Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

26 Thesen zum Ablass im Jubiläumsjahr 2000

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6. März 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Vorbemerkung: Wie viele andere meiner Generation hat mich das Thema Ablass im Zusammenhang mit dem Jubiläumsjahr erstmals beschäftigt, weil ich zuvor nie darauf angesprochen wurde und selbst nur sehr Rudimentär-Allgemeinbildendes dazu wusste. Auch jetzt schätze ich die Freiheit, die schon Papst Paul VI in Bezug auf Praktizieren oder Nicht-Praktizieren des Ablasses gelegt hat, indem er seine Konstitution als Einladung verstanden wissen wollte.
Der Ablass ist aber Bestandteil der Lehre der Kirche. Daher möchte ich als Priester eine gute Erklärung geben können, was das sei. Hinzu kommt, dass ich bei bestimmten innerkirchlichen Gruppen viel zum Thema Ablass gefunden habe, was mir in eine falsche Richtung zu gehen scheint. Wie auch bei anderen Themen weigere ich mich, diese Fragen denen zu überlassen, die sich selbst als "katholischer" oder "konservativ" einschätzen. Solche Leute übersehen bei diesem Thema wie bei anderen, dass durch das II. Vatikanische Konzil und durch Papst Johannes Paul II. erhebliche neue Akzente gesetzt wurden. Hier lege ich also den Versuch vor, diese Lehre der Kirche ernst zu nehmen.

Auf dieser Seite wird zunächst in 26 Thesen der Ablass in seiner traditionellen Form dargestellt, aber im Zusammenhang mit dem Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche zum Jubiläumsjahr 2000 und der damit verbundenen Erneuerung der Ablasstheologie. Anschließend wird versucht, das in einem leicht verständlichen Bild zu vermitteln. Abschließend wird der Versuch zur Diskussion gestellt, diese neue Ablass-Theologie so zu formulieren, dass diese in ihrer Begrifflichkeit aus sich heraus verständlich ist.

Eine katholische Vorbemerkung: Für den Ablass gilt ein Prinzip, das für vieles aus dem geistlichen Reichtum der Kirche gilt: Man kann, man muss nicht. Umgekehrt folgt aber daraus, dass man mit Respekt davon sprechen soll. - Im Nachfolgenden wird häufig und zwanglos der Begriff "Sünde" verwendet. Was konkret Sünde sei muss natürlich an anderem Ort diskutiert werden. Ich weiß aber, dass viele ältere Katholiken durch die Weise, wie früher häufig über "Sünde" gesprochen wurde, seelisch tief verletzt wurden. Mir und weitestgehend meiner Generation ist diese Erfahrung erspart geblieben. Uns ist es eher umgekehrt ergangen, dass man sich nicht getraute, darüber zu reden. Ich bitte diesen biographischen Hintergrund in Rechnung zu stellen.
ökumenische Vorbemerkung: Meine Erfahrung ist, dass Christen andere Konfessionen dann mit Interesse und Verständnis mir in der Ökumene begegnen, wenn sie die Grundlagen ihrer eigenen Konfession achten und pflegen. Minimalismus ist uninteressant.

26 Thesen zum Ablass in der Katholischen Kirche im Jubiläumsjahr 2000

Schuldbekenntnis und Ablass

  1. Der Ablass zum Jubiläumsjahr 2000 und das Schuldbekenntnis, das der Hl. Vater zu Beginn der Fastenzeit 2000 für die Kirche abgelegt hat, sollten zusammen gesehen werden. Das Thema Ablass erhält durch den Zusammenhang, in dem der Papst es gestellt hat, wesentlich neue Akzente, die nicht verloren gehen dürfen, sondern weiter entwickelt werden sollten.

Das Schuldbekenntnis

  1. Die Söhne sowohl wie auch Töchter der Kirche haben gesündigt. Jeder Mensch muss seine Sünde vor Gott und den Menschen verantworten. Wer aber als Getaufter den Namen Christi trägt und zum Leib der Kirche gehört, hat besondere Verantwortung, weil ihm das Zeugnis der Gegenwart Gottes unter den Menschen aufgetragen ist.
  2. "Die Kirche ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung", schreibt der Hl. Augustinus. Ihre Heiligkeit rührt von Gott her in Jesus Christus. Ihre Sündigkeit ist die Folge daraus, dass alle Glieder der Kirche Sünder sind. Indem der Papst vor Gott um Verzeihung für die Sünden der Glieder der Kirche in ihrer Geschichte bittet, erkennt er an, dass wir nicht nur als Christen "individuell" sündigen, sondern immer der ganze Leib der Kirche betroffen ist, den Christus doch erbaut und zusammengefügt hat, damit Gottes Heiligkeit unter den Menschen sichtbar werde im angebrochenen Reich Gottes.
  3. Wer in der Kirche besondere Verantwortung trägt, dessen Sünde wiegt entsprechend schwerer (Lk 12,48: "Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen."). Daher kommt den Sünden der Hirten der Kirche besonderes Gewicht zu. Der Papst hat dies dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er und eine Gruppe Kardinäle der Kirche zu Beginn der Fastenzeit im Heiligen Jahr 2000 das schmerzvolle Sündenbekenntnis für viele Sünden und Verbrechen abgelegt haben, die im Laufe der Kirchengeschichte von Christen begangen wurden.
  4. Das Schuldbekenntnis spricht nicht von den "Sünden der Kirche", sondern nur von den Sünden einzelner Christen. Nur wenn man betont, dass dadurch die Hirten, weil auch Söhne der Kirche, nicht ausgeschlossen sind, und sie im Gegenteil wegen ihrer Stellung besonders gemeint sein müssen, ist diese Formulierung gegen die Missverstände zu verteidigen, die gegen das Bekenntnis vorgebracht worden waren. Durch die klare Unterscheidung zwischen der durch Christus geheiligten Kirche einerseits und den einzelnen Christen in ihr andererseits konnte innerkirchlicher Widerstand gegen dieses Bekenntnis beschwichtigt werden. Insbesondere sollte die Frage vermieden werden, wo die Kirche durch die Lehre (etwa von Bischöfen oder Päpsten) gesündigt hat.
  5. Der Papst und, durch die Weise wie er sie in die Liturgie eingebunden hat, auch seine engsten Mitarbeiter haben es als Teil ihres Amtes übernommen, sich unter die sündigen Glieder der Kirche einzureihen und für die ganze Kirche vor Gott um Vergebung dieser Sünden zu bitten. Auch wenn die Sünden also immer individuell sind, so gehen sie doch in das kollektive Gedächtnis der Kirche ein, das zu Reinigen Aufgabe der Hirten der Kirche ist. Diese Reinigung geschieht nicht durch Verdrängung und Vergessen sondern durch Bekenntnis. Der Papst stellvertretend für die Kirche distanziert sich von den Sünden ihrer Gegenwart und Geschichte, nicht von den Sündern, zu denen alle Christen zu rechnen sind.

