Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 16. Sonntag im Lesejahr A 1999 (Matthäus)

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18. Juli 1999 - St. Barbara, Krakau

1. Zwang oder Hang zum Urteil

  • Es gibt einen alten Satz in der Ethik: Niemand könne gezwungen werden, gegen seine Natur zu handeln. Wie bei allen Sätzen der Ethik, wird es dann erst richtig kompliziert. Denn was ist das schon "meine Natur"?
    Man könnte sich auf die Bibel berufen und sagen, dass es zur "Natur" des Menschen gehört, die Dinge beim Namen zu nennen. Denn der Schöpfer selbst hat den Menschen dazu gemacht und aufgefordert. Die Gabe der Sprache, die Dinge voneinander sortiert und scheidet, ist uns daher von der Schöpfung her mitgegeben. Wir benennen, unterscheiden, bewerten und legen fest. Nur so können wir als Kulturwesen in dieser Welt bestehen. Wer nicht unterscheiden kann, kann auch nicht leben.
    Vor allem müssen wir unterscheiden, was zu tun und was zu lassen ist, was nützt und was schadet, was vom Guten und was vom Bösen ist. Diese Unterscheidungsgabe ist die wesentliche Voraussetzung für ein gutes, gelungenes Leben.
  • Das Evangelium vom Unkraut unter dem Weizen scheint aber nun genau die Aufforderung zu sein, das bleiben zu lassen. Sehenden Auges sollen wir das Unkraut wachsen lassen.
    Der Herr hätte seine Knechte ja erst einmal loben können. Sie machen ihn darauf aufmerksam, dass dort, wo er guten Weizen gesät hat, mittendrin auch Unkraut wächst. Das Gleichnis betont sogar, dass dieses Unkraut in übler Absicht und absichtlich von einem Feind des Herrn gestreut wurde. Hier wird versucht, das, was an Gutem begonnen wurde, zu sabotieren: aus Neid, um des eigenen Vorteils oder Ansehens willen oder einfach nur, weil jemand nicht mit ansehen kann, dass da (beim Nachbarn!) Gutes wächst.
  • Es wären also die Knechte zu loben, die das Unheil sehen und abwenden wollen. Sie wollen das Unkraut ausreißen, damit auf dem Acker nichts als der gute Weizen steht.

2. Bauernweisheit - Staatsklugheit

  • Im Gleichnis ist die Antwort des Herrn schlichte Bauernweisheit. Dieses Unkraut hat seine Wurzeln und die sind so mit dem Weizen verschlungen, dass man den Weizen mit ausreißen würde, wollte man das Unkraut jetzt entfernen.
  • Die Übertragung dieser Erfahrung auf andere Lebensbereiche birgt aber den eigentlichen Sprengstoff. Denn Jesus macht nichts anderes als sich von einer law and order-Politik zu distanzieren. Dem Vorschlag, reinen Tisch zu machen, setzt er das Bedenken entgegen, wie viel Gutes damit gleichzeitig zerstört wird. Das Ergebnis einer effektiven Vernichtung des Unkrauts wäre der blanke, tote Ackerboden.
  • Der übereifrige Wunsch, das Unkraut auszujäten, ist vielleicht auch eine Externalisierung. Weil es mir bei mir selbst nicht gelingt, klar zu unterscheiden, was gut und was böse ist, möchte ich wenigstens bei den anderen keine Zweideutigkeiten lassen. Die Mitmenschen sehe ich mit Distanz, und mit Distanz sieht man bekannterweise klarer. Aber gerade die Unklarheit bei mir selbst sollte mich vorsichtig machen, bei anderen - in der Kirche (die anderen! die Progressiven! die Konservativen!), in der Gesellschaft (die Verbrecher! die Medien!), in der internationalen Politik (die Serben! die Fundamentalisten!) oder wo auch immer - zu meinen, es ließe sich alles so klar unterscheiden, das Böse zu konzentrieren (dafür baut Menschen sogar Lager) und dann gewissenhaft auszusondern.

3. Ohnmächtiges Zuwarten

  • Wir sind durch unsere eigene Unvollkommenheit gehindert, oder sollten es zumindest sein. Die Lesung aus dem Buch der Weisheit bietet nämlich einen wichtigen zusätzlichen Aspekt zum Evangelium. Das Zuwarten des Herrn, die Geduld Gottes ist nämlich genau nicht Ausdruck seiner Unfähigkeit und Machtlosigkeit.
  • Der Machtlosigkeit des Menschen entspricht vielmehr das hektische Bemühen um Ordnung. Je weniger man tatsächlich ausrichten kann, desto wilder wird mit allen möglichen Maßnahmen gedroht und gefuchtelt.
  • Der Macht Gottes hingegen entspricht die souveräne Fähigkeit abzuwarten. Gott ist der Herr der Welt und kann und wird richten. Aber in der Zeit erweist sich Gott als zuwartend, dem anderen gönnend, liebend. Die Ohnmacht der geduldigen Liebe erweist sich so als mächtiger. Amen.