Predigt zum 10. Sonntag im Lesejahr A 2008 (Matthäus)
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8. Juni 2008 - Universitätsgottesdienst St. Antonius, Frankfurt
1. Praxis Jesu
- WWJD (Dabbl-ju, Dabbl-ju, Dschey, Di). Leute tragen das als Abkürzung
auf Plastikarmbändern. Bei Youtube finden sich über 500 Filme zum
Thema. Deutsch müsste man abkürzen: WWJT (We, We, Jot, Te): Was
würde Jesus tun? Die Frage findet sich todernst vor allem auf evangelikalen
Webseiten. Bei anderen spürt man das Augenzwinkern. Und wieder andere sind
genervt über Christen, die angesichts von sieben Zahnpastasorten im Supermarktregal
sich inniglich fragen: Was würde Jesus tun? - Uns dann nach einem
Vers im Evangelium suchen, der irgendwie auf die eigene Entscheidungssituation
zu passen scheint.
- Wir sollten uns die Frage nicht vermiesen lassen: Was würde Jesus
tun? Wir dürfen nur nicht die Bibel benutzen wie die meisten Muslime
den Koran und christliche Fundamentalisten die Bibel: Dort läuft der Beweis
immer auf einen Vers hier oder einen Vers dort hinaus. Gott aber hat uns nicht
eingetextet. Ja, Jesus hat keinen einzigen Vers hinterlassen. Er hat kein Evangelium
geschrieben. Nur ein Mal hat er geschrieben, dort aber in den Sand. Sonst hat
Jesus Menschen berufen ihm nachzufolgen. Sie sind den Weg gegangen, den Jesus
gegangen ist. Ja, sie sind darin auch gescheitert angesichts des Kreuzes. Aber
dieser Weg hat sie befähigt, Zeugen zu sein dafür, was Nachfolge bedeutet:
Aus dem Blick auf Jesus leben, sich von ihm rufen lassen, mit ihm gehen. Das
haben sie uns bezeugt. Das ist das Evangelium.
- Auffällig findet sich ein Muster im heutigen Evangelium. Die Pharisäer
fragen die Jünger: "Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern
und Sündern essen?" Aber nicht die Jünger antworten, sondern
Jesus. Wenn das Ereignis etwa zwei oder drei Jahrzehnte später so notiert
wird, dann ist es der Kirche wichtig, dieses Detail zu überliefern. Denn
ein Evangelium ist ein Buch der Nachfolge. Wir, die wir es hören und lesen,
gehen dadurch mit den Jüngern in die Schule Jesu. Wir sind in der Situation,
dass wir gefragt werden "Warum?". Aber nicht unsere Antwort ist gefragt,
sondern die Antwort Jesu. Wir selbst, durch das was wir tun und sagen, sind
berufen durchlässig zu sein für die Antwort Jesu. Was würde
Jesus tun?
2. Meditation
- Wir sind berufen, mit Jesus vertraut zu werden. Das gelingt nicht dadurch,
dass wir versuchen Jesus zu sein. Das gelingt dadurch, dass wir dem Geist, der
von ihm ausgeht, Raum geben, uns zu verwandeln. Das geschieht nicht dadurch,
dass wir uns auf starre Handlungsmuster stützen. Das geschieht dadurch,
dass wir uns hinein nehmen lassen in den Glauben Jesu, in sein Gebet und seinen
Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters.
- Das Evangelium ist die Schule des Glaubens. Was Jesus tun würde beginnen
wir erst dann zu erahnen, wenn wir darauf achten, warum Jesus tut, was er tut.
- Jesus kommt am Zoll vorbei. Er sieht den Zöllner, der längst aufgegeben
hat nach Gott zu suchen, weil er aus der Glaubensgemeinschaft ausgegrenzt wird.
Jesus sieht ihn an. Er sieht, dass dieser Mensch von Gott nicht abgeschrieben
ist. Jesus ruft ihn zur Nachfolge.
- Dann trifft sich Jesus mit vielen, die Zöllner sind und Sünder.
Er riskiert, dass er mit ihnen gesehen wird. Ein Mahl ist damals nichts Privates
hinter verschlossenen Türen. Es ist öffentlich. Damit riskiert Jesus,
dass es so aussieht, als würde er die Sünde gut heißen, und
als sei es ihm egal, wenn Juden im Dienst der Besatzungsmacht einander als Zöllner
schröpfen.
- Das Motiv nennt Jesus selbst. Er ist gekommen - als Sohn des himmlischen Vaters
-, um zu heilen. Auch Ärzte galten den Frommen damals als unrein, weil
sie Kranke berührten. Aber Jesus sieht seine Sendung darin, Unreine, Ausgegrenzte,
Sünder zu berufen. Er pointiert das: "nicht die Gerechten". Denn
wie nur Kranke einen Arzt brauchen, brauchen auch nur die Ausgegrenzten einen,
der sich auf sie einlässt und ihnen ermöglicht, Gemeinschaft zu haben.
Die tiefste Motivation Jesu ist, dass Menschen nicht verloren gehen für
das große Projekt der Gemeinschaft der Kinder Gottes.
3. Was tut Jesus?
- Können wir das auch tun? Sicher. Wir können Menschen sehen, wie
Jesus sie gesehen hat: Nicht als den rettungslosen Sünder, sondern als
das Kind Gottes. Und wir können das als unsere Aufgabe begreifen, was die
Sendung Jesu war: Dass Menschen nicht verloren gehen für das große
Projekt der Gemeinschaft der Kinder Gottes. Diese beiden gehören zusammen:
Die Menschen als Kinder Gottes sehen und das Projekt Gottes, die Menschen zu
sammeln. Daher ist die Kirche eben nicht ein Verein, der angesichts von Mitgliederschwund
Nachwuchswerbung betreiben müsste. Vielmehr hat Gott uns berufen und gesandt,
sein Volk zu sein. Diese Gemeinschaft mit Gott ist das wunderbarste Geschenk,
das sich erdenken lässt. Es ist an uns, mit Jesus zu sammeln und die Sünder
nicht auszuschließen.
- Schon Jesus ist dadurch in zweifelhaften Geruch gekommen. Wer mit Sündern
Mahl hält, der nimmt es nicht so genau mit der Moral. Das Matthäusevangelium
versucht hier unmissverständlich zu sein: In der großen Bergpredigt
Jesu stellt das Evangelium klar, dass Jesus sehr wohl Maßstäbe hat.
Aber diese Maßstäbe wären reiner Terror ohne die Vergebung.
Zur Vergebung der Sünden werden wir getauft. Die Vergebung ist das Herz
der Kirche, denn in ihr wird Gottes Barmherzigkeit gegenwärtig. Das Sakrament
der Versöhnung - die Beichte - ist daher unverzichtbar für die Kirche,
wie Jesus im Sakrament sein Blut gibt "zur Vergebung der Sünden".
- So verschiebt sich die Frage. Wenn wir uns in jeder Lebenssituation fragen,
Was würde Jesus tun?, dann werden wir direkt geleitet zu der Frage:
Was tut Jesus?. Denn wir sind Christen in der Nachfolge Jesu zuerst,
indem wir an uns tun lassen, was Gott uns schenken will: Heilung, Vergebung,
Sammlung. Nur wenn wir uns nicht an die Stelle Jesu setzen, können wir
das weiter geben. Denn die Kirche - wir Getauften! - ist nicht Stellvertreterin
Jesu. Die Kirche ist Werkzeug Jesu. In dieser Gemeinschaft erfahren wir, was
Jesus tut. Und dürfen selbst daraus leben und handeln. Amen.