Was ist ein Ablass ? Eine traditionelle Erklärung.

  1. Was ist Sünde? Der Mensch ist berufen, aus der Liebe Gottes zu leben. Gott schenkt uns seine Liebe. Dankbar sollen wir daher Gott lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. Wo es an dieser Liebe fehlt, und wo wir gegen diese Liebe leben, ist Sünde. Die Sünde wendet unser Herz von Gott ab.
    Die Todsünde zerstört die Liebe zu Gott durch einen willentlichen und bewussten Verstoß gegen Gottes Gebot (d.h. wenn der Mensch weiß, dass er gegen die 10 Gebote verstößt und dies auch will).
    In der lässlichen Sünde versucht der Mensch zwar weiter Gott und den Nächsten zu lieben, verletzt aber diese Liebe durch seine Gedanken, Worte oder Werke. Lässliche Sünden sind Nachlässigkeit in der Liebe.
  2. Was bewirkt die Sünde? In der Zeit. Die Sünde verletzt unsere Beziehung gegenüber anderen Menschen und immer auch uns selbst. Jeder Mensch, auch wir selbst, stehen in einem großen zeitlichen Zusammenhang mit anderen Menschen, weil das freie Handeln jedes Menschen durch andere beeinflusst wird. Dies meint die Rede von der "Erblichkeit der Sünde" ("Erbsünde"): Dort, wo Sünde sichtbar geworden ist, breitet sie sich aus. Sie rückt als Möglichkeit in das Blickfeld des Menschen. Die Sünde des einen baut im Herzen der anderen die erste Brücke zur anderen Seite des Grabens, der den Menschen von der Verleugnung seiner Gotteskindschaft trennt, auch wenn es in dessen Freiheit liegt, diese Brücke zu beschreiten. Wo die Sünde in die Welt gekommen ist, gebiert sie ihre Kinder.
  3. Was bewirkt die Sünde? Gegenüber Gott. Durch die Sünde trennen wir uns zudem von Gott, weil er die Quelle des Lebens ist. Durch die Todsünde trennen wir uns ganz von Gottes Liebe, aber auch durch die lässliche Sünde stören wir die Liebe, mit der Gott uns lieben will. Im Bild gesprochen kehrt der Mensch Gott in der Todsünde den Rücken zu und macht es damit Gott unmöglich, diesen Menschen anzusprechen; in der lässlichen Sünde liegt keine solche Abkehr von Gott, aber er verunklart das Angesicht Gottes.
  4. "Sündenstrafe" oder "Sündenfolge"? In der Tradition und noch im Dokument Pauls VI. von 1967 wird immer wieder von der Auferlegung der Sündenstrafen Weise gesprochen. Es wird dadurch nahelegt, dass Gott jeweils einzeln, in der Folge einer Sünde, diese beurteilt und eine Strafe aussucht und auferlegt. Hier ist das Bild irritierend und wird daher von Johannes Paul II. klar zurückgenommen, indem ausdrücklich gesagt wird, dass diese "Strafen" als Folge aus der Sünde selbst folgen (Vgl. auch KKK 1472). Konsequenterweise soll man das Wort der Sündenstrafe ganz fallen lassen und nur von den Folgen der Sünde (innerhalb der von Gott "weise, heilig und gerecht" geschaffenen Ordnung der Welt) sprechen. So wird deutlich, dass die dreifache Bezogenheit des Menschen - auf Gott, sich selbst und die Mitmenschen - in jedem menschlichen Handeln präsent ist und daher in alle drei Richtungen Folgen hat.
  5. Die Rede von der Sündenstrafe hat nur insofern eine Berechtigung, als es darum geht, die Folgen der Sünde bewusst an sich heranzulassen, sie als Strafe zu erleiden. Wenn ein Mensch hier also danach sucht, "Leiden" auf sich zu nehmen, sei es real, sei es in direktem Zusammenhang mit einer sündigen Tat, sei es, dass dieser direkte Zusammenhang nicht möglich ist, dann handelt es sich nicht um lustvollen Masochismus sondern darum, eine Realität der Welt an sich heranzulassen aus einer Grundhaltung wiedergewonnener Liebe heraus. Es handelt sich also weniger um eine Strafe aus der Richtung des Strafenden, sondern aus der Richtung dessen, der die Strafe annimmt. Insgesamt ist es aber weit weniger missverständlich konsequent nur vom Annehmen der Folgen zu sprechen.
  6. Wer kann Sünden vergeben? Wo wir gegen andere Menschen gesündigt haben, müssen wir diese um Verzeihung bitten und den angerichteten Schaden wieder gutmachen.
    Weil aber jede Sünde sich auch gegen Gott richtet, brauchen wir auch Gottes Vergebung. Da Jesus Christus Gottes Sohn ist, hat er die Vollmacht, hier auf Erden Sünden zu vergeben (Mk 2,10). Diese Vollmacht hat er seiner Kirche weitergegeben (Joh 20,23; Mt 18,18). Daher kann die Kirche die Form regeln, in der für die Getauften Sünden vor Gott vergeben werden und ihre Folgen vor Gott getilgt werden. Die Kirche kann dies nicht aus eigener Vollmacht oder Heiligkeit, weil alle Glieder der Kirche selbst Sünder sind. Sie kann das nur aus der Vollmacht und Heiligkeit, die Gott in Jesus Christus uns schenkt.
  7. Vergebung der Sünde im Sakrament der Versöhnung (Beichte). Der Hl. Augustinus sagt: "Gott hat uns erschaffen ohne uns, er wollte uns aber nicht retten ohne uns". Im Sakrament der Versöhnung empfangen die Getauften die Vergebung der Sünden und werden dadurch von der selbstauferlegten Trennung von Gott befreit. Dazu sind vier Dinge notwendig:
1. Umkehr: Der Mensch muss sich von der Sünde abwenden und zu Jesus Christus neu hinwenden.
2. Beichte: Der Mensch muss seine Sünden bekennen. "Umkehr erfordert, dass die Sünde ans Licht gebracht wird" (Johannes Paul II).
3. Buße: Die Umkehr muss im Leben des Menschen auch spürbar beginnen. Daher ist nicht nur die Gesinnung sondern sind auch Zeichen oder Werke der Buße notwendig.
4. Vergebung und Versöhnung: Die Sünden werden vom Priester im Sakrament in der Vollmacht der Kirche vergeben und so Gott und Mensch wieder miteinander versöhnt.
