Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 1. Fastensonntag Lesejahr B 2021 (Gen/Mk - Jugendpredigt "Jein!")

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21. Februar 2021 - Jugendgottesdienst St. Marien Bonn-Bad Godesberg

1. Ja oder Nein

  • Die Lesungen aus der Bibel sind klar: Es beginnt mit dem Bund, den Gott nach der großen Flut mit den Menschen schließt. Der Noah-Bund unter dem Zeichen des Regenbogens ist das „Ja!“ das Gott zu seiner Schöpfung spricht, das Große „Ja!“.
    Und das Evangelium berichtet, dass Jesus sich in der Wüste dem teuflischen Versucher stellt und ihm sein klares „Nein!“ entgegensetzt. „Nein!“ zu der Versuchung sich durch Einfluss oder spektakuläre Wunder Ansehen und Macht zu sichern. Da schließt Jesus keine faulen Kompromisse. Er sagt: „Nein!“. „Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.“ (Mt 5,37). Keine faulen Kompromisse!
  • Aber stimmt das? Sind Kompromisse abzulehnen, gibt es immer nur das klare “Ja!“ oder das klare „Nein!“? – Auf diese Frage gebe ich die klare Antwort: „Jein!“[1].
    Ja, es stimmt, es gibt genug Situationen, da wäre es eine Versuchung sich herauszureden und nur halbe Sachen zu machen. Dort wo ein anderer Mensch mir vertrauen will oder mir seine Liebe schenkt, dort ist es an mir, nicht mit halbem Herzen, sondern mit ganzem Herzen ja zu sagen.
    Und doch Nein! Wo der Versucher mich verlocken will, mich auf Kosten von anderen groß zu machen, andere zu manipulieren oder zu verachten, da braucht es ein klares „Nein!“.
  • So sehr wir es im Glauben mit dem Absoluten zu tun haben, das uns begegnet und herausfordert, so sehr braucht gerade der Glaube an Gott, den Allmächtigen, oft ein „Sowohl als auch“, das die Dinge auch mal in der Schwebe lassen kann. Es ist Paradox: Gerade im christlichen Glauben braucht es das „Ja!“, das auch ein “Nein!“ aushält, und braucht es das „Nein!“, das auch ein „Ja!“ ertragen kann.

2. Eindeutig oder offen

  • Gott ist viel zu groß, um von uns in einer eindeutigen Formel festgehalten zu werden. Es gibt daher kein „fertig sein“ im Glauben.
    Vor hundert Jahren berichtete ein deutscher Forscher[2] von muslimischen Turkmenen (südlich von Usbekistan), die jedes Gebet auf Arabisch mit der ersten Sure des Korans eröffneten, wie es Tradition ist. Das war für sie so etwas wie ihr Allerheiligstes. Als er sie fragte, ob sie auch wüssten, was das Arabische, das sie beten, denn bedeutet, wussten sie es nicht. Als er ihnen den Text übersetzt hat, sollen sie geantwortet haben: „Was, sonst nichts?“
    Ein Gebet ist eben nicht einfach ein eindeutiger Text. Ein Gebet ist alles, was du hineinlegst. Diese Sure war durch ihr jahrelanges Gebet gefüllt mit Bedeutung, die über den tatsächlichen Text weit hinausgeht.
  • Das macht auch die Schönheit dieses Kirchenraumes aus. Man kann vieles erklären, aber die Atmosphäre dieses Raumes ist dann doch noch einmal mehr. Es ist gut, dass unsere Kirchenräume nicht nur hell von Licht durchflutet sind, sondern auch die dunklen Ecken haben, in denen Platz ist zum Nachdenken.
    Das ist auch der Grund, warum ich die katholische Liturgie, die Weise wie wir Gottesdienst feiern, so liebe. Ich kann vieles erklären, was das bedeutet, was wir hier tun. Aber das kommt nicht annähernd an das heran, was es für mich bedeutet, was man immer neu entdecken kann, was Platz hat für das, was vielleicht ursprünglich nie so gemeint war, für mich aber Bedeutung hat.
  • Nicht nur im Islam oder im Hinduismus, sondern auch im Christentum gibt es Fundamentalismus. Das ist die Haltung, die meint: Irgendwo am Anfang hätte es eine ganz genau definierte Religion gegeben, und wenn ich exakt an dem überlieferten Wortlaut von Texten festhalte, dann kann ich ganz eindeutig heute die religiöse Wahrheit erkennen und vertreten.
    Das ist eine Versuchung, weil es nicht ganz falsch ist, aber eben auch nicht ganz wahr. Denn einerseits war im Glauben immer auch schon die älteste Tradition lebendige Vielfalt und andererseits ist jedes Sprechen immer auch nur ein Versuch, die Wirklichkeit zu erfassen. Die Eindeutigkeit des Fundamentalismus, gerade wenn er behauptet in der Bibel wäre doch alles eindeutig gesagt, mündet schnell in Sektierertum oder sogar Gewalt.
    Denn wenn die Eindeutigkeit, die sich manche erhoffen und ersehnen, gegen Kritik nicht durchhalten lässt, dann schotten sich die Fundamentalisten entweder von allem ab und igeln sich ein – das sind die Sektierer. Oder sie greifen zur Gewalt, um alles zu vernichten, was ihrer angeblichen Wahrheit widerspricht – religiöser Terrorismus.
    Was in der großen Geschichte religiöser Bewegungen gilt, das gilt häufig auch im Kleinen, in der Frage, wie du deinen Glauben lebst, wie du ihn gegenüber anderen vertrittst, wie du ernsthaft deinen Glauben suchst, dich aber auch infrage stellen lässt.

3. Lob des Jein

  • Es gibt faule Kompromisse. Es gibt aber auch das faule „Ja!“ und es gibt das faule „Nein!“
  • Das „faule Ja!“ drückt sich davor, dass Gott größer ist und seine Schöpfung reicher, deswegen aber auch komplizierter, als sich mal eben einfach sagen lässt. Dieses „Ja!“ hat nichts mit der großherzigen Bereitschaft zu tun, die Jesus von uns fordert und selbst lebt.
    Und es gibt das „faule Nein!“, dem es vor allem darauf ankommt, sich herauszuhalten. Nur nichts riskieren! Das hat nichts zu tun mit dem klaren „Nein!“, mit dem Jesus dem Versucher entgegentritt.
    Es gibt auch den faulen Kompromiss, das „faule Jein!“, das sich davor drückt, sich für eine Sache einzusetzen. „Soll ich’s wirklich machen oder lass‘ ich’s lieber sein?“ – á la Fette Beute.
  • Aber viel öfters, so scheint mir, brauchen wir den mutigen Kompromiss, das offene „Jein!“. Das braucht es dort, wo wir Menschen gemeinsam unterwegs sind. Jein! – ich habe die Wahrheit nicht für mich gepachtet. Das weiß niemand besser als der, der wirklich Gottes Wahrheit und die Wahrheit des Glaubens erfasst. Kompromiss bedeutet vor allem, dass ich den Mut habe, mich nicht durchsetzen zu müssen, sondern zulassen kann, dass auch andere beteiligt werden. Das klingt wie Schwäche, ist aber das Gegenteil. Es ist ein klares, kraftvolles, im Glauben verwurzeltes, von Gott erfülltes „Jein!“.
    Das ist auch die Weise, wie Gott sich in seinem Bund auf uns Menschen einlässt, denn Gott lässt Raum für uns Menschen, Raum für dich, deine Versuche und Experimente, deinen Mut und deine Ängstlichkeit. Gott erschlägt dich nicht mit „Ja!“ oder „Nein!“. Amen.

[1] English speakers may use the terms “yeah but…” or “no but…” to express the idea of “jein”, or even a simple "Well, yes and no" or "Kind of."

[2] Der preußische Zentralasien Forscher Albert von Le Coq, der unrühmlich bekannt geworden ist, weil er bei seinen „Ausgrabungen“ Kunst zerstört und Kunstwerke für ein deutsches Museum geraubt hat.