Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 18. Sonntag im Lesejahr C 2019 (islamistischer Terrorismus)

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31. Juli 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Tödlich

  • Ein Mord an einem Priester in einer Kirche, das hat sogar das laizistische Frankreich erschüttert. Und mich auch. Dabei ist mir klar, dass es nicht das erste Gotteshaus ist, das angegriffen wird. In Syrien und Irak wurden nicht nur christliche Kirchen Ziele der selbsternannten Gotteskrieger, sondern sind es regelmäßig und mit verheerenden Folgen Moscheen.
  • Für die Fanatiker dort ist alles, was nicht ihren Vorstellungen von radikalem Monotheismus entspricht, dem Untergang zu weihen. Das betrifft den in ihren Augen behäbigen konservativen Islam, der das Ideal verraten hat, ebenso wie uns, die Ungläubigen.
  • Die Fundamentalopposition gegen alles, was etabliert ist, macht die Ideologie des IS weltweit so attraktiv. Das Phänomen kennen wir von Donald Trump über den Brexit bis zu hiesigen Volksabstimmungen. Wenn alle Etablierten - Politik, Wirtschaft und Medien - dafür sind, muss etwas faul daran sein.
    Der IS muss sich daher so wenig um islamische Theologie kümmern, wie Donald Trump um politische Inhalte. Statt dessen werden vom IS gezielt die Ästhetik von menschenverachtenden Computerspielen, die Inszenierung von Hollywood-Action und die Möglichkeiten von Selbstdarstellung in Zeiten des Internet zu einem tödlichen Mix verwoben. Tödlich für ganze Landstriche im Irak und in Syrien. Tödlich für einen alten Priester in einer Kleinstadt in Nordfrankreich.

2. Ängstlich

  • Immer mehr Menschen haben Angst. Darüber liest und spricht man allerorten. Das führt leider nicht dazu, dass wir diejenigen besser verstehen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, weil diese Angst Tag für Tag und in der unmittelbaren Heimat begründet war. Vielmehr besteht die Gefahr, dass diese Menschen nun auch hier und ein weiteres Mal Opfer derer werden, vor denen sie nach Europa geflohen sind. Ihre und unsere Erfahrung der Angst verbindet leider nicht, sie trennt und spaltet.
  • Weiter: Es hilft wenig zu erklären, dass unsere Angst hier vergleichsweise irrational ist. Die Gefahr bei einem Verkehrsunfall zu sterben ist weit höher (letztes Jahr 3.459). Und trotzdem fahren wir Auto. Ja, selbst schon die Gefahr, sich beim Essen zu verschlucken und daran zu ersticken ist um ein vielfaches höher (ca. 600 in Deutschland/Jahr). Und trotzdem frühstücken wir entspannt. Doch diese Gefahr inszeniert sich nicht. Der Terror hingegen wirkt immer erst durch die Angst, die er medial herstellt. Deswegen ist er so "modern", weil er sich der modernen Kommunikationsmittel bedient. Dadurch wird ein Mord in einer Kleinstadt irgendwo in Europa zur Quelle der Angst in Kleinstädten überall.
    Fataler Weise macht das diese Taten für manche so verlockend. Der IS ist ein Mediendienstleister für entwicklungsgestörte Jugendliche: Wenn Du mordest, weil du keine Freundin findest, schaffst Du es nur in die Lokalzeitung. Wenn Du uns die Pressemeldung überlässt, erreichst Du die große, große Bühne! Es braucht gar nicht die von der Organisation selbst geplanten Attentate. Es reicht, eine Internet-Plattform zur Verfügung zu stellen.
  • Es kommt aber eines hinzu: Auch wenn es wie bei dem Amokläufer in München die gewaltgestörten Jugendlichen gibt, die sich rechtsradikaler und neonazistischer Parolen bedienen, um ihre Allmachtsphantasien auszuleben, so geschieht derzeit doch der meiste Terror im Namen des Islam. Das macht die Angst vor dem Terror so gefährlich, weil dieser einen Zusammenprall der Kulturen und Religionen bezweckt. Wenn wir mitmachen und unsere Angst vor Terror undifferenziert auf alle Muslime übertragen - dann gibt es zwei Gewinner: Die islamistischen Terroristen und die Europäischen Rechtsradikalen. Alle anderen verlieren, das christliche Abendland auch. Deswegen ist ein Zugehen auf die mindestens so sehr verunsicherten Muslime bei uns die einzig richtige Antwort. Das kann jeder von uns, jederzeit. Das passt zu dem, was uns wichtig ist.
    Dass daneben politische, juristische und polizeiliche Maßnahmen gegen Gewalt nötig sind, weiß ich. Dass die muslimische Gemeinschaft weltweit erst am Anfang steht, zu sehen und zu ergründen, warum ein (theologisch oft unterentwickelter) Islam für diese ideologische Pervertierung so anfällig ist, das wird auch den europäischen Muslimen mehr und mehr bewusst. Da können wir von außen wenig helfen, am wenigsten mit pauschaler Ablehnung.
    Auf jeden Fall sollte alles, was wir tun bitte nicht von der Logik der Angst, sondern von effektiver Sorge bestimmt sein. Dann schaffen wir das.

3. Dämonisch

  • Ich bin mit dem Gesagten weit über meine Kompetenz als Pfarrer hinaus gegangen. Wir brauchen das Gespräch über diese Themen, gerade auch unter uns und in unseren Kirchen. Nur gemeinsam können wir herausfinden, wohin das Evangelium leitet und wozu der Herr uns ruft.
  • Ich kann das Gesagte aber auch theologisch fassen und bin damit unmittelbar bei dem Wirken Jesu. Denn wer immer das Evangelium liest, wird feststellen, dass die Auseinandersetzung mit den Dämonen und der Sieg über diese Abergeister der Lüfte zum Kern des Wirkens Jesu gehört. Das, was ich über die Wirksamkeit der Angst gesagt habe, über die Macht, die sie gewinnen kann, ist genau damit gemeint. Dämonen sind nur so stark, wie wir sie stark sein lassen - statt uns dazu zu bekennen, dass Gott allein mächtig ist, auch und gerade dort, wo Gott in der Liebe bis zum Kreuz ohnmächtig ist. Christen können die irrationale Angst bekämpfen, indem sie den Namen des Herrn anrufen, der das Kreuz auf sich genommen hat.
  • Ich bin mir sicher, dass eine gelebte christliche Spiritualität die Angst überwindet. Ich bin mir sicher, dass eine Politik, die auf Angstparolen verzichtet und nüchtern auf das konkret Machbare schaut und es umsetzt, der einzige Weg ist, all den Dämonen keinen Raum zu lassen, die unsere Herzen verführen wollen. Ich bin mir sicher, dass das eine Aufgabe nicht nur heute ist, sondern eine, die uns noch lange begleiten wird.
    Seit zweitausend Jahren sind wir unter das Zeichen des Kreuzes gestellt. Es war damals von den Römern inszeniert, um Angst zu machen. Seit zweitausend Jahren ist aber genau dieses Zeichen ein Zeichen, das Menschen hilft, Gott zu vertrauen, gerade in schweren Zeiten. Amen.