Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 15. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Amos/Markus)

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16. Juli 2000 - St. Michael, Göttingen

1. Verstoßene Propheten

  • Der königliche Hofprophet Amazja will dem Amos eine letzte Warnung geben: Amos ist nicht willkommen. Gerade weil Amos darauf beharrt, von Gott selbst berufen zu sein, ist seine Botschaft beim König unerträglich. Dass Amos die Ungerechtigkeit im Königreich Israel angeprangert hat - das war schon schlimm genug. Amos ist ein Außenseiter, vom Land, nie auf der Prophetenschule gewesen und nicht am Tempel zu Bet-El als königlicher Reichsprophet approbiert. Da lässt man ihm manche Absonderlichkeit durchgehen. Jetzt aber ist er zu weit gegangen. Er soll verschwinden. Er soll ausweichen in das Südreich Juda, das vom nördlichen Israel getrennt sein Heiligtum auf dem Zion in Jerusalem hat. Hier im Nordreich Israel ist Amos unerwünscht; für sein Leben kann nicht mehr garantiert werden.
  • Letzten Sonntag hatten wir gehört, wie Jesus in seiner eigenen Heimatstadt Nazaret auf Unglauben und Ablehnung stößt. Einem aus ihrer Mitte wollten die Leute die Botschaft Gottes nicht abnehmen. Heute aber hören wir von einem Propheten, den Gott ebenfalls aus der Mitte des Volkes berufen hat, Amos.
    Er war Bauer, züchtete Vieh, baute Feigen an. Einen solchen hat Gott sich ausgesucht, dem Nordreich der Stämme Israels Unheil anzusagen: Die Ungerechtigkeit im Staat, dass einige immer reicher und andere immer ärmer werden, wird Unheil gebären. Dieses Reich kann keinen Bestand haben. Dieses Land wird dem Volk weggenommen. So soll Amos verkünden, mitten im Volk. "Geh nach Süden, ins Reich Juda", fordert Amazja von Amos, "Dort tust du nicht weh, dort bist du ein Fremder".
  • Kann sein, dass es Amazja gut meint mit Amos. Kann aber auch sein, dass hier ein staatlich bestallter Prophet Angst hat vor dem Seher, dem Gott sich offenbart. Denn Amazja gehört zu einen Typus, den es zu allen Zeiten gegeben hat: Er ist ein Priester, ein Prophet, der sich an die Mächtigen verkauft hat. Die Kirchengeschichte kennt sie zur Genüge, die waffensegnenden Hoftheologen, die die Theologie für die Zwecke ihrer Brotgeber zurecht biegen und das Evangelium verfälschen. Die Hoftheologen sind der Versuchung erlegen, dem Vergnügen das es bereitet, ganz nahe bei der Macht zu sein, wichtig zu sein, eingeweiht zu sein, nicht einer von denen-da-unten, sondern einer von denen-da-oben.

2. Mission

  • Jesus schickt die Zwölf aus. Zu Zweien schickt er sie, weil sie Zeugen sein sollen. Alle Zwölf schickt er, weil das neue Israel auf dem Fundament der Zwölf gebaut werden muss. Mit Vollmacht schickt er sie aus, aber nicht mit Macht. Mit dem Auftrag, die unreinen Geister auszutreiben, schickt sie Jesus - aber ohne alle Hilfsmittel.
    Wenn Jesus die Zwölf ausschickt ohne alle Hilfsmittel, dann ist genau das das Heil- und Hilfsmittel. Es ist das Heilmittel gegen die Gefahr einer Verfälschung der Botschaft durch die Boten. Die Botschaft von der bedingungslosen Umkehr kann nur von Boten verkündet werden, die sich bedingungslos senden lassen. Die Frohe Botschaft für die Armen kann nur verkündet werden, wenn die Boten glaubwürdig sind in ihrem Auftreten. Was Inhalt der Botschaft ist soll zeichenhaft gelebt werden im Boten.
  • Das Evangelium, so gelesen, lässt die Missionare der Kirche im Jahr 2000 schlecht aussehen. Nicht einmal einen Photokopierer zum Vervielfältigen des Pfarrbriefes scheint Jesus seinen Jüngern zu gönnen. Jede finanzielle Ausstattung der Pfarrei spreche der Sendung Christi Hohn.
    Ganz so ist es nicht. Eine solche radikale Lesart des Evangeliums hat vor allem die Funktion, einer Rundumkritik Munition zu liefern, eine Radikalität des Evangeliums zu bezeugen - und den Effekt zu haben, dass dann alle Ideale in eine Höhe gehoben wurden, in der sie nicht mehr erreichbar sind. Wenn es denn Ideale sind.
    Mich stört diese Lesart nicht, weil sie radikal ist, sondern weil sie nur einen Teil des Evangeliums zur Kenntnis nimmt und nicht das ganze.
  • Ja, es stimmt, Jesus sendet seine Jünger mit Minimalausstattung aus: Sandalen an den Füßen, Wanderstab in der Hand. Was Jesus ihnen nicht mitgibt sind Reserven und Vorräte. Kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel und kein zweites Hemd.
    Aber Jesus sendet seine Jünger nicht ins Nichts und nicht ins Nirgendwo. Er sendet sie zu seinem Volk Israel, er sendet sie in die Dörfer, er sendet sie zu den Leuten. Jesus setzt also voraus, dass die Boten, die er sendet, aufgenommen werden. Ja er geht sogar davon aus, dass den Zwölfen so viel Aufnahme angeboten wird, dass sie in die Versuchung kommen, von einem Haus in das andere zu wechseln - was sie nicht tun sollen.

3. Zeugen und Zeugnis

  • Die Armut, in der Jesus seine Zwölf sendet ist also nicht Selbstzweck, sondern steht in enger Verbindung mit der Sendung. Die Sendung ist: geht zu den Menschen. Ihr seid gesandt mit Vollmacht. Ihr seid die von mir ausgewählten und berufenen Zwölf. Ihr seid die Grundsteine, die Apostel und Bischöfe des Reiches, das ich gründen will. Aber es ist kein Reich in den Palästen, sondern ein Reich unter den Menschen. Mitten unter ihnen. Unter ihnen sollt ihr also leben und verkünden. Auf sie sollt ihr angewiesen sein.
    Ob danach die Kirche im Jahr 2000 besser aussieht. Sicher nicht viel. Aber gegenüber einer substanzlosen Kritik an der "reichen Kirche" - wer ist das? - ist hier der Kern der Sendung Christi. Die Kirche soll reich sein, denn die Kirche das sind die Menschen, die Gottes Wort hören, die sich von Gott anrühren und heilen lassen, die Gott in den Sakramenten begegnen und ihn bekennen. Das ist die Kirche.
    Für die Menschen und aus der Mitte dieser Menschen beruft Christus seine Zwölf Apostel und von ihnen her leitet sich das besondere Priestertum inmitten des priesterlichen Volkes der ganzen Kirche ab. Diese sollen so leben und verkünden, dass sie angewiesen sind auf das Volk und die Menschen, zu denen sie gesandt sind. Keine Vorratstasche - "weil ihr aufgenommen werdet bei den Menschen".
  • Die Armut, in der Jesus seine Zwölf sendet ist also nicht Selbstzweck, sondern steht in enger Verbindung mit der Sendung, aber auch mit dem Inhalt der Botschaft. Denn was anderes verkündet Jesus als die Nähe des Reiches Gottes, das zur Umkehr drängt und zur Gerechtigkeit ruft, weil Gott selbst nahe gekommen ist. Gott selbst ist Einer-von-uns. Das ist das Evangelium. Das sollen die Jünger verkünden. Nicht am Hof des Herodes ist der Heiland geboren, sondern im Stall von Betlehem. Nicht am Hof des Königs sollen daher die Boten sein, sondern unter den Menschen.
    Die Zwölf, die Jesus sendet, sendet er aus mit Vollmacht. Sie sind Einer-von-Gott. Wer aber diesen Gott verkündet, kann dies nicht irgendwie tun. Botschaft und Bote müssen zueinander passen. Wenn Gott selbst Einer-von-uns geworden ist, dann sendet er seine Boten nicht mit Geldbeutel und Vorratstasche, sondern in die Häuser derer, die die Boten hören wollen.
  • Jesus gibt den Jüngern auch den Plan B mit: für den Fall, dass sie an einem Ort nicht aufgenommen werden, dass man sie an einem Ort nicht hören will. Das gab es und das gibt es. Interessanterweise sagt Jesus nicht, dass es vorkomme, dass jemand die Botschaft nicht aufnehmen und die Botschaft nicht hören will. Er bindet die Botschaft auch hier ganz an den Boten: "Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter, und schüttelt den Staub von euren Füßen, zum Zeugnis gegen sie."
    Dies klingt uns hart. Es ist hart. Es ist aber dann ganz in Ordnung, wenn bis dahin die Zwölf streng nach Plan A verkündet haben: mit Vollmacht, aber als Einer-von-uns. Gesandt von Gott, aber als Gott unter den Menschen. Als Priester und Propheten, aber nicht als Kofferträger der Mächtigen, sondern als Boten des einen wahren Gottes, wahrer Gott vom wahren Gott, der Einer-von-uns geworden ist. Amen.

 


Literaturhinweis:
Häring, Bernhard: Heute Priester sein. Eine kritische Ermutigung. Freiburg, Basel, Wien (Herder) 1995, besonders S. 27ff.