Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 1. Adventssonntag Lesejahr B 2002 (Jesaja)

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1. Dezember 2002 - Hochschulgottesdienst Dom Frankfurt

1. Gescheiterte Großmacht

  • Schlägt man die Bibel etwa in der Mitte auf, da findet man die Lesung aus dem Buch Jesaja des heutigen Tages. Es ist ein kleiner Ausschnitt aus einem der wuchtigsten Gebets-Lieder der Bibel. Ein Psalm gesungen von einem Menschen in einem Volk in Not.
  • Die Not ist groß, kam aber nicht überraschend. So mancher hatte es kommen sehen. Das Volk und seine Könige hatten schon allzu lange in einer Weise gelebt, dass es nicht gut gehen konnte. Man wollte Großmacht sein. Man stellte Truppen auf. Man kümmerte sich nicht um Recht und Gerechtigkeit und hatte auf die Gebote vergessen, den Schwachen zu stützen und den Fremden in seiner Mitte zu achten.
  • Statt dessen fühlte sich dieses Volk als unantastbar und unbesiegbar. Es schmiedete Koalitionen und sah nicht das Unheil, dass es selbst heraufbeschwören sollte. Nun stehen die Menschen vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik. Das eigene Land liegt in Trümmern, unzählige Menschen sind auf der Flucht. Die Führung hat sich restlos dekreditieret.

2. Mitten im eigenen Volk

  • In dieser Situation ist das Lied des Jesaja geschrieben. Voll Sehnsucht betet es zu Gott: "Reiß doch den Himmel auf, und komm herab!" und "Du, Herr, bist unser Vater!" - wer sonst sollte uns helfen?
  • Leicht wäre es gewesen, sich eine andere Rolle zuzuschreiben. Jesaja und seine Jünger hatten das Unheil schon früh kommen sehen und ihre Stimme erhoben. Sie gehörten zur Opposition und hatten gewarnt und angeklagt. Aber im Machtrausch hatte der König nicht auf sie gehört, sondern sie verfolgt. Und das breite Volk hatte die Ohren verschlossen und ist seinen Führern nachgelaufen.
  • Leicht wäre es da, sich in die Rolle dessen zu begeben, der es immer schon besser gewusst hat. Nicht so Jesaja. In dieser Not stellt er sich mitten in sein Volk und ruft zu Gott. Er begnügt sich nicht mit Schuldzuweisungen an andere, sondern sieht sich in die Schuld verstrickt: "Wie unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid." Jesaja weiß, dass der Keim zur Schuld in dem inneren Adam, dem Menschen, in uns allen steckt. Nicht Kollektivschuld, aber gemeinsame Verantwortung.

3. Ton in Gottes Hand

  • Seine Antwort auf die Situation ist der Ruf zu Gott: "Du, Herr, bist unser Vater!", " Wir sind der Ton, und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände." Aus diesem Gebet spricht die Überzeugung, dass keine politische Strategie den Neuanfang gewährleistet. Es hilft auch nicht, sich auf die eigene Tüchtigkeit zu verlassen, und darauf zu vertrauen, dass ein Wirtschaftswunder den Schrecken der Vergangenheit vergessen macht. Neu anfangen lässt sich nur, wenn sich das ganze Volk und jeder einzelne restlos in die Hände Gottes gibt, wie Ton in die Hand des Töpfers.
  • Dieses Vertrauen auf Gott ist nicht blind. Es ruht auf den Erfahrungen der Vergangenheit. Es erinnert Gott daran, dass dieser in der Vergangenheit Gutes getan hat. Gott war es, der das Volk aus der Knechtschaft durch das Meer hindurch geführt hat zur Freiheit. Es ist Gott, "der denen Gutes tut, die auf ihn hoffen". Die Erfahrung ist der Ankerpunkt der Hoffnung, die Erinnerung die Kraft.
  • Denn so sehr Gott zum Feind seines Volkes geworden war, als dieses der Gerechtigkeit vergessen hat, so sehr kann Gott das Herz des Menschen wieder empfindsam und den Glauben stark machen. Jesaja ist der Prophet des Advents, denn er vertraut fest darauf, dass es möglich ist, in eine Zukunft aufzubrechen mit Gott. Dies könnte ein Weg sein, nicht nur damals. Amen.