menschen willen und zu unserem Heil gibt der Erlöser den Tränen Lauf und erlaubt jenes Auseinandertreten von Person und Körper, das das Weinen begleitet. Ob er auch lachte? Der Unterschied in den beiden Katastrophenreaktionen Weinen und Lachen ist ja der, dass das Weinen die Unordnung an sich heran lässt, während das Lachen im Kern vielleicht ein Schutzmechanismus ist, das Chaos außen vor zu halten und es nicht nach der Seele greifen zu lassen. Dies gelingt nicht immer, wie jenes Lachen belegt, das nahtlos in Weinen übergeht. Ich halte es daher für unzulässig, vom Weinen Jesu auf sein Lachen zu schließen. Nur seine Milde dürfte ein gewichtiges Argument darstellen, denn schließlich würden wir Menschen daran zerbrechen, wenn die Ungereimtheiten unserer Welt allezeit ungeschützt über uns hereinbrechen und wir die Dämonen, die uns bedrängen, nicht auch mal auslachen dürften.

*****

Wie verhält es sich nun mit dem Lächeln? Wer auf ein schnelles Ende der Überlegung hofft, wird sich enttäuscht sehen. Zwar legt die deutsche Sprache es nahe, das Lächeln als ein kleines Lachen zu betrachten, als Diminutiv, wie das Mädchen eine kleine Maid ist. Das Lächeln ist vom Lachen aber sehr verschieden, weswegen in anderen Sprachen auch ganz verschiedene Wörter dafür gebraucht werden: to smile und to laugh! Das Lachen kann zwar an seinen Rändern vom Lächeln begleitet werden. Ein zunächst freundlich-zartes Lächeln kann in ein herzhaftes Lachen übergehen und das Lachen kann schließlich in Lächeln münden. Genauso gut kann es aber auch in Erschöpfung versinken und wer begeistert einen Witz erzählt und dann statt dem angestrebten Lachen nur ein Lächeln auf dem Gesicht seines Gegenübers findet, wird heftig zweifeln, ob dieses Lächeln nun freundlich oder spöttisch sei. Nur in einer Hinsicht scheinen mir Lachen und Lächeln austauschbar zu sein: Dort wo sie gesellschaftlicher Konvention entsprechen. Während es in der einen Kultur zum guten Ton gehört, zur Begrüßung zu lächeln, wird ein yankee, der etwas auf sich hält, jedermann mit burschikosem Lachen begrüßen. Dieses Lachen ist aber gerade nicht die gesellschaftssprengende Katastrophenreaktion, sondern im Gegenteil eine kontrollierte Geste, ein Ausdruck.

Weil ich darin das Wesen des Lächelns angedeutet sehe, habe ich den langen Umweg über das Lachen unternommen. Denn das Lächeln ist gerade Ausdruck typisch menschlicher Bezogenheit von Geist und Leib. Von jemandem, der aus Jahrzehnten des Aufenthalts in Japan eine gewisse Kenntnis der dortigen Sitten erlangt hat, wurde mir erklärt, dass das Lächeln eines Japaners in der Regel nichts anderes bedeutet, als dass er am Rande des Verlustes der Selbstbeherrschung steht. Am Rande! Das Lächeln, hier ganz und gar nicht Ausdrückt gelöster Entspanntheit, stünde dem Japaner zu Gebote, dem es gelingt, seiner Wut oder seiner Verzweiflung die Fesseln der Disziplin anzulegen. Ob ihm und der japanischen Gesellschaft dies gut tut oder mit der hohen Selbstmordrate zusammen hängt, vermag ich nicht zu beurteilen.

Es bestätigt sich aber in jedem Fall die Vermutung, dass der Menschen mit dem Lächeln über eine Ausdrucksform verfügt, die in sich so offen ist, dass sie in vielerlei Situationen verwandt werden kann.