  1. Heiligung des Lebens. Wenn die Sünde vergeben ist, dann steht die Schuld nicht mehr trennend zwischen dem Sünder und Gott. Der Schaden, den die Sünde angerichtet hat für die geistliche Situation des einzelnen Menschen, der Kirche, deren Heiligkeit er damit verletzt hat, und letztlich der ganzen Schöpfung ("zeitliche Sündenfolgen"), ist aber dadurch erst anfangshaft beseitigt. Daher ist nach der Tilgung der Schuld im Sakrament auch eine Überwindung der Folgen der Schuld nötig. Der Weg der Heilung ist offen, aber er muss noch gegangen
    Die "Buße" nach der Beichte hat dem gegenüber Zeichcharakter vor allem für den Sünder selbst. Durch ein Gebet oder ein gutes Werk sollen wir erste Schritte auf dem Weg der Heilung unserer Beziehung zu Gott und seiner Schöpfung gehen. Dass die Buße von der Kirche durch den Priester "auferlegt" wird macht deutlich, dass die ganze Kirche mit betroffen ist durch die Schuld jedes einzelnen in ihr.
  2. Ablass. Diese die ganze Kirche betreffende Folgen der Sünde sind Kernpunkt des Ablasses. In der frühen Kirche wurden die Folgen für den einzelnen spürbar gemacht durch den Ausschluss von den Sakramenten, bis der Sünder über eine bestimmte Zeit der Distanz sich von den Folgen seiner Sünde gereinigt hat. Durch besondere Zeichen in Gebet und Liebe konnte von dieser Zeit etwas "abgelassen" werden.
    Auch wo heute die Folgen der Sünde für den einzelnen nicht mehr im Ausschluss von den Sakramenten spürbar gemacht werden, bestehen diese Folgen der Sünde des einzelnen und betreffen die ganze Kirche. Ebenso wird aber jede Tat der Liebe und jedes Gebet eines einzelnen die ganze Kirche mit Christus verbinden. Die Heiligkeit der Kirche, auf der all das aufruht, besteht in der Nähe zu Gott (Gnade), die Christus uns durch sein Leiden und Sterben erwirkt hat. Die Heiligkeit der Kirche ist Christus selbst, sein Leben, Sterben, seine Auferstehung und sein Wirken in den Gliedern der Kirche. Seine Gegenwart und Gnade nennt die Tradition den "Kirchenschatz"; Christus ist unser "Schatz" vor Gott.
    "Die ganze Kirche" meint dabei immer alle: Die Christen, die zur Zeit leben, ebenso wie die, die ihren irdischen Weg vollendet haben und auf ihre Erlösung warten ("Fegefeuer" als Ort der Reinigung von Sündenfolgen), oder die, die als Heilige im Himmel der Vollendung des Reiches Gottes in einem Neuen Himmel und einer Neuen Erde entgegensehen.
    Die Kirche vermittelt diese Gnade konkret an den einzelnen Christen, weil die Kirche das Ur-Sakrament ist. Sie definiert: Ein Ablass ist der Erlass einer zeitlichen Sündenstrafe, also die Reinigung von den Folgen der Sünde, sofern die Schuld bereits von Gott vergeben wurde. (Katechismus 1471). Die Kirche kann bei der Überwindung der Sündenfolge helfen, weil Christus ihr den Schatz der von ihm erwirkten Gnade anvertraut hat. Dazu legt sie bestimmte Gebete oder Vollzüge des Glaubens fest, durch die ein solcher Ablass gewonnen werden kann. Der Ablass kann für den einzelnen selbst oder ein Werk der Solidarität im Glauben sein, indem der Gläubige seine Gebete oder frommen Werke einer Seele zuwendet, die noch nicht von den Folgen der Sünde gereinigt ist ("Fegefeuer").
  1. Der solidarische oder kirchliche Aspekt ist wohl das eigentliche ökumenische Problem in der Ablasslehre. "Lutherische Theologen stimmen zu, dass dem Rechtfertigungsgeschehen ein lebenslanger Heiligungsprozess zu folgen hat, mit dem Ziel, die Taufgnade entgegen den Folgewirkungen der Sünde zur Entfaltung zu bringen." (Böttigheimer (2000), S.177). Der ökumenische Dissens liegt also nicht beim Verständnis der Sündenfolgen, sondern bei der Rolle der Kirche in der Aufarbeitung derselben. Gnade wie ihre Folgen sind nicht kirchlich vermittelbar. Genauso wie der Ablass müsste dann aber auch die Vergebungsbitte des Papstes für die "Söhne und Töchter der Kirche" als Anmaßung inakzeptabel sein.
    Kommt denn durch das amtliche-autoritative im Ablassgeschehen nicht ungleich stärker die unumstrittene Tatsache zum Ausdruck, dass es allein die göttliche Gnade und nicht menschliche werke sind, die der Heilung zugrunde liegen?
Von der Kirche festgesetzte Voraussetzungen zur Gewinnung eines Ablasses:
1. Glaube: Wir müssen darauf vertrauen, dass das Heil allein von Gott kommt und von uns nicht durch Werke oder Gebete bewirkt werden kann. Jedes Gebet ist nur eine Bitte an Gott im Vertrauen auf Jesus Christus, dem Mittler des Heils.
2. Kirche: Jesus hat dem Apostel Petrus die Vollmacht mitgeteilt: "Was du auf Erden binden oder lösen wirst, das wird auch im Himmel gebunden oder gelöst sein". Der Papst als Nachfolger des Hl. Petrus legt daher fest, welche Ablässe erwirkt werden können.
3. Ablass: Der Papst hat (seit 1.1.1967 neu) festgelegt, wie ein "Vollkommener Ablass" und wie ein "Teilablass" erwirkt werden kann. Eine zeitliche Bestimmung der Teilablässe gibt es nicht mehr.
4. Stand der Gnade: Niemand kann einen Ablass gewinnen, der sich durch eine schwere Sünde von Gott getrennt hat, die nicht gebeichtet wurde.
5. Personen: Für bestimmte Gebete oder Handlungen teilt die Kirche aus dem Schatz der Gnade, die Christus uns erwirkt hat, dem Betenden mit oder einem Verstorbenen, für den der Betreffende betet. Diese Absicht muss dabei gegeben sein.
5. Teilablass: Im Glauben an Gott hilft jedes Gebet und jede fromme Handlung zur Heiligung der Kirche. Für bestimmte Gebete gewährt die Kirche einen Teilablass.
6. Vollkommener Ablass: Für einen vollkommenen Ablass ist darüber hinaus erforderlich: (a) dass man auch von jeder lässlichen Sünde frei sein will, um ganz für Gott offen zu sein; (b) der Empfang der Sakramente der Buße und Eucharistie sowie (c) ein Gebet in der Meinung des Hl. Vaters.

