Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 16. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Lk)

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17. Juli 2022 -

1. Provokation

  • Jesus provoziert zum Nachdenken. Er stellt Selbstverständlichkeiten infrage. Besonders gerne unterläuft er moralische Weisheiten. Deswegen versteht man ihn nur, wenn man sich in Frage stellen lässt. Wer bei Jesus nur nach Formeln und Gewissheiten sucht, wird ihn nicht verstehen.
  • Nicht nur zu seiner Zeit hat Jesus provoziert: Dienst am Gast gehört immer schon zu dem Wertvollsten, das wir einander schenken können. – Deswegen kann auch das Alte Testament die Gottes Begegnung von Sarah und Abraham im Bild der orientalischen Gastfreundschaft darstellen. Es gibt genug stellen in Evangelium, die belegen, dass Gastfreundschaft auch für Jesus wertvoll war.
  • Doch durch seine Provokation bringt uns Jesus dazu, darüber nachzudenken, was die Voraussetzung für gelungene Gastfreundschaft ist. Und das ist eine hochaktuelle Frage. Denn wie alle anderen Dienstleistungen ist auch Gastfreundschaft in unserer Zeit vor allem erst einmal kommerziell. Die meisten 'Gäste' sind heute zahlende zahlende Gäste, auch wenn sie noch so herzlich gegrüßt werden. Zu meinen, dass das unsere 'normale' Gastfreundschaft“ nicht verändert, ist naiv. Wir gewöhnen uns nur daran, nur das zu sehen, was käuflich und marktfähig ist.

2. Dienstleistung

  • Eine große Zahl von Dienstleistungen, die früher wie selbstverständlich ein Geschenk waren, das jeder man machen konnte, sind heute kommerzielle Leistung. Es gibt für alles und jedes ausgebildete Experten, die uns zu Diensten sein wollen. Auch die christliche Nächstenliebe – immerhin einer der zentralen Vollzüge der Kirche – ist in unserer ausdifferenzierten Gesellschaft oft nur noch möglich, wenn sie von ausgebildete Profis geleistet wird.
  • Das hat alles gute Gründe. Das soll nicht schlecht gemacht werden. Aber es ist wichtig das Faktum zu sehen und zu verstehen: Kinder lernen nicht mehr zu Hause, sondern in der Schule. Das Wissen, das ihre Eltern ihnen vermitteln könnten, gilt als unzuverlässig. Auch Nachhilfe gibt es daher besser gleich vom Profi. Das „Lebenswissen“ der Älteren ist wenig wert. Und wo vor Schule und Kitas Kinder ihren eigenen Eltern überlassen sind, kommen diese nicht ohne eine ganze Bibliothek von Fachliteratur, Experten-Videos und Beratung aus.
    Kochen und Kuchen backen. Fahrrad reparieren und Schuhe neu besohlen. Steuererklärungen verfassen und Berufsplanung. Haare schneiden und Computer installieren. Für alles und jedes gibt es Experten, die uns zu Diensten sind. Das hat oft nicht mit unserer Inkompetenz zu tun, sondern weil die Dinge wirklich kompliziert geworden sind. Alleine das Haftungsrecht macht deutlich, welches Risiko es ist, Dinge selbst zu tun statt sie den Fachleuten zu überlassen.
    Ein wenig nur wird das mittlerweile unterwandert durch die Möglichkeit, die jedem offen steht, sich im Internet zum Experten aufzuschwingen. Doch das ist ein Thema für sich.
  • Bei der großen Zahl von mögliche Dienstleistungen haben wir das Gefühl, dass es für jeden Wunsch, den wir haben, ein Angebot gibt (auch wenn wir es uns vielleicht nicht leisten können). Marketing ist die perfekte Technik, mit der Anbieter herauszufinden, was wir, die 'Kunden', wollen. Dann werden wir in dem Gefühl gebadet, dass es unsere ganz persönlichen Wünsche wären, die da bedient werden. Dass unsere Wünsche letztlich nur noch marktgerecht sind, wird dabei geschickt überspielt. Wir denken, wir könnten, kaufen was wir wollen – und können doch zunehmend nur wollen, was zum Kauf angeboten wird. Was wir wirklich wollen, ist dann verschüttet, auch wenn wir spüren, dass es nicht zu kaufen ist, sondern nur ein Geschenk sein kann.

3. Da sein

  • Die Ökonomisierung und der Wandel vom Dienst am Nächsten zur Dienstleistung ist kein Thema, das Jesus damals schon gehabt hätte. Und trotzdem hat er mit seiner Priorität für Maria einen wichtigen Akzent gesetzt. Seine Wertung lautet:"Maria hat den guten Teil gewählt". Ihre Schwester "Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen (περιεσπᾶτο) zu dienen." Das ist genau die Engführung, die immer schon problematisch ist. Marta macht. Sie macht es gut. Doch sie macht ohne zuvor zu hören. Doch Jesus nimmt es ihr daher gleichsam weg1, damit sie entdeckt, dass man nicht alles machen kann. Marta erfüllt eine Rolle und Aufgabe – aber sie hat gar nicht Zeit gehabt, auf den Gast zu hören, dem sie eifrig dient.
  • Von ihrer Schwester heißt es: "Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu." Auch hier ist es wichtig zu sehen, dass das keine Einbahnstraße ist: als sondere Jesus nur fertige Wahrheiten ab und Maria lernt. Vielmehr bewirkt ein echtes Zuhören etwas im Anderen. Auch Jesus wusste nicht immer schon alles. Er war ganz Mensch wie wir und brauchte daher Menschen wie Maria, die durch das Geschenk ihrer Zeit ihm helfen, sich selbst und seine eigene Sendung zu sehen und zu verstehen. Das gelingt nur, wenn das Zuhören offen ist, frei und ohne Hintersinn. Maria ist einfach nur da.
  • Das ist die Form der Zuwendung, die für Geld nicht zu haben ist. Das ist keine Dienstleistung mehr, die auch professionalisiert werden könnte. Solches Hören und das einfache Da-Sein ist vielmehr die Grundlage dafür, dass unsere Beziehungen auf Freundschaft beruhen, nicht auf Berechnung. Das Zuhören der Maria entwertet nicht den Dienst der Marta. Im Gegenteil: Erst beide zusammen sind wertvoll. Wir können das ganz einfach daran ermessen: So etwas ist für Geld nicht zu haben.

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1Περιεσπᾶτο bedeutet, dass die Aufmerksamkeit abgezogen ist. Es leitet sich von der Wurzel σπάω ab: (ein Schwert) ziehen. Jesus wird Marta also gesagt haben: "Lass mal stecken!".