"Die Klugheit lächelt und die Dummheit, der Stolz und die Bescheidenheit, die Überlegenheit und die Verlegenheit. Wir kennen das freundliche, das abweisende und das zurückhaltende, das spottende und das mitleidige, das verzeihende und das verachtende Lächeln. Es kann Überraschung, Einsicht und Wiedererkennen, Unverständnis und Einverständnis, sinnliches Behagen, Zufriedenheit, aber auch Leid und Bitterkeit ausdrücken. Sieg und Niederlage empfangen gleichermaßen sein Siegel. "(Plessner 1970, 175)

Immer aber eignet dem Lächeln diese Distanz, die ausdrückt, dass jemand seinem Körper und seinen Gefühlen nicht ausgeliefert ist, sondern sich, wie man sagt, in der Hand hat. Wer zählt die Kriege, die vermieden werden konnten, weil die Verhandlungsführer statt ihrer Wut freien Lauf zu lassen, sich zu einem Lächeln durchringen konnten. Aber auch auf der positiven Seite wage ich zu behaupten, dass ein stilles Lächeln unendlich viel mehr Wohlbefinden und Frieden auszudrücken vermag als jedes hemmungslose Lachen!

Erinnern wir uns an die Beobachtung, dass der Mensch nicht einfachhin in der Welt "ist", sondern immerfort sein Verhältnis zu sich und der Mitwelt herstellen muss. Es gehört daher zur Natur des Menschen, dass er nicht nur im landläufigen Sinne "natürlich" und spontan ist, sondern sein Verhältnis zu anderen, anderem und sich selbst gestaltet. Spontaneität im Sinne unkontrollierter Gemütsäußerungen sind fern davon, ein Ideal zu sein. Nur wer einsam auf einer Insel haust, kann sich gehen lassen. Der Mensch als soziales Wesen hingegen muss Distanz zu sich selbst gewinnen, um sich und die Ordnung der Welt zu schützen. Es ist die Natur des Menschen, sich selbst von außen sehen zu können und so Distanz zu sich selbst zu wahren. Dies ist Bedingung des Friedens. Wer daher zu lächeln vermag, kann Frieden schaffen.

Es gereicht dem Lächeln also nicht zum Vorwurf, dass es eine bewusste und kontrollierte Reaktion ist. Das Wundersame ist nämlich, dass mit dem Lächeln der Mensch über einen Ausdruck verfügt, der zugleich künstlich ist und zugleich ganz ursprünglich zu sein scheint. Die Verhaltensforschung findet das Lächeln nämlich ebenso auf dem Gesicht eines Neugeborenen wieder, wie das Antlitz eines Toten - "wie natürlich" - in ein Lächeln übergehen kann. Diese Ursprünglichkeit des Lächelns ist für mich der beste Einwand gegen die Hypothese von Konrad Lorenz, das Lächeln sei zunächst eine Drohgebärde gewesen. Lächeln ist vielmehr ein entspannter Ausdruck des menschlichen Gesichtes, offensichtlich ganz mühelos auf dieses zu zaubern. Aber der Mensch ist eben nicht einfachhin "Natur". Er ist das Wesen, dem die Künstlichkeit seine Natur ist. Die Welt wie auch er selbst ist dem Menschen nicht gegeben, sondern aufgegeben. Gerade im Ausdruck des Lächelns ist "die Grenze zwischen natürlicher Gebärde und andeutender Geste fließend. Natur wird - Kunst. Die spontane Symbolik des Leibes wird zur Allegorie" (Plessner 1970, 180).

Wiederum stoßen wir beim Lächeln auf etwas, das wir den Engeln nicht oder nur in sehr bestimmter Weise zuschreiben können. Denn das Lächeln als mimischer Ausdruck setzt die Unterschiedenheit von Person und Körper voraus. Der Mensch hat einen Körper und bedient sich des Körpers zum Ausdruck. Er ist nicht mit ihm identisch. Die natürliche Gebärde des Lächelns wird von ihm benutzt, um etwas auszudrücken. Dies ist kein Missbrauch des Lächelns sondern entspricht ganz der Natur des Menschen, ein Wesen zu sein, das der Kunst fähig ist. Die Engel aber haben keine "Kunst", sie sind, was sie sind, und ihr ganzes Wesen drückt aus, was sie sind. Es ist die Natur der Engel, ganz von Gott erfüllt zu sein. Daher stehen sie immerfort um Gottes Thron und singen sein Lob.

Über das hinaus, was sie sind, können die Engel nicht noch etwas ausdrücken. Sie sind dazu genauso wenig in der Lage wie zur Ekstase, in der der Mensch "außer sich" gerät, oder zur Katastrophenreaktion des Lachens, in der der Mensch aus sich heraus fällt. So können Engel auch nicht wie der Mensch aus der Unterschiedenheit von Person und Körper etwas zum Ausdruck bringen. Lächeln als Ausdruck ist außerhalb der Möglichkeit eines Engels. Es ist aber durchaus angemessen, das Bild des ursprünglichen Lächelns zu gebrauchen, um das Wesen des Engels zu beschreiben. Das Lob Gottes ist ihm so ursprünglich zu eigen, dass das ursprüngliche Lächeln des Säuglings die rechte Vorstellung davon gibt.

Der Vergleich mit den Engeln kommt nicht von ungefähr. Er gibt uns Auskunft über die Liturgie der Kirche. In der Eröffnung des Hochgebetes betet der Priester die Präfation und stimmt die Gemeinde ein in das Sanctus. Dieses aber ist nichts anderes als der Lobgesang des Engels (Offb 4,8), weswegen das Sanctus eingeleitet wird mit : "Wir stimmen ein in den Lobgesang der Engel, die ohne Ende rufen." In der Eucharistie verbindet sich die Versammlung der irdischen Kirche, die das Wort Gottes hört und den Leib des Herrn empfängt, mit der himmlischen Liturgie der Engel. Das ursprüngliche Lächeln der Engel im Lob Gottes ist das Ziel, das der pilgernden Kirche vor Augen steht. Aber eben weil es die pilgernde Kirche ist, in der Welt der Menschen, muss die Liturgie, um nicht abgehoben zu sein, mit dem Wesen des Menschen harmonieren. Wir können nicht anstreben in der Liturgie in dem Sinne "ganz natürlich" zu sein, dass wir meinen auf die Künstlichkeit des Ausdrucks verzichten zu können. Gerade weil die Kunst dem Menschen Natur ist, muss die Liturgie Kunst sein. In der Welt des Menschen und aus ihr heraus singen wir so das Lob Gottes - und erhalten gerade darin den Vorgeschmack der himmlischen Herrlichkeit.

Dies, pünktlich und genau, ist die Antwort auf die Frage, ob der Erlöser der Welt, als er auf Erden wandelte, gelächelt habe. Denn mit der Menschwerdung Gottes bricht die Welt auf in die Vollendung des Himmels. Die Menschwerdung ist der Beginn dieses Weges. Der Weg ist erschlossen und die Kirche ist berufen, ihn zu gehen. Der Sohn der Maria aber ist wahrer Mensch, in allem uns gleich außer der Sünde. Es gehört aber zu dem von der Sünde ganz und gar unbefleckten Wesen des Menschen, dass ihm die Schöpfung und somit auch der eigene Körper Ausdruck des Lobes Gottes wird. Indem Christus sich der Geste des Lächelns bediente war er ganz Mensch und hat uns doch verkündet, wozu wir berufen sind.

Literaturhinweise

Eco, Umberto: Der Name der Rose. München, Wien (Carl Hanser) 1982.

Plessner, Helmuth: Die Frage nach der Conditio humana. Aufsätze zur philosophischen Anthropologie. Frankfurt/Main (Suhrkamp) 1976.

Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie. conditio humana. Frankfurt/Main (S. Fischer) 1970 (in: ders.: Gesammelte Schriften ##. Schriften zur Soziologie und Sozialphilosophie. Frankfurt/Main (Suhrkamp) 1985, S. ##-##).

Peterson, Erik: Das Buch von den Engeln. München (Kösel) 1955. 2 Auflage (In: ders.: Theologische Traktate. Ausgewählte Schriften Band 1. Mit einer Einleitung von Barbara Nichtweiß unter Mitarbeit von Ferdinand Hahn. Würzburg (Echter) 1994, S. 195-243).

Veröffentlicht nur im Internet vorbehaltlich einer Überarbeitung
Anregungen und Kritik bitte an Martin.Loewenstein@Jesuiten.org