Das Neue beim Jubiläumsablass

Jubiläumsablass im Heiligen Jahr 2000 (zu inhaltlichen Neuakzentuierungen siehe unten): Der Jubiläumsablass kann von jedermann als vollkommener Ablass gewonnen werden, der unter den oben genannten Bedingungen: 6. (a), (b) und (c)
- durch eine Wallfahrt im Jubiläumsjahr zu einer der Hauptkirchen in Rom oder Jerusalem oder einer der lokalen Jubiläumskirchen
- oder für eine angemessene Zeit Kranke, Gefangene oder einsame alte Menschen besuchen und zu ihnen wie zu Christus pilgern;
- oder mit einen angemessenen Betrag religiöse oder soziale Werke unterstützt (insbesondere für verwahrloste Kinder, in Schwierigkeit geratene Jugendliche, bedürftiger alter Menschen oder für Menschen, die ihre Heimat auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen verlassen mussten);
- oder für einen Tag auf bestimmten Konsum verzichten und das Geld dafür an Arme gibt.
  1. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen diesem Schuldbekenntnis vom 12. März 2000 und der Verkündigung des Jubiläumsablasses. Das Bekenntnis des Papstes und der Kardinäle, dass aus der Mitte der Kirche ein "Antizeugnis gegenüber dem Christentum" abgelegt wird, ist eine Bitte gegenüber Gott um Vergebung. Die Bereitschaft zur Umkehr, die diese Bitte voraussetzt, muss durch eine neue Lebens- und Glaubenspraxis glaubhaft gemacht werden. Der Ablass macht deutlich, dass es dabei immer auch um den sozialen Körper und die mystische Einheit der Kirche und nicht nur um ein individuelles Gottesverhältnis geht.
    Damit ist das Zeugnis (Martyria) als einer der drei Hauptvollzüge der Kirche in das Zentrum des Zusammenhangs zwischen der Schuld in der Kirche und dem Ablass gerückt. Die Martyria ist die Konsequenz daraus, dass Gott sich offenbart und durch die Verkündigung Anspruch auf Öffentlichkeit in dieser Welt erhebt.
    Bei Paul VI war die "Verrichtung" eines Gebetes in der Meinung des Hl. Vaters Bedingung des Ablasses. Johannes Paul II dagegen fordert ein "Zeugnis der Gemeinschaft mit der Kirche (...), das durch ein Gebet nach Meinung des Heiligen Vaters bekundet wird". War also bisher juridisch ein bestimmter Akt gefordert, ist jetzt der Akt gesehen im Hinblick auf seine Bedeutung als Zeugnis. Auch die guten Werke werden dahingehend akzentuiert. Dadurch gewinnt der Ablass eine Dimension innerhalb des Ursache-Folge-Zusammenhangs von Schuld als Verdunkelung der Heiligkeit der Kirche. Der Ablass soll Christus "zum Ausdruck bringen" und gerade dadurch Folgen der Schuld überwinden.
  2. Die Kirche übernimmt kulturelle Verantwortung, indem sie ihre Verstrickung in die jeweilige Kultur und ihre Schuld bekennt. Das Bekenntnis zu Beginn des Jubiläumsablasses und die Neuakzentuierung beim Ablass haben im Blick, dass die Kirche durch ihr Handeln Einfluss hat auf die menschliche Zivilisation, im Guten wie im Schlechten.
  3. Sündenstrafen sind die Folgen, mit denen die Sünde den Sünder selbst, aber auch die Kirche straft. Die ewige Sündenstrafe ist die Trennung von Gott. Die zeitlichen Folgen sind der in der Zeit nachwirkende Mangel an Liebe. Es ist durchaus daher korrekt, das ganze soziale Umfeld - und die ganze Kirche - als von den Folgen der Sünde betroffen zu sehen und den traditionellen Begriff der "Sündenstrafe" in diesem weiten Sinne als Sündenfolgen zu formulieren.
  4. Wenn man den Jubiläumsablass mit den gewöhnlichen Ablasswerken (vor allem Gebete) vergleicht, fällt eine "Veräußerlichung" ins Auge, die Konsequenz des Bemühens um ein Zeugnis vor der Welt ist. Wenn der Papst z.B. eine finanzielle Unterstützung für Menschen anbietet, als Fremde "in den verschiedenen Ländern auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen" sind, dann wird dadurch ein völlig neuer Akzent in die Ablasspraxis eingeführt.
  5. In dieser Perspektive des Überwindens der Sündenfolgen durch das öffentliche Zeugnis ist der "Kirchenschatz" eine gar nicht mehr so missverständliche Formulierung. Das hohe Ansehen der Person Jesu aber auch vieler Heiliger sind ein "Schatz".
  6. Der Ablass sollte den Blick besonders lenken auf die Folgen des Versagens der Träger kirchlicher Ämter, da durch ihr Handeln die Gemeinschaft der Kirche besonders betroffen sind und derer, die durch öffentliche Gelübde zur Lebenszeugenschaft berufen sind.
  7. Hauptanliegen des Schuldbekenntnisses war es, das Gewissen zu reinigen - vor der Welt. "Denn es ist eine Tatsache, dass die böse Tat wenigstens in ihren destruktiven Auswirkungen weiterwirkt, die durchaus zu einer schweren Belastung für das Gewissen und das geschichtliche Gedächtnis der Nachfahren werden können."
