Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 1. Fastensonntag Lesejahr C 2007 (Deuteronomium)

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25.02.2007 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Vater

  • Mein Vater war ein Nomade. Je nach Jahreszeit zog er mit seiner durchaus stattlichen Herde durch die Gegend und lebte in Zelten. Als eine hartnäckige Dürre uns an den Rand des Verhungerns brachte, erwies sich das durchaus unmoralische Verhalten seiner Söhne als segensreich, denn dadurch war der zweitjüngste nach Ägypten gelangt und konnte den Rest der Sippe nachholen. Das nennt man heute Familienzusammenführung. Zu essen bekamen wir in Ägypten genug, sodass wir uns reichlich vermehrten. Im Gegenzug gab es aber bald nur noch Arbeit, und wurde uns Fremden das Leben denkbar schwer gemacht.
  • Es dürfte deutlich geworden sein, dass ich nicht von meinem leiblichen Erzeuger spreche. Der war sesshafter Landwirt. Der Vater, von dem ich erzählt hatte, lebte vor gut dreieinhalbtausend Jahren. Jakob hieß er; "Israel" wurde er genannt. Er ist Vater des gleichnamigen Volkes. Durch die Taufe darf auch ich jenes Glaubensbekenntnis sprechen, das in der heutigen Lesung Israel aufgetragen ist, zu sprechen beim Erntedankfest, wenn die Erstlingsgaben vor Gott in den Tempel zu Jerusalem gebracht werden.
  • Das Glaubensbekenntnis trifft meine Identität. In ihm sage ich aus, wer ich bin - und das in Dankbarkeit. Ich könnte mich auch über meine Leistung identifizieren, über meine Schönheit, meinen Geisteswitz oder meinen Erfolg, durch die Kinder, die ich habe, oder das Elternhaus, dem ich entstamme. Manche dieser Gründe wären ohnehin unglaubwürdig. Grundlegend aber ist, dass ich mich entscheide, meine Identität anders zu bekennen: Als Glied eines Volkes, in dem ich erfahren kann, dass der Name Gottes Wahrheit ist: Gott ist der "Ich bin da"; Gott ist gegenwärtig und wirkt und ich habe Grund ihm zu danken. Daher die Aufforderung: "vor dem 'ICH-BIN-DA', deinem Gott, folgendes Bekenntnis abzulegen: Mein Vater war ein heimatloser Aramäer".

2. Identität

  • Gott ist der "Ich bin da". Aber wer bin ich? Müsste ich mich nicht erst einmal 'selbst finden' und befreien von übergestülpten, fremden Identitäten? Diese Frage ist für viele - vielleicht für alle in unserer Gesellschaft - drängend und zentral. Dahinter steht häufig unbestimmt die Idee, es müsste so etwas geben wie mein 'Ich', meine Identität noch vor aller Prägung durch andere. Zu belastend ist die Alternative, dass dies Illusion sei und dass wir ganz einfach sind, was wir geworden sind, und dass was uns als Identität vorkommt, sorgfältig von Trendsettern designed ist.
  • Dem gegenüber fordert das Glaubensbekenntnis zu einem bewussten und freien Akt. Durch ein öffentliches Bekenntnis, gebe ich meinem Leben eine Richtung und Identität, nicht unbewusst wie so vieles anderes, sondern bewusst. Wir haben die Chance unser Leben damit in präzis das eine Verhältnis zu bringen, das uns nicht unfrei macht: Dieser Israelit, der seine Erstlingsgabe zum Altar bringt, macht dies nicht als magische Beschwörung einer Gottheit (die Polemik in Vers 14 richtet sich gegen solche Fruchtbarkeitskulte). Er bekennt, dass Gott 'mir' so viel Gutes getan hat aus reiner, unberechenbarer Liebe. 'Mir' hat Gott dies getan, in den Menschen, auf die ich mein Leben zurückführe und in der jüdisch-christlichen Tradition, in die ich mich stelle.
  • Das zeigt der Vergleich mit den Versuchungen Jesu in der Wüste. Dort werden ihm drei Identitäten angetragen - die er auch in sich selbst findet. Jesus hätte sie leicht als sein 'wahres Ich' annehmen können: Sich sagend, ich bin der Steine zu Brot werden lässt, über alle Völker herrscht und dabei spektakuläre Wunder im Namen Gottes vollbringt. Jesus aber entscheidet sich gegen diese Versuchungen und für eine Identität, die sich bestimmt im Rückgriff auf die Geschichte Israels und der Erfahrung, dass Gott sein Leben trägt und rettet.

3. Konsequenzen

  • Das hat Konsequenzen. Die erste ist die Konsequenz im Verhalten gegenüber Fremden. "Du selbst warst fremd", "Du selbst warst Sklave" (vgl. Dtn 10,19; Ex 22,20 u.ö.). Dem mittlerweile sesshaften und zu Wohlstand gekommenen Israeliten erinnert die Bibel an das Schicksal seiner Vorfahren als an seine eigene Vorgeschichte. Mit der Annahme dieser Identität wird die Erfahrung der Erlösung aus der Sklaverei und des Schutzes in der Fremde zum Aufruf, ungerechte Fesseln zu lösen und die Fremden in unserer Mitte zu achten. Fremde Vergangenheit wird eigene Gegenwart.
  • Das öffnet aber den Blick für die zugrunde liegende Konsequenz. Vermutlich hat manchen an dem bisher Gesagten irritiert, wie ich als Christ ein jüdisches Glaubensbekenntnis sprechen kann. Denn anders als bei einem Juden bin ich mit Jakob-Israel, dem heimatlosen Aramäer, nur indirekt verbunden, als Adoptivkind der Familie (und erheblichen Zweifeln in der Familie, ob das mit der Adoption der Heiden in das Volk Gottes so eine gute Idee war...). Die christliche Perspektive hat aber immer daran festgehalten, dass auch das Alte Testament "Heilige Schrift" ist und damit Teil der Identität derer, die Jesus nachfolgen wollen. Die Konsequenz, scheint mir, ist dass ich als Christ für mich den Weg gehen muss, den Israel gegangen ist: Sowohl den Weg der Erinnerung und Befreiung als auch den Weg von dem schlicht gestrickten Gottesbild der Frühzeit über die Erfahrung des Bundes hin zu jenem Wandel der Gotteserfahrung, den die Propheten einläuten und der zu Jesus Christus und der Bergpredigt hinführt.
  • Der Glaube ist kein fertiges Endprodukt. Identität ist im Werden. Es ist nicht die einmalig Willensentscheidung und auch nicht das dauernd einhämmernde "Du sollst dies", "Du sollst das". Es ist vielmehr ein Weg. Der beginnt sehr unterschiedlich. Aber irgendwann stellt sich die Frage: Wer willst Du sein? In welcher Beziehung willst Du leben? Die Bibel ist ein solches Angebot der Identität und das Angebot in die Beziehungsgeschichte Gottes mit den Menschen einzusteigen. Dies ist ein Weg. Jetzt, der Anfang der Fastenzeit, ist gute Gelegenheit die Selbstverständlichkeit alter Identitäten aufzubrechen und Neues zu versuchen. Amen.