Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 17. Sonntag im Lesejahr B 2012 (Epheserbrief)

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29.Juli 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Einheit

  • Portal des Kleinen Michel in Hamburg: "Servate unitatem spiritus in vinculo pacis""Servate unitatem spiritus in vinculo pacis", steht seit 1955 auf Latein über dem Kirchenportal des Kleinen Michel in Hamburg: "Dient der Einheit des Geistes in den Fesseln des Friedens" Damit wird ein Zitat aus der heutigen Lesung aus dem Epheserbrief aufgenommen. Luther übersetzt das aus dem griechischen Original des Neuen Testamentes: "Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens".
    Das "Band" sind wörtlich tatsächlich "Fesseln". (In Rom heißt eine Kirche aus dem 5. Jahrhundert San Pietro in Vincoli und erinnert an die Ketten, mit denen Petrus im Gefängnis gefesselt war.) Die Fessel des Friedens will uns Paulus also anlegen, damit wir durch sie die "Einheit des Geistes" wahren. Diese Einheit ist ihm ein hohes Gut. Die Einheit soll bewahrt werden. Das bedeutet: Sie ist schon da, es braucht aber Aktivität, um sie zu bewahren.
  • Man muss sich dazu nur einmal klar machen, wie unsere Wahrnehmungsorgane automatisch funktionieren: In Bruchteilen von Sekunden sehen wir, wenn unter lauter dunkelhäutigen ein Weißer ist oder unter lauter Weißen ein Schwarzer. Wir sind genetisch auf die Wahrnehmung von Unterschieden getrimmt, und damit hat uns ohne Frage die Evolution viele Vorteile verschafft. Aber aus eben diesem Grund braucht es Aktivität um wahrzunehmen, was uns mit einander verbindet. Die simple Tatsache, dass wir alle Menschen sind, und dass alle Menschen Teil der einen Schöpfung sind, ist so selbstverständlich, dass wir sie leicht übersehen.
  • Die Einheit, von der Paulus im Epheserbrief spricht (*), ist uns vorgegeben. Wir alle sind Teil der einen Schöpfung und der einen Menschheit. Damit sind die Unterschiede nicht aufgehoben, aber es ist deutlich, dass vor allen Unterschieden die Einheit ist.
    Dies gilt in besonderer Weise für die Getauften. "Ein Glaube und eine Taufe" verbindet uns. Dabei sind wir durch die Taufe nicht 'gleicher' als alle Menschen. Vielmehr sind wir durch die Taufe sozusagen in die Einheit aller 'eingetreten' und bestätigen dies in jeder Feier, in der wir bekennen: Es ist "ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist." Gott ist es, der zur Taufe beruft, Christus ist es, der die Taufe spendet, der eine Heilige Geist ist es, der in uns wirkt.

2. Tugenden

  • Das Bemühen um die Einheit ist eine Aktivität, die Paulus zusammenfasst: "Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren." Es ist also der "Geist", die innere Kraft und Wirklichkeit, die uns zusammenhält und in dem wir uns um diesen Zusammenhalt bemühen sollen. Dem widerspricht nicht, dass es äußere Zeichen und soziale Strukturen braucht, in denen dieser Geist erfahrbar wird. Gerade im Epheserbrief wird betont, dass in der sichtbaren Kirche und im Gottesdienst diese Einheit wachsen und werden kann. Aber dahinter steht die Dynamik des Geistes.
  • Drei Tugenden führen zu dieser Einheit: Demut, Milde (friedfertig sein) und Langmut (geduldig sein). Die Grundlage ist die Demut. Das Wort war in der griechischen Antike geradezu ein Schimpfwort. Demut wurde als niedere Gesinnung gesehen. Es brauchte daher viel Selbstbewusstsein der Christen, um gerade dieses Wort zu verwenden. So wie Jesus betont hat, dass er gekommen ist, um "Sklave" zu sein, so wollen die Christen im Dienst aneinander leben. Paulus stellt sich ja selbst vor: "Ich, der ich um des Herrn willen im Gefängnis bin". In den äußeren Fesseln sieht er verwirklicht, dass er sich ganz in den Dienst Christi stellen lässt. Der Glaube an Christus stellt die Wirklichkeit auf den Kopf (oder eben doch vom Kopf auf die Beine): Wer bereit ist, sich in der Nachfolge Christi zum Sklaven zu machen, ist der eigentliche Souverän!
  • Aus dieser Demut folgen Milde und Langmut. Es ist die Bereitschaft, einander zu tragen und die Fähigkeit, Verschiedenheit nicht nur auszuhalten, sondern bewusst anzunehmen. Das Gegenteil von Milde ist Unbarmherzigkeit. Das Gegenteil von Langmut ist jene Haltung, die nicht ertragen kann, wenn es nicht nach der eigenen Pfeife geht, und das sofort! Überwunden werden diese Haltungen nur, wenn wir nicht über einander richten und herrschen wollen, sondern "einander in Liebe" tragen und - manchmal auch - ertragen.

3. Person

    • In all dem kann ich leben. Ja, es ist der Weg, auf dem ich überhaupt erst ich selbst bin. Denn ich bin als Mensch nicht für mich allein, sondern Teil in einem größeren Ganzen. Das mögen auch manche Philosophien und esoterischen Theorien so sehen. Aber es geht nicht darum, dass ich als Teil im Ganzen aufgehe oder die Einheit sich in das große Nirwana auflöst.
    • Vielmehr erreiche ich dadurch, dass ich mich in Demut, Langmut und Milde zurücknehme, dass ich mich als Teil der Wirklichkeit finde, die einen Ursprung und eine Hoffnung hat. Die Glaubensformel "ein Gott und Vater aller" bekennt, dass Gott eben nicht 'nur' der Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte ist, sondern jedem einzelnen Menschen in einzigartiger Weise wie ein guter "Vater" oder eine liebende Mutter begegnen will.
    • In dem Maße, in dem wir die "Einheit des Geistes" bewahren, bewahren wir uns selbst. Deswegen verwirklicht sich auch die Liebe dort, wo wir sind und leben, nicht in einem kosmischen Gefühl. In der von Demut getragenen Begegnung verwirklicht sich der Friede. Und dieser Friede, sagt der Epheserbrief an anderer Stelle (2,14), ist Christus selbst, Gottes unter uns Mensch gewordenes Wort. Sehen, wie er die Menschen sieht, und lieben, wie er die Menschen liebt, ist allein das Fundament. Amen. 





      Anmerkung

* Viele Exegeten gehen derzeit davon aus, dass der Epheserbrief wie der Kolosserbrief nicht von Paulus selbst, sondern von Schülern verfasst wurden, machen aber deutlich, dass selbst, wenn dies zutrifft, auffällig ist, wie sich die Briefe darum bemühen, der Lehre des Paulus treu zu sein, wenn sie sie auf neue Fragestellungen anwenden.