    ">Das Gedächtnis reinigen< ist der Versuch, aus dem persönlichen und gemeinschaftlichen Bewusstsein alle Formen von Ressentiment und Gewalt zu überwinden, die uns die Vergangenheit als Erbe hinterlassen hat. Auf der Basis einer neuen und vertieften historischen und theologischen Bewertung der Geschichte öffnet sich der Weg zur Erneuerung des moralischen Handelns." (Int. Theologen-Kommission Abschnitt 5.1)
  8. Der Zusammenhang mit der Vergebungsbitte ist eine wesentliche Erneuerung der Ablasspraxis, indem ganz im Sinne des Konzils ein seit der Antike vernachlässigtes Element des Bußgeschehens in den Vordergrund gestellt wird: der kirchlich-soziale, oder die katholische Solidarität. Jeder Kommentar zum Thema Ablass, der einen historischen Zugang versucht, weist doch darauf hin, dass die Ablasslehre deswegen so schwer nachvollziehbar sei, weil der Zusammenhang mit der öffentlichen Bußpraxis der alten Kirche verlorenen gegangen sei. Deswegen sollte man versuchen, wenn auch nicht bei der Bußpraxis, so doch beim ekklesialen Verständnis der Buße wieder zu diesen Wurzeln zurückzukehren. Das Sakrament der Versöhnung ist de facto trotz der bestehenden jurisdiktionellen Funktion des kirchlichen Amtes privatisiert. Der Ablass sollte in der Linie des Jubiläumsablasses hier einen wichtigen Aspekt betonen und Ausdruck der kirchlichen Gemeinschaft und Solidarität werden.
  9. Für die traditionelle Ablasspraxis ist das Motiv herausragend, den "armen Seelen im Fegefeuer" helfen zu wollen. Leider sind dabei die Sündenfolgen, die im Hineingehen in die Herrlichkeit Gottes schmerzhaft überwunden werden, wiederum ganz individualistisch im Blick: Der Sünder hat Schuld auf sich geladen, die ihm durch die göttliche Gnade vergeben wurde, deren Folgen er aber "ableiden" muss. Es wäre sehr fruchtbar und wichtig, auch hier den kirchlichen Bezug, wie er im Schuldbekenntnis zum Ausdruck kommt, zum Tragen zu bringen. Denn der Schmerz, den die Sünder im Purgatorium über ihre Sünden erleiden, ist ja gerade die Folge der Sünde, dass die Heiligkeit der Kirche verstellt wurde. Es ist sozusagen die Freude über das Zeichen der Umkehr der irdischen Kirche, die dieser Seele in ihrem ganz persönlichen Heilungsprozess hilft.
  10. Diese Thesen wollen keine umfassende Theologie des Ablasses bieten, sondern einen bedeutsamen Punkt herausstellen: die Solidarität der Kirche im Prozess der Heilung von den Folgen der Sünde. Sie gründet in der Einheit des Leibes Christi, hat aber auch soziologische Konsequenzen, da die (katholische) Kirche Öffentlichkeit in dieser Welt beansprucht (Martyria). Der Ablass kann nach dem Jubiläumsablass 2000 nur noch als Teil des Bekenntnis der Kirche vor der Welt praktiziert werden, dass die Kirche in ihren Gliedern sich an der durch Christus geschenkten Heiligkeit versündigt und als Kirche für die Folgen dieser Schuld die Verantwortung übernimmt.
Was ist ein Ablass - ein Bild zum Vergleich
(...auch wenn Vergleiche immer hinken!)

Wir wohnen mit sechs Jesuiten in einer Kommunität. Am Sonntag bleibt die Küche kalt, da gehen wir zum Essen aus. Man stelle sich nun folgende Begebenheit vor (die natürlich frei erfunden ist).

Wir sitzen im Gasthaus. Das Essen wird gebracht. Ich hatte Pfannekuchen bestellt, aber mir etwas ganz anderes darunter vorgestellt. Da treibt mich eine Missachtung gegenüber meiner Erziehung, Mangel an Disziplin und Rücksichtnahme auf andere dazu, meinen Unwillen dadurch auszudrücken, dass ich selbigen Pfannekuchen samt dem Teller dem Kellner ins Gesicht schleudere. Kein Zweifel: Dies Verhalten soll nicht sein. Hier liegt Sünde vor. Was ist zu tun?

Zunächst muss ich, hoffentlich zur Besinnung gekommen, mich aufrichtig beim Kellner entschuldigen und etwaigen Schadensersatz leisten. Eine weitere Bitte um Entschuldigung ist gegenüber den Mitbrüdern fällig, denen ich die Freude am Mittagessen verdorben habe, und wenn das möglich ist auch eine Entschuldigung gegenüber anderen Beteiligten. Schließlich sollte ich nicht zu lange warten, dieses grobe Fehlverhalten zu beichten, um auch vor Gott Vergebung zu finden.
Der Kellner und die Mitbrüder werden mir hoffentlich noch mal verzeihen; Gott wird mir - aufrichtige Reue vorausgesetzt - ganz sicherlich die Schuld vergeben. Es ist zu hoffen, dass ich meinem Vorsatz treu bleibe und dererlei Schandtaten künftig abhold bin. Der Priester wird mir bei der Beichte als Zeichen des Neubeginns auftragen, dass ich ein bestimmtes Gebet spreche oder ähnliches.

