Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 1. Adventssonntag Lesejahr A 2010 (Advent - neues Buch von Papst Benedikt)

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28. November 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Papst und Pariser

  • Der Papst war diese Woche mal wieder in den deutschen Zeitungen. Anfang der Woche wurde ein Buch vorgestellt, das auf 250 Seiten ein Gespräch wiedergibt, das er diesen Sommer mit einem Journalisten geführt hat. Manch große Zeitung (hinter der sich kluge Köpfe verstecken) hat sich auf einen Absatz gestürzt, in dem es um Kondome gehen. Die BILD-Zeitung hingegen hat über Tage in langen Passagen viel von dem lesenswerten Text abgedruckt.
    Das Buch ist keine Lehrverkündigung des Papstes, sondern ein Gespräch. Es lädt damit auch mich als Leser zum Gespräch ein, gerade auch dort, wo ich nachhaken oder widersprechen möchte.
  • Welches der vielen Themen von der Presse aufgeführt wird, sagt mehr über diese Presse als über das Buch. Ganz offenbar erregt es manch intellektuelles Gemüt, was dort über Kondome steht. Was der Papst sagt, wirkt dann lächerlich. Warum könne er sich nicht modern zeigen und Realitäten akzeptieren? Benedikt XVI. ist es aber weder hier noch sonst daran gelegen, modern zu sein und "Realitäten" als hinzunehmende zu akzeptieren. Ausdrücklich sagt er, dass ihm klar ist, dass auch viele Katholiken den Maßstäben nicht genügen, die uns durch den Glauben gegeben sind. "Aber deshalb den Maßstab nicht mehr hochzuhalten und nachzugeben, würde die Gesellschaft in ihrem moralischen Niveau nicht heben" (S. 172).
  • Gerade unser Glauben ermöglicht es uns, immer wieder um Maßstäbe zu ringen, die nicht einfach nur bestätigen, was wir eh tun. Denn wir glauben an die Barmherzigkeit Gottes, der uns nicht triumphierend unter die Nase reibt, wo wir als Menschen hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben, sondern uns immer wieder entgegenkommt und uns Kraft gibt, über unser Selbst hinauszugehen auf einander zu.
    Denn das ist der wiederkehrende Kern des Gespräches, das unter dem Titel "Licht der Welt" veröffentlicht wurde. Gott hat in uns als Menschen die Möglichkeit angelegt, für einander dazusein und Verantwortung zu übernehmen. Auf dieses Ziel hin ist uns Freiheit gegeben. Freiheit, die nur für sich selber haben will, verfehlt ihr Ziel.
  • Das gilt für eine von Gier geleitete Wirtschaft, für ein Verhältnis zur Umwelt, die nur Ressourcen ausbeutet, eine Politik, die auf Kosten späterer Generationen Schulden macht, für Erwachsene, Erzieher und auch Priester, die ihre Stellung dazu missbrauchen sich an der Gewalt gegen Kinder zu ergötzen, aber eben auch für eine Sexualität, die nicht als Geschenk der treuen Liebe empfangen wird und nicht Leben schenken will, sondern vor allem nur für sich selbst "Erfüllung" und Befriedigung sucht. Die Allgegenwärtigkeit der Pornographie ist eben nicht "normal" oder "befreiend", sondern Zeichen dafür, dass etwas grundsätzlich nicht stimmt. In diesem Zusammenhang sagt der Papst, dass es wenigstens ein kleiner Schritt sein kann, wenn jemand, für den Sex um seiner selbst willen gesucht wird, dabei wenigstens darauf achtet, dass andere nicht mit AIDS angesteckt werden. Da wird ein erster Schritt verantworteter Freiheit sichtbar, die nicht sich selbst, sondern den anderen im Blick hat. Das ist nicht leibfeindlich, sondern ruft im Gegenteil dazu auf, unsere Leiblichkeit nicht zu verschleudern.

