Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 1. Adventssonntag Lesejahr C 2000

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28.11.2009 - khg Göttingen, Universitätskirche St. Nikolai

1. Rausch des Alltags

  • "Nehmt euch in acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren". Dass Rausch und Trunkenheit verwirren, ist nachvollziehbar. Aber dass das alltägliche Leben verwirren soll, ist erstaunlich. Dass die Sorgen des Alltags in einem Atemzug mit Rausch und Trunkenheit genannt werden, ist schwer nachvollziehbar.
    Wörtlich warnt Jesus im Lukasevangelium: Wir sollen uns vorsehen, dass unsere Herzen nicht belastet werden, nicht schwer werden durch diese drei: Völlerei, Trunkenheit und Sorgen des Lebens.
  • Die Gefahr, die durch diese drei erstaunlich gleichermaßen droht, ist eine verminderte Wahrnehmungsfähigkeit. Natürlich ist da ein großer Unterschied zwischen Völlerei und Trunkenheit auf der einen Seite und Besorgtsein um das tägliche Leben auf der anderen Seite. Der Unterschied ist erheblich.
    • Das Erste ist offensichtliche Disziplinlosigkeit. Gerade Alkoholismus ist sehr oft in der Familie wie auf der Straße Auslöser brutaler Gewalt.
    • Wessen Herz dagegen bedrückt ist durch die Sorgen des Alltags darf sich doch zumeist zu Gute halten, dass er verantwortungsvoll ist, sich um seine Familie oder seine Zukunft sorgt. Und so weiter.
  • Trotzdem wirft Jesus Trunkenheit und Alltagssorgen in einen Topf - allerdings unter einer bestimmten Rücksicht: Dass sie das Herz so schwer machen, sodass dieses nicht mehr sieht, was wichtig ist. Gerade wo ich ganz ernsthaft bei der Sache bin, jeden Schritt bedenke und jede Eventualität plane, gerade dort kann ich bei aller Besorgtheit um jedes Detail des Lebens das Leben selbst verfehlen.
    Das Leben einfach genießen zu wollen, ohne Maß und Ziel, macht genauso blind wie das Aufgehen in Alltagssorgen. Es ist immer nur das Und-so-weiter.

2. Der erste Advent: Spuren des Glaubens

  • Advent sollte der Widerspruch sein gegen das Und-so-weiter. Advent sollte der Widerspruch sein, gegen das Basta, das jede Perspektive abwürgt, weil im Grund schon alles entschieden und erledigt ist, durch mich oder durch andere. Advent heißt Ankunft und meint das Andere, das da ist und das Andere das kommt, die Ankunft, die wir sehen können und die Ankunft die wir erwarten. Höhere Aufmerksamkeit für das, was da ist, und gespannte, aufmerksame Erwartung für das, was kommt.
  • Der ganze Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki ist ein dankbares Wahrnehmen dessen, was schon angefangen hat, was da ist. In Saloniki hatte Paulus das Wagnis begonnen, Christus im griechisch-römischen Europa zu verkündigen. Aber während er im arroganten Athen damit gescheitert ist, zeigt sich die Gründung der Gemeinde in Saloniki trotz aller Probleme als stabil. Paulus schreibt sogar, es sei ein "Evangelium", verkündete Gute Nachricht, wie diese Gemeinde in Glaube und Liebe lebt (1 Thess 3,6).
  • Wir nehmen den Glauben den wir haben und an anderen sehen als selbstverständlich, weil es irgendwie seit über tausend Jahren sich in unsere Kultur eingefleischt hat. Es ist aber nicht selbstverständlich, sondern ein Ereignis. Wo Gott gegenwärtig geglaubt wird, ist dies Zeugnis der Gegenwart Gottes. Wo der Glaube Menschen zusammenführt, ist das Zeugnis dafür, dass Gottes Geist sein Werk tut. Christus ist gekommen hat als Mensch gelebt und daraus wurde für Menschen das Lebensmodell eines Lebens aus der Kraft Gottes. So auch in Saloniki. Für Paulus wurde an diesen Menschen in der griechischen Hafenstadt sichtbar, dass das Evangelium von Jesus Christus auch in der europäischen Kultur Menschen erreichen kann. Nicht viele vielleicht, aber die Erfahrung ist da, dass der Glaube hier möglich ist. So wird aus den Glaubenden in Saloniki ein sichtbares Lebensmodell eines Lebens aus der Kraft Gottes. Die imitatio Christi kann ihre Wirkung zeigen, indem eine imitatio thessalonicorum möglich wird. Der Advent hat stattgefunden, wo Glaube ist.

3. Der zweite Advent: der kommende Heiland

  • Die Beharrlichkeit, mit der wir Jahr für Jahr Advent feiern, will diesen Anfang aufgreifen und gegenwärtig werden lassen. Dadurch dass wir den Advent auf unsere Zukunft hin feiern, ist er genau kein Und-so-weiter, sondern ein Anders-weiter. Gott hat einen Spross aufsprießen lassen, durch den Recht und Gerechtigkeit aufscheint im Land. Und Gott hat Erben bestimmt, die die Flamme ergreifen und sich von ihr ergreifen lassen. Lichter sollen leuchten in der Nacht und Gerechtigkeit soll leuchten.
  • Die Sorgen des Alltags ziehen das Herz schwer in die Tiefe wie die Depression eines Alkoholikers. Wessen Blick fokussiert ist auf Sachzwänge, wer den Blick nicht hebt und auf das Licht schaut, das uns entgegenkommt, dem fehlt das, was die erste Frucht eines echten Advents ist: Vertrauen. Wer aus lauter Realismus nur im Strom der Masse mitschwimmt, ertrinkt. Er ertrinkt im Genuss oder ertrinkt in den Sorgen, das ist einerlei. Wer diese Welt nur so sieht, wie sie sich zeigt, wird nicht entdecken, was Neues möglich ist, weil er statt Vertrauen in Gott nur das Und-so-weiter kennt, das misstrauisch beäugt, was Neues kommt.
  • Die zweite Frucht eines echten Advent ist Umkehr. Wen das Vertrauen erreicht, dass Gottes Gerechtigkeit das auch in seiner Zeit Neue ist, wird Kraft finden, auch sich selbst um die Gerechtigkeit zu sorgen. Wenn dann Seine Gegenwart aufblitzt, mitten in unserem Alltag mit all seinen Sorgen, wird uns das nicht so überraschen, "so wie man in eine Falle gerät". Es wird uns zeigen, dass Gott schon längst angefangen hat, in meinem Leben, in unserem Leben wirksam zu sein. Amen.