Auch wenn mein Verhalten unvereinbar ist mit dem Stand eines Getauften, ist durch das Sakrament der Versöhnung das, was mich durch die Sünde von Gott getrennt hat, aufgehoben. Die Schuld ist getilgt. Das bedeutet aber nicht, dass die Schuld folgenlos gemacht werden könnte, so als ob nie etwas gewesen wäre.
(a) Für mich selbst hat die Sünde - vor allem wenn es etwas über lange Zeit Gewohnheitsmäßiges gewesen wäre - die Folge, dass ich mich wieder daran gewöhnen muss, Freude am Guten und an der Liebe zu Gott und den Menschen zu finden.
(b) Jede Veränderung meiner selbst ist Abschied von Gewohnheit und damit schmerzvoll. Wenn Gott mich in der Erfüllung meines Lebens ganz in seine Gegenwart und Liebe hineinnehmen will, werde ich freiwillig und gerne mich durch seine Liebe von all dem reinigen lassen, was alte Gewohnheit war. Die Tradition nennt das Purgatorium.
(c) Schließlich und vor allem hat meine Pfannkuchen-Untat aber Folgen, die außerhalb von mir liegen. Vielleicht habe ich kleine Kinder, die mich beobachtet haben, auf dumme Gedanken gebracht, vielleicht träumen sie aber auch künftig schrecklich vom bösen Pfannkuchenschmeißer. Für den Kellner, auch wenn er mir aufrichtig vergeben hat, wird dieses Erlebnis ein Teil seiner Biographie werden. Für die Jesuiten aber wird das Ereignis die Konsequenz haben, dass so und so viele Leute, manche nur indirekt vom Hörensagen, den Eindruck haben werden, dass "diese Jesuiten" so gar nicht nach dem Evangelium, das sie verkünden, leben. Das Zeugnis für die Liebe Christi, das ich, der Orden und die ganz Kirche geben soll, ist verdunkelt.

An diesen drei genannten Punkten, vor allem aber am letzten setzt der Ablass an. Denn der Pfannkuchenwurf wurzelt ja letztlich in einem Mangel an Liebe meinerseits. Er ist die Stelle, an der die negative Grundhaltung ihren Ausdruck findet - und gerade dadurch ihre verheerende Wirkung entfaltet. Ebenso ist es wichtig, dass die durch Buße und Vergebung erneuerte Grundhaltung wächst und ihren Ausdruck findet. Solche besonderen Zeichen des erneuerten Lebens sind nicht notwendig, aber hilfreich. Sie helfen mir selbst auf dem Weg der Besserung. Sie helfen aber vor allem auch, den Schaden zu reduzieren, der durch das Anti-Zeugnis gegen die Liebe Christi entstanden ist, durch ein positives Zeugnis zu mildern. Natürlich muss ein solches Zeichen des erneuerten Lebens ehrlich und aus sich heraus gut sein; es darf nicht auf den Effekt spekulieren, reine Show sein. Nur echtes Leben kann die Liebe bezeugen. Aber gerade schlichte Zeichen der Frömmigkeit, als Gebet, als Wallfahrt oder als Werk der Nächstenliebe zu den Armen, können die durch die Sünde verunreinigte Luft wieder etwas reinigen. Sie helfen damit, dass die böse Tat keine Schule macht. Diese Zeichen helfen vor allem, dass anderen Menschen durch mein Fehlverhalten nicht der Weg versperrt wird, selbst die Kraft der Liebe Christi zu entdecken.

Gerade bei dem unendlich wichtigen letzten Punkt zeigt sich, dass nicht nur ich selbst ein solches Zeichen setzen kann, sondern auch andere. Auch wenn sie gar nicht konkret auf diesen Vorfall Bezug nehmen, hat es doch letztlich sehr direkt damit zu tun, wenn sie öffentlich erklären: Dieser Pfannkuchenschänder ist einer von uns. Wir alle sind, ganz konkret gemeint, Sünder und tragen Mitschuld daran, dass Christus nicht so verkündet werden kann, wie es sein sollte. Zu diesem Schuldbekenntnis kommt dann hinzu, dass konkrete einzelne Jesuiten Zeichen der Frömmigkeit und Liebe setzen, die helfen, dass Christi Liebe weniger verdunkelt wird.

Und ein Letztes wird an dem hier konstruierten Beispiel deutlich. Jedes gute Werk hat seinen Wert in sich, ob es Zeichen für andere ist oder nicht. Das besondere des Zeichens ist aber, dass es im Zusammenhang der Gemeinschaft geschieht, die zum Zeugnis berufen ist. Daher ist es sinnvoll, dass die Gemeinschaft bestimmte Zeichen auch öffentlich benennt, die helfen sollen, die Folgen der Sünde zu bewältigen.

Entwurf einer erneuerten Ablass-Theologie zur Diskussion

Es ist auffällig, dass sich die Kirche in Westeuropa besonders schwer tut, ihre Botschaft zu verkündigen. Zum Teil mag dies damit zusammenhängen, dass Wohlstandsgesellschaften in ihrer sozialen Dynamik die Menschen hindern, ihre Freiheit in tragenden und verbindlichen Existenzformen zu verwirklichen. Die Verlängerung der Pubertät ist dafür ein Signal. Der Verlust tragender Religiosität gehört zu den sozialen Folgekosten der Modernisierung. In Westeuropa und abgeschwächt anderen Ländern, die von dieser Kultur beeinflusst sind, gibt es jedoch ein weiteres zentrales Hindernis, die Botschaft der Kirche zu hören. Über gut tausend Jahre war die Kirche in Europa so sehr mit der herrschenden Kultur verbunden, dass vieles (oder gar alles) was diese Kultur an Negativem hervorgebracht hat, dem Christentum oder konkret der Kirche angelastet wird.

Zweifellos ist es gegenüber der vorherrschenden Pauschalisierung wichtig, durch solide historische Forschung und differenzierende ethische Bewertung zu erarbeiten, was an den Vorwürfen über diese "Kriminalgeschichte" der Kirche, ihrer Lehre und ihren Institutionen, anzulasten ist. Nicht nur angesichts der Mechanismen der Mediengesellschaft, sondern auch aus theologischen Gründen ist es aber daneben unumgänglich, dass sich die Kirche uneingeschränkt dazu bekennt, dass sie selbst und ihre Geschichte in Schuld verstrickt ist. So sehr daran festzuhalten ist, dass die Kirche von Christus auf dem Fundament der Apostel gegründet und vom Heiligen Geist getragen ist, so sehr kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese in Christus heilige Kirche eine Kirche der Sünder ist. Diese "Kirche der Sünder" trägt Schuld an den Verbrechen der von ihr geprägten Gesellschaft und Kultur des "christlichen Abendlandes". Jeder Versuch, als Kirche diese Verstrickung zu ignorieren und sich als nicht betroffen hinzustellen ist abzulehnen, da die handelnden Personen dieser Epochen Getaufte waren und von der Kirche auch als dazugehörig betrachtet wurden.. Auch verbietet sich in diesem Zusammenhang jeder Versuch aufzurechnen, ob die positiven Beiträge zur Entwicklung Europas nach der Völkerwanderung die negativen überwiege.

Mit dem Schuldbekenntnis zu Beginn der Fastenzeit im Jubiläumsjahr 2000 hat die katholische Kirche öffentlich und als Institution in ihren Repräsentanten diese Verantwortung auf sich genommen. Dieses Ereignis sollte eine Zäsur in der Geschichte der Kirche darstellen. Auch zuvor gab es keinen Zweifel, dass die Kirche "semper reformanda" ist, der ständigen Erneuerung bedarf, auch wenn es immer schwierig sein wird, dass die jeweils in der Verantwortung stehenden Repräsentanten der Kirche sehen, wo sie in ihrer eigenen Praxis der Umkehr bedürfen. Dass dies nicht Thema des Schuldbekenntnisses war ist kein Mangel. Statt dessen wurden exemplarisch schmerzliche Punkte aus der Geschichte der Kirche benannt: Inquisition, Intoleranz, Spaltung, Leid des jüdischen Volkes, Kolonialisierung nach außen und gegen Minderheiten im Inneren, Diskriminierungen verschiedener Art und Missbrauch von Medizin und Technik. Es ging nicht darum eine christliche Form stalinistischer Schauprozesse zu veranstalten. Vielmehr hat die Kirche sich zu ihrer Verantwortung für die gesellschaftliche Kultur gerade in ihrem Versagen bekannt. Der Papst hat mit diesem Bekenntnis, stellvertretend für die Kirche sich von den Sünden der Christen distanziert, nicht von den Sündern, zu denen er selbst gehört. Keinen Zweifel daran lassend, dass es einzelne Christen sind, die ihre Taten zu verantworten haben, hat die Kirche Christi in ihrem obersten Amtsträger die Schuld bekannt und damit als auch die ihre anerkannt. Ein solches Bekenntnis vor Gott in einer öffentlichen Liturgie hatte es noch nie gegeben.

Es ist Aufgabe der Theologie, die Konsequenzen zu reflektieren und zu erarbeiten, wo in der Gestaltung der kirchlichen Praxis dies seinen Niederschlag finden kann. An einem Punkt ist dies durch den Papst selbst bereits geschehen. In der Verkündigung des Jubiläumsjahres hat er zugleich den Ablass als Teil der kirchlichen Praxis in der lateinischen Kirche wieder in Erinnerung gebracht und hat zugleich in der konkreten Gestaltung des Jubiläumsablasses erhebliche Neuakzentuierungen vorgenommen, die sich nun langfristig in der Theologie und Praxis des Ablasses niederschlagen müssen. Die Theologie sollte nun Vorschläge machen, wie diese Erneuerung auch terminologisch gefasst werden kann, denn es fällt auf, dass schon Paul VI 1967 und jetzt Johannes Paul II verschiedentlich Begriffe aus der alten Ablasstheologie gegen naheliegende, aus der umgangssprachlichen Bedeutung der Wörter rührende Missverständnisse in Schutz nehmen müssen ("Sündenstrafen", "Kirchenschatz", dies gilt auch für "Beleidigung Gottes", "Genugtuung" etc.). Das Wort "Ablass" selbst wird man wohl beibehalten müssen, auch wenn dieses Wort ausschließlich historisch, durch seine Herkunft aus der vormittelalterlichen Bußpraxis, und kaum aus der gemeinten Sache selbst heraus erklärbar ist. Auch hier muss die Kirche bei allem Bemühen um Erneuerung zu ihrer Tradition stehen.

Die im Schuldbekenntnis genannten Vergehen der Christengeschichte sind herausragende Beispiele, denen gemeinsam ist, dass sie sich in besonderer Weise akut dahingehend auswirken, dass die Botschaft Christi verdunkelt wird. Es handelt sich vor allem um Taten, die explizit im Namen des Glaubens und der Kirche oder durch ihre höchsten Repräsentanten begangen wurden. Dabei ist natürlich klar, dass in derselben Weise jedes Vergehen gegen die Gerechtigkeit und die Liebe, das von einem Christen verübt wird, eine Verdunkelung dessen ist, wozu Christus seine Kirche berufen und geheiligt hat. Immer aber handelt es sich um Schuld, die zu allererst vor Gott und den Menschen persönlich zu verantworten ist. Deswegen ist es auch immer nur dem jeweiligen Einzelnen möglich, sich der Liebe Gottes und der in Christus sich ereignenden Rechtfertigung zu öffnen. Unter Berufung auf die ihr von Christus verliehene Vollmacht übt die Kirche im Sakrament der Versöhnung das Amt aus, das Bekenntnis und die Reue des Sünders anzunehmen und die Vergebung Gottes zuzusagen. Hatte sich also der Einzelne durch seine Schuld auf den Weg des Unheils, der Abwendung von Gott, begeben, so eröffnet ihm Gott aufs Neue den Weg des Heiles. Dies ist ein höchst individuelles Geschehen und zugleich ein Geschehen, in dem der Einzelne sich als Glied des Volkes Gottes erfährt, da die Abkehr vom Heil durch die Sünde ja ein Hinausgehen aus dieser von Gott berufenen Gemeinschaft ist und die Rechtfertigung des Sünders durch Gott bewirkt, dass dieser wieder uneingeschränkt ein Glied des Volkes Gottes wird. Daher ist der Weg, den der Sünder geht, nachdem er von Gott die Vergebung der Schuld erhalten hat, ein Weg in und mit der Kirche.

Der neu eröffnete Weg, den der Sünder geht, fängt nicht bei Null an. Die Vergangenheit ist hinsichtlich ihrer Schuld getilgt, nicht aus der Biographie des Einzelnen gestrichen. "Da hat sich einer aufrichtig zu Gott bekehrt, in der Mitte seiner Freiheit, befreit durch die Gnade Gottes, sich ´umgestellt´ und sein Dasein auf die Gnade Gottes gegründet. Auch dann kann es immer noch so sein, dass ´ich´ in vieler Hinsicht der Alte, der noch Unbekehrte oder nicht ganz Verwandelte bin. Da kann ´ ich ´ immer noch ich sein mit meinem Egoismus, den ich gar nicht merke, mit dem ich immer noch in vieler Hinsicht einverstanden bin, ich mit meiner Hartherzigkeit, mit meinem Pharisäertum, mit meiner Feigheit und mit all den andern in der früheren (und jetzt bereuten) Schuld verwirklichten Haltungen und Befindlichkeiten, so dass ich es gar nicht merke und gar nicht fertig bringe, mich von all dem zu distanzieren. Eine solche Umwandlung der ganzen Unermesslichkeit des Menschen kann also noch eine lange schmerzliche Geschichte bedeuten. Welche Qual, welche unabsehbare seelische Entwicklung, welche tödlichen Schmerzen eines seelischen Verwandlungsprozesses sind da noch zu bestehen, bis das alles anders ist. Wie unerlässlich ist dies aber auch! Wie könnte man ohne das ´vollendet´ sein?" Was Rahner so beschreibt (1967, 474), ist die existenzielle Dimension der Folgen einer Schuld, die vergeben ist. Er hat damit den Ausgangspunkt für den individuellen Heilungsprozess beschrieben, der Teil des Lebensweges dieses Menschen werden muss, damit das, was in der Vergebung begonnen hat, im konkreten Leben des Menschen an sein Ziel kommt.

Jede Handlung gegen die Ordnung der Liebe wirkt sich auch auf die Welt aus, in der diese Tat begangen wurde. Auch wenn sie als Un-Tat benannt, bereut und vergeben ist, so ist die Welt, in der sie geschehen ist, durch sie unwiderruflich verändert. Je nach dem Gewicht der Tat und je nach dem sozialen und historischen Ort, an dem sie geschah und sich auswirkte, wird sie sich tiefer oder weniger tief in das Gedächtnis der Geschichte eingraben. Jeder Mensch steht in einem großen zeitlichen Zusammenhang mit anderen Menschen, weil das freie Handeln jedes anderen Menschen dadurch beeinflusst wird. Dies meint die Rede von der "Erblichkeit der Sünde" ("Erbsünde"): Dort, wo Sünde sichtbar geworden ist, breitet sie sich aus. Wo sie erfahren wurde, lockt sie zur Reaktion. Sie rückt als Möglichkeit in das Blickfeld des Menschen. Die Sünde des einen baut im Herzen der anderen die erste Brücke zur anderen Seite des Grabens, der den Menschen von der Verleugnung seiner Gotteskindschaft trennt, auch wenn es in dessen Freiheit liegt, diese Brücke zu beschreiten. Wo die Sünde in die Welt gekommen ist, gebiert sie ihre Kinder.

Fürbitte-Absolution Die Kirche legt dem einzelnen Sünder die Strafe auf - nimmt ihn in Haft für die Folgen seiner Sünden

Dass Gott handelnd gegenwärtig ist in den Zeugen. Er gibt den Geist und historisch den Kairos /Gelegenheit

In der Zuwendung des Ablasses durch die Kirche geschieht daher das Doppelte: Das durch die Gnade in der Geschichte gewirkte Zeugnis der Liebe wird aktualisiert und vor Gott wird in der Zuversicht auf die durch Christus gewonnene Nähe zum Vater die Fürbitte wirksam.

Literaturhinweise

Die kirchenamtlichen Dokumente sind oben verzeichnet.

Baur, Franz-Joseph: Jubiläumsablaß im Heiligen Jahr 2000. Die freudvolle Seite der geistlichen Erneuerung. In: Geist und Leben. Zeitschrift für Aszese und Mystik. Heft 1/2000. 73 Jg. , S. 54-63.

Böttigheimer, Christoph: Jubiläumsablaß - ein ökumenisches Ärgernis? In: Stimmen der Zeit. Bd. Heft 3/2000. 125 Jg. , S. 167-180.

Düren, Peter Christoph: Der Ablass in Lehre und Praxis. Die vollkommenen Ablässe der katholische Kirche. Buttenwiesen (Stella Maris) 2000. 2. Auflage.

Müller, Gerhard Ludwig; Fuchs, Ottmar ; Kremsmair, Josef ; Messner, Reinhard: Ablass. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Dritte, völlig neue bearbeitete Auflage. Hrsg. von Walter Kasper u.a., Freiburg (Herder) 1993, Sp. 51-58. (dort weitere Literaturangaben)

Rahner, Karl: Kleiner Theologischer Traktat. Einsiedeln, Zürich, Köln (Benziger) 1967. In: Schriften zur Theologie. Bd. VIII, S. 472-487.

Rahner, Karl: Zur heutigen kirchenamtlichen Ablasslehre. Einsiedeln, Zürich, Köln (Benziger) 1967. In: Schriften zur Theologie. Bd. VIII, S. 488-518. (Erläuterung des o.g. Traktates nach Veröffentlichung von Indulgentiarum Doctrina 1967.

Rahner, Karl(Hrsg.): Herders Theologisches Taschenlexikon. Band 1. Freiburg (Herder) 1972, S. 26-35.


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