2. Kirche und Kommunikation

  • Finanzkrise, Ökologie, Überschuldung, Missbrauch, Pornographie. Das sind verschiedene Themen. Viele, ja die Mehrheit, sind zumindest bei mletzten Thema anderer Meinung. Hier mag es Zustimmung, dort klaren Widerspruch geben. Ich stimme auch nicht in allem zu. Wer mag, wird Themen der Kirche weiter lächerlich finden. Das jedoch sind sie für mich nicht, auch wenn wir uns eingestandenermaßen extrem schwer tun darüber zu sprechen. Das Interview-Buch habe ich aber deswegen gerne gelesen, weil es immer wieder auf den Punkt kommt. Wenn wir diesen Punkt gemeinsam verstehen, wird die Auseinandersetzung um die genannten Themen erst fruchtbar.
  • Der Punkt ist Christus. Wir sind als Kirche hier nicht versammelt, um wohlig gesellig zu sein und Freunde zu treffen - das hoffentlich auch; wir sind nicht hier, um als Gemeinde um uns selbst zu kreisen - das definitiv nicht! Wir sind hier, weil uns hier Christus versammelt und uns hier entgegenkommen will: mit seinem Evangelium und seiner Gegenwart. Die Form, in der wir Gottesdienst feiern ist daher nicht von uns beliebig gestaltet, sondern hat ihre Wurzeln in der langen Geschichte des biblischen Glaubens. Das Evangelium, das hier verkündigt wird, ist nicht von uns selbst gemacht, sondern ist uns anvertraut. Kirche ist zuallererst der Ort, an dem Gott mit uns in Kommunikation tritt. Deswegen ist sie mir heilig.
  • An der Stelle allerdings begegne ich mancher Passage des Papst-Buches mit Skepsis: Man kann manches dort lesen, als verlaufe die eigentliche Grenze zwischen Kirche und (moderner) Welt. Benedikt XVI. sagt: "Die Weltgeschichte ist ein Kampf zwischen zweierlei Formen von Liebe: der Liebe zu sich selbst - bis zur Zerstörung der Welt; und der Liebe für den Anderen - bis zum Verzicht auf sich selbst" (S. 79). Dem stimme ich zu. Aber die reale Kirche ist immer auch Welt, immer auch Heidentum. Das Evangelium kann die Welt nur so weit verändern, wie zunächst wir uns verändern lassen und - vielleicht oft mehr durch unsere Schuld als durch unser Gelingen - Zeugnis geben von dem Gott, der alle Menschen zu der Freiheit und Liebe führen möchte, derer sie fähig sind.

3. Jesus und Jenseits

    • Mit all dem sind wir beim Advent und den Lesungen des heutigen Sonntags:
    • Bei Jesaja hieß es: "Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort. Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht."
    • Im Römerbrief schreibt Paulus: "Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht."
    • Und im Evangelium malt Jesus das Bild vom Ende der Welt-Zeit: "Die Sonne wird sich verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden."
    • Advent bedeutet Ankunft. Gemeint ist die Ankunft Gottes. Christus kommt uns entgegen: Als Mensch unter Menschen im Stall von Bethlehem. Als Gott, in dem diese Welt geschaffen ist, als Richter am Ende der Zeiten. In der Zeit und jenseits der Zeit wird so offenbar, was uns verheißen ist. Diese Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten (symbolisch: Sonne, Mond und Sterne) sind nicht das Letzte. Auch die Finsternis, so mächtig sie sich manches Mal gebärdet, hat nicht das letzte Wort.
    • Im Letzten - in dieser Welt und jenseits dieser Welt - geht es um die große Begegnung. In ihr werden wir über uns hinaus geführt. Den Schritt von der Liebe zu uns selbst zu der Liebe zu den Anderen können wir uns hier schon führen lassen. Dazu kommt Gott in diese Welt. Amen.

Benedikt XIV. (Joseph Ratzinger): Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Freiburg, Basel, Wien (Herder) 2010.