Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 16. Sonntag im Lesejahr C 2016 (Lukas, Terroranschlag Nizza)

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17. Juli 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Der nahe Tod

  • Zum zweiten Mal gedenken wir hier Verstorbener, zwei Mal innerhalb weniger Tage. Doch wie verschieden sind die Anlässe. Letzte Woche stand hier das Bild von Martina Severin-Kaiser, Hauptpastorin unserer Nachbarkirche und vielen von uns durch ihr unermüdliches Wirken in der Einheit der Christen in Hamburg bekannt. Sie starb mit 57 überraschend an dem, was man eine natürliche Ursache nennt. Heute steht an der selben Stelle die Erinnerung an über achtzig Opfer eines Verbrechens, das weit weg von hier in Nizza geschah und dennoch uns durch die vielen Verbindungen unserer Kirche nach Frankreich besonders nahe ist. Nichts ist natürlich an dieser Untat.
  • Vielleicht sind in den Tagen dazwischen Menschen gestorben, die Ihnen nahe stehen, jung oder alt, an einer Krankheit, an Altersschwäche gestorben. Abstrakt wissen wir, dass unser Leben nah am Tode ist. Dennoch werden wir davon erschüttert, vor allem, wenn wie in Nizza ein Mensch willentlich und absichtlich andere mordet, weil sein Geist vergiftet wurde durch Hass und Propaganda. Die Ereignisse in der Türkei der letzten beiden Tage sind noch so frisch und verwirrend, aber wir ahnen, dass auch hier im Hintergrund letztlich Hass, menschliche Überheblichkeit und die Sucht, sich über andere zu erheben steht. Und wieder sterben Menschen in großer Zahl.
  • Der Tod lässt sich nicht einordnen, schon gar nicht statistisch. Dass wir uns von ihm erschüttern lassen, macht uns zu Menschen. Dass Gott selbst in Christi Kreuz am eigenen Leib den Tod erlitten hat, ist das bleibende, unauslotbare Mysterium. Da stehen wir: Zwischen dem Erleben des Todes und dem Mysterium des Glaubens.

2. Die inszenierte Tat

  • Das besondere an den terroristischen Morden ist nicht die Zahl der Opfer. Sonst würden wir über die Gefahren des Straßenverkehrs sprechen, vor dem wir statistisch viel mehr Angst haben sollten als vor Terroristen.
    Das besondere ist die Inszenierung. Seit 9/11 ist uns bewusst, dass diese Mörder nicht aus irgendeiner finsteren Vergangenheit kommen, sondern Teil unserer modernen Gegenwart sind, in der Menschen meinen ihren Wert daraus zu ziehen, dass sie sich besonders spektakulär inszenieren. Moderner geht es nicht. Die blutige Realität wird vom Bildschirm auf die Straße geholt, damit sie als Tat eines Menschen auf den Bildschirmen erscheint, der sich damit selbst inszeniert.
  • Das soll keine Schuldzuschreibung an die Medien oder dergleichen sein. Es gibt viel Faktoren, die zusammen kommen, ehe so etwas wie vor drei Tagen in Nizza geschieht. Im letzten war es ein Mensch, der verantwortlich ist für sein Tun. Er muss sich vor dem ewigen Richter verantworten. Wie immer dies aussieht: Vor Gott ist das Leid der Opfer ganz sicher nicht vergessen.
  • Deswegen ist es gut, dass auch wir hier gedenken. Es ist ein wichtiges Zeichen für die französischen Gemeindemitglieder unter uns. Es ist gut für uns alle, die wir dankbar dafür sind, dass wir gemeinsam in einer freien Gesellschaft leben wollen. Unser Gedenken soll nicht Teil der Inszenierung der Tat sein, sondern ein stilles Gedenken, das deutlich macht: Die Opfer auch dieser Tat sind nicht vergessen und uns ist das wichtig, was durch den Terror als verwundbar vorgeführt wird.

3. Gottes Gegenwart hören

  • Wir haben in diesem Gottesdienst genau die Lesungen aus der Bibel gehört, die nach der Leseordnung für heute vorgesehen sind. Aber wir hören - immer - diese Texte aus dem Moment und der jeweiligen Situation heraus.
    • So höre ich von der Gastfreundschaft des Abraham und weiß, dass diese Szene unweit von Hebron im Westjordanland spielt. Und ich denke an den auch jetzt weiter um sich greifenden Hass dort - obwohl die Menschen im Glauben mit Abraham verbunden sein wollen.
    • So höre ich, dass der Apostel Paulus das, was er in der Verfolgung erleidet, in Bezug setzt zum Leiden Christi und zu dem, was sein Dienst und seine Aufgabe für die Gemeinschaft der Kirche ist. Und ich frage mich, wie ich denken und fühlen würde in seiner Situation und wie ich selbst heute meine Aufgabe in der Kirche sehe.
    • Und ich höre im Evangelium von Marta, die sich müht Jesus zu bewirten, und von Maria, die sich zu ihm setzt und ihm zuhört. Und Jesus sagt von ihr: "Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden."
  • In der Situation, in die hinein hier und heute dieses Evangelium gesprochen ist, wird deutlich: Wenn wir als glaubende Menschen leben wollen und diesem Gott vertrauen, der in Jesus gegenwärtig ist, dann muss vor allem Tun das Hören stehen. Denn Jesus möchte die Mühen der Marta nicht herabwürdigen. Vielmehr kommt alles Tätige und alles Mühen auch einer Marta nur dann zu seinem Ziel, wenn am Anfang das andere steht: wie Maria sich ganz in die Gegenwart des Herrn begeben, ein hörendes Herz ausbilden und innerlich aufmerksam werden auf diesen Herrn, der selbst Opfer der Gewalt und des Terrors geworden ist. Dieses Herrn gegenwärtig werden zu lassen, muss für einen Christen immer das Erste sein.
  • Was immer an Handlung von uns verlangt wird. Was immer persönliche oder politische Konsequenzen aus diesem Erleben des Todes und jenem Verbrechen des Terror ist. Wenn unser Handeln aus dem Hören kommt, weiß ich, dass ich mich nicht durch den Tod und nicht durch den Terror bestimmen lassen möchte, sondern allein durch den, dessen Liebe und Glaube und hoffendes Vertrauen den Tod überwunden hat. Im Blick auf Gott und nicht getrieben durch die Inszenierung von armseligen Hass-Tätern sollten wir leben und unser Zusammenleben gestalten, Gastfreundschaft üben und Leiden in Treue tragen - kurz die Menschen sein, die wir sein wollen als Kinder Gottes. Amen.