Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 15. Sonntag im Lesejahr A 1999 (Matthäus)

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11. Juli 1999 - St. Cyriakus, Habitzheim

1. Alltagsgleichnisse

  • Ein Mensch fährt zur Arbeit. Bis zum Bahnhof mit dem Auto, dann weiter mit dem Zug. Während seine S-Bahn in die eine Richtung einfährt, um ihn, Station für Station, zur Arbeit zu bringen, fährt vom selben Bahngleis gegenüber der Euro-City nach Mailand ein, der Zug in den Süden.
    Es gibt ganz alltägliche Dinge, die jeden Tag passieren und nichts außergewöhnliches an sich haben. Kein Mensch macht sich Gedanken darüber, am wenigsten vielleicht ich selbst. Immer wieder stehe ich auf. Immer wieder tue ich meine Arbeit. Immer wieder gibt es Dinge zu tun. Es ist wichtig, dass sie getan werden, aber es gibt keinen Grund länger darüber nachzudenken. Die Dinge sind, wie sie sind.
    Wer käme darauf, in den beiden Zügen, die zur gleichen Zeit vom Bahnsteig abfahren, ein Bild zu sehen. Wer würde sehen, dass hier ein Mensch auf den glitzernden, verheißungsvollen Zug verzichtet, weil er weiß, dass er eine Aufgabe hat und ihr nachkommt. Wer käme darauf in diesem Menschen ein Bild Gottes zu sehen, der nicht mit dem Glitzerzug wegbraust, sondern mit uns fährt, Station für Station.
  • Das Bild ist sicher nicht so gut gewählt, wie das Gleichnis vom Sämann im Evangelium. Ein Mann sät Weizen auf das Feld. Aber auch dies ist eigentlich eine ganz alltägliche (oder alljährliche) Situation. Nichts besonderes, nichts Aufregendes, nichts Göttliches. Wenn wir den Text aus der Bibel nicht schon gehört hätten, wer von uns käme auch nur auf die Idee, dahinter das große Bild zu sehen, das Jesus seinen Jüngern erklärt.
  • Mit der Erklärung Jesu wird aber aus dem simplen Bild vom Sämann ein großartiges Gemälde vom Wort Gottes in der Welt. Das einfache und alltägliche Beispiel entpuppt sich als ein Gleichnis des viel Größeren. Es wird selbst mehr als es ist. Im Grunde genommen ist es sogar unmöglich, dass die einfachen Dinge "nur" einfache Dinge bleiben, wenn so Alltägliches zum Gleichnis des Göttlichen werden kann. Jeder Bauer muss darum zittern, dass er jeder Handgriff den er tut, unversehens zum Zeichen des Göttlichen wird, und das simple Warten auf den Zug und die Entscheidung für eine bestimmte Bahn kann zum Bild großer Entscheidung des Lebens werden.

2. Das Leben ist mehr als die Oberfläche

  • Aber das Evangelium vom Sämann ist anstößig. Jesus erzählt das Gleichnis allen Menschen - aber nur seinen Jüngern erklärt er es. Was kann man darin anderes sehen als Arroganz und Ungerechtigkeit? Warum nur enthält Jesus den anderen Menschen den Sinn des Gleichnisses vor? Nicht im Geringsten wird irgend jemand von uns es als Privileg verstanden haben, dass wir die Erklärung des Gleichnisses hören (hören dürfen!), während die Zuhörer damals nur das Gleichnis, nicht aber die Deutung hörten.
  • Vielleicht geht es aber gar nicht um erklären, sondern um sehen. Vielleicht liegt die Erklärung des Gleichnisses vor uns, nur wie die Perlen vor den Säuen. Worum es nämlich im Eigentlichen geht, ist nicht gelehrte Erklärung, sondern Sehen.
    Niemand, auch Jesus nicht, kann die Welt jemand erklären, der sie nicht sieht. Natürlich: die Oberfläche sehen alle. Bauern gehen (oder fahren) auf das Feld und säen. Und? Dinge passieren, mein Leben passiert. Und? Menschen werden geboren und sterben, erleben, erleiden, erfreuen, erlahmen. Und?
    Und: das Leben ist mehr als die Oberfläche, gerade das alltägliche. Es braucht aber Augen, das zu sehen. Genau das meint Jesus, wenn er sagt, dass es Menschen gibt, die Augen haben, und doch nicht sehen, und Ohren, und doch nicht hören. Euch aber, uns aber, sollte es gegeben sein, zu sehen und zu hören. Nicht weil wir Erklärungen bekommen haben, sondern weil uns der Glaube das Geschenk macht, die Welt nicht nur mit den Augen der Welt zu sehen, sondern mit den Augen Gottes. Und dann offenbart gerade das seine tiefere Bedeutung, was sonst als unbedeutend, allzu alltäglich übersehen wird. Dann wird das zum Bild des Größeren, was nicht mit Erfolg und Ansehen glänzen kann.
  • Wenn Menschen Biographien schreiben, wenn üblicherweise ein Leben gewürdigt wird, dann werden die besonderen Ereignisse hervorgehoben, dass was sich sehen lässt, was hervorragt aus dem Alltäglichen. Wenn Gott unsere Biographie schreibt, dann ist dies ganz anders. Dann ist das Zwiebelchen, das ich verschenke, die Treue im Alltäglichen, das Leiden und Erleiden, das scheinbar so Graue und Alltägliche, dann erscheint all dies in den golden Buchstaben, in denen Gott unsere Biographie schreibt. Das, was nach den allgemeingültigen Maßstäben übersehen wird ist es, was die Engel mitschreiben für die Ewigkeit.

3. Das Gleichnis vom Sämann

  • Die Kraft der Gleichnisse Jesu kommt daher, dass er den Alltag ernst nimmt und auf Gott hin transparent macht. Es lohnt sich aber, das Gleichnis Jesu noch etwas genauer anzuschauen.
    Ich verstehe vielleicht nicht allzu viel von Landwirtschaft, aber so viel weiß auch ich, dass der Sämann, der uns da vorgestellt wird, nicht zu den Erfolgreichsten seiner Zunft gehören dürfte. Denn wer das Saatgut blindlings ausstreut, ohne darauf zu achten, wohin der Samen fällt, lässt es nun allzu deutlich an bäuerlicher Klugheit fehlen.
  • Deswegen ist das Gleichnis Jesu mehr als nur, die Erde durchscheinend zu machen auf den Himmel hin. Es ist auch das Gleichnis eines anderen und widersprechenden Elementes. Das Gleichnis vom Sämann ist eigentlich das Gleichnis vom unvernünftigen Sämann - oder das Gleichnis vom großzügigen Sämann. Denn der Himmel ist nicht einfach ein mit Goldlametta behangenes Abbild unserer Welt. Es ist Gott eine Großzügigkeit und ein Vertrauen zu eigen, dass jeden Bauern in den Ruin treiben würde.
    Gerade in diesem Abweichen, in diesem Widerspruch im Alltäglichen wird Gottes Gegenwart für uns deutlich: dort wo die Vernunft und das Berechnende durchbrochen wird, und sei es auch nur im Gleichnis, ist die Welt bevorzugt ein Tor zum Himmel, ist mehr zu sehen, als nur das, was die Oberfläche zeigt.
  • Die Kraft Gottes ist bis heute das Alltägliche. Denn das Alltäglichste, das es gibt, wird für Gott zum Zeichen und Werkzeug seiner Gegenwart für uns und unter uns. Es ist das Brot. Wenn sich Gott in diesem Brot in unsere Hand legt, dann ist dies das Gebet Gottes aus dieser Welt heraus: das Alltägliche, das den Himmel aufscheinen lässt, ganz ohne Gleißlicht der Scheinwerfer und Trommelwirbel. Ganz einfach dadurch, dass es aus unserem Alltag stammt und von Gott geheiligt wird. Amen.