Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 19. Sonntag im Lesejahr B 2012 (1. Buch der Könige)

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12. August 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Elija

  • Elija sitzt in der Wüste. Mehr als einen Ginsterstrauch hat er nicht gefunden. Der Schatten wird kaum ausreichen, ihn vor der brennenden Sonne zu schützen. Elija ist allein. Er wünscht sich den Tod. Sein Gebet ist nur noch: "Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben."
  • [Wer im Alten Testament der Bibel im Ersten Buch der Könige nachliest, um zu wissen, warum Elija so verzweifelt ist, wird irritiert sein. Da finden sich ganz verschiedene, sogar gegensätzliche Motive. Diese sehr frühe Begebenheit aus dem 9. Jahrhunderts v. Chr. wurde 500 Jahre lang mündlich erzählt, bevor sie in der heutigen Form aufgeschrieben wurde. Offensichtlich sind dabei verschiedene Erzählungen zusammen gewachsen. Aber gerade deswegen, weil der Text nicht so eindeutig ist, konnte er seit dem zu einem Stück der Bibel werden, das Menschen wieder und wieder in das Gebet geführt hat. Gläubige Menschen haben ihn gelesen, meditiert und diskutiert. Sie haben damit gebetet und ihr eigenes Leben vor Gott gebracht, indem sie eigene Erfahrung und eigenen Glauben in den Text hinein getragen haben. Der Text wurde so für das Volk Gottes, Israel und die Kirche, zu Heiliger Schrift, ja zum "Wort Gottes", in dem der lebendige Gott uns begegnet.]
  • Elija ist der "Mann Gottes" (1Kön 17,24 u.ö.), der Erfolg hatte gegen den menschenfressenden Baals-Kult. Elija ist aber auch der Prophet, der verfolgt wurde und nur wenige Schüler gefunden hat. Elija ist der leidenschaftliche Kämpfer dafür, dass nur der eine, JHWH, Gott ist; sein Elija Name schon bedeutet dies: "Gott ist JHWH". Aber jetzt sitzt er in der Wüste unter dem eher mickrigen Ginsterstrauch und wünscht sich den Tod - aber warum? Mehrere Motive sind denkbar.

2. Motive

  • Elija hatte Erfolg als Prophet. Das ist richtig. Aber er hat dabei auch Schuld auf sich geladen. Es war ein überzeugender Auftritt um einen hohen Preis. Auch wenn er es sich selbst nicht eingesteht (und auch der biblische Text nicht so richtig), so ist sein Erfolg doch nicht so eindeutig. Zwar hat er sich durchgesetzt und die Gegner bezwungen. Aber er hat nicht überzeugt, sondern sich letztlich nur durch nackte Gewalt durchgesetzt. Vertrauen in Gott sieht anders aus.
    Elija in der Wüste unter dem Ginsterstrauch ist vielleicht der Zweifler. Er könnte mit seinem Leben zufrieden sein. Das geht aber nur, wenn er die Schattenseiten ausblendet. Der biblische Text gibt einen Hinweis auf dieses Motiv der Todessehnsucht: "Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter." In dieser Sicht hat Elija trotz seiner Erfolge Todessehnsucht. Es geht ