Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 14. Sonntag im Lesejahr B 2003 (Markus)

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6. Juli 2003 - Hochschulgottesdienst, Kaiserdom Frankfurt

Hulk (2003) von Ang Lee: Alle Marvell-Comics handeln von der Identitätsfindung, dem "eigen"-Sein. In der Verfilmung von Hulk aber kulminiert die Erzählung in dem Vater, der dem Sohn die Energie raubt. Dies ist der Hintergrund, vor dem die folgende Predigt das Evangelium von der Ablehnung Jesu in seiner Heimat liest.

1.Vaterstadt

  • Ein zwiespältiges Verhältnis verbindet jeden von uns mit der Welt seiner oder ihrer Herkunft. Diese Welt und die Menschen in ihr haben uns geprägt. Oft begleitet uns ein Leben lang diese Entdeckung.
    Zugleich aber ist das Leben von Jugend an eine Bewegung weg von dieser Herkunft. Die Herkunft hält uns fest in dem, was wir waren, und macht es uns schwer, einen eigenen Weg zu gehen, gerade weil wir ohne die erste Wegstrecke in der Welt unserer Herkunft gar nicht vom Fleck gekommen wären.
    Was die Übersetzung des heutigen Evangeliums mit "Heimat" wiedergibt heißt im griechischen Original schlicht Vaterstadt. Zwar lässt die Einwohnerzahl dieses Kaffs Nazareth die Bezeichnung "Vaterstadt" etwas deplatziert erscheinen, und "Vaterdorf" klingt etwas merkwürdig. Es ist aber für das Verständnis des Evangeliums nicht unbedeutend, dass hier zweimal das Wort Vater, väterlich vorkommt.
  • Zusammen mit seinen Jüngern kommt Jesus in sein väterliches Dorf. Und von der väterlichen Welt sagt Jesus, dass nirgends ein Prophet so wenig Ansehen genießt wie eben hier, in der väterlichen Welt.
    Jesu ehemaligen Nachbarn aus dem Dorf, in dem er groß geworden ist, staunen über seine Weisheit und seine Wunder. Aber sogleich raunt man, dass man doch Jesu Mutter und Verwandtschaft genau kenne. Josef, der Mann seiner Mutter Maria, wird nicht als Vater erwähnt. Wie jung Jesus war, als dieser starb, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass die Vaterthematik ein roter Faden in der Verkündigung Jesu war.
    Niemanden auf Erden, so hatte Jesus seine Jünger gelehrt, sollten sie ihren Vater nennen (Mt 23,9), nur den im Himmel.
  • War die Erfahrung Jesu das Fehlen eines Vaters seit Kindheitstagen? Wer aus dem Dorf war "Vater" für Jesus; war gar das halbe Dorf in die Rolle des Vaters geschlüpft und hat den jungen Jesus mit den Ansprüchen des regierenden Vaters konfrontiert? Es mag auch sein, dass Jesus die Erfahrung vieler heute geteilt hat, früh schon selbst in die Rolle gekommen zu sein, den eigenen Vater in der Familie ersetzen zu müssen. Ob präsent oder als Leerstelle, Wunschprojektion oder Angsttrauma, der Vater spielt für jeden eine unvertauschbare Rolle.

2. Im Dorf des Vaters

  • Was löst es bei Jesus aus, in das väterliche Dorf zu kommen? Was geht vor, wenn Jesus begleitet von seinen Jüngern in die Welt seines Vaters heimkommt. Man hat dort von dem gehört, was Jesus andernorts gesagt und getan hat. Weisheit und Wunder, heißt es, hat er gewirkt. Auch hier hilft die genaue Übersetzung dem Verständnis. Denn das Wort "Wunder", auch es kommt zweimal in diesem kurzen Abschnitt vor, heißt wörtlich: Macht- oder Krafttaten.
    Das Wort meint durchaus wundersame Heilung, aber es klingt eben die ganze kraftvolle Weise, in der Jesus gehandelt hat in dem Wort mit.
  • Die Menschen an den vielen Orten, an denen Jesus gesprochen und gewirkt hat, haben gespürt, dass in ihm eine dynamis, eine Kraft am Werke ist, die alles Dagewesene in den Schatten stellt. Nicht wie einer der Professoren in der Welt des Hörsaals hat Jesus gesprochen und nicht wie die Priester von ihrer Kanzel. Mit Kraft hat Jesus gesprochen mit dynamis hat der den Dämonen ins Angesicht widerstanden.
  • Viele Bibelgelehrte haben in dem Abschnitt aus dem Markusevangelium einen Widerspruch gefunden und daraus den Schluss gezogen, der Text müsse aus zwei ursprünglich selbstständigen Teilen zusammengesetzt worden sein.
    Der Widerspruch lässt sich in der Tat finden. Denn da folgen Staunen und Ablehnung direkt auf einander. Erst wird von dem Staunen berichtet, das die Heimatleute in Nazareth erfüllte angesichts all der Wunder und Weisheit, von der berichtet worden und die ihnen nun plausibel vorgeführt wird, da Jesus am Sabbat in ihrer Synagoge lehrt. Nur einen Vers steht aber, dass sie Anstoß nehmen an Jesus und ihn ablehnen.
    Ich sehe hier nicht zwei verschiedene Textquellen im Hintergrund, sondern die zentrale Botschaft dieses Evangeliums.

3. Glaube und Unglaube

  • Glaube unterscheidet sich vom Unglauben nicht durch ein mehr an Weisheit und Wundern. Höchste Intelligenz kann wahre Wunder nicht zuletzt der Technik vollbringen. Aber nicht uns solche Fertigkeit zu demonstrieren oder zu lehren ist Gott unter uns Mensch geworden. Vielmehr erleidet Jesus genau das, was viele Menschen erleiden - durch das vielleicht jeder Mensch hindurch muss. Wenn Jesus den Weg nach Nazareth zusammen mit seinen Jüngern geht, dann bedeutet das doch, dass er uns, seine Kirche, und jeden Getauften diesen Weg führt.
  • In der Vaterwelt sind wir definiert. Was wir können, ist uns vorgegeben. Dass wir heutigen unsere Fertigkeit nicht mehr primär vom Vater erlernen, sondern von Bildungsinstitutionen und Medienanstalten, verschiebt die Situation nur, ändert sie aber nicht. Wie früher nach dem Vater gefragt wurde, wird heute nach Bildungsabschlüssen und Praktika gefragt, um über unsere Chancen zu entscheiden. Es ist eine mächtige väterliche Welt, die je stärker desto mehr, genau das bewirkt, was das Evangelium beschreibt: "Er konnte dort keine Wunder tun".
    Denn die Menschen in seiner Vaterwelt staunen zwar über seine Wunder. Sofort aber ordnen sie ihn ein in seine Herkunft. "Woher also hat er das?" Schuster bleib bei deinen Leisten, und dich, Zimmermann sollte man festnageln an das Holz, das zu zimmern du gelernt hast. Diese klein-kleine Welt von Nazareth will von keiner anderen Herkunft wissen und will keine andere Quelle der Weisheit und der Kraft kennen.
  • Dies ist der Unglaube der Leute von Nazareth. Sie trauen Gott nichts zu. Sie wissen nicht um die radikal verändernde Kraft von Gottes Geist. Der Kirche von heute und uns kleingläubigen Christen, die sie bilden, täte es gut, von Jesus mitgenommen zu werden nach Nazareth. Vielleicht würde die Erfahrung dieser Nachbarschaft uns die Augen öffnen für die klein-kleine Welt, mit der wir uns begnügen oder auf die wir uns von all den Vater-Institutionen und Vater-Geistern festhalten lassen. In Nazareth wird augenfällig, wie diese Welt dort sogar Jesus die Kraft aus den Knochen ziehen will. "Nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie", heißt es am Ende.
    Seine Jünger nimmt Jesus wieder mit, als er Nazareth verlässt. Sie will er zu einer anderen Freiheit führen. Sie lehrt er allein Gott Vater zu nennen und zu Gott als unserem Vater zu beten. In Nazareth wurde augenscheinlich, welche Befreiungstat das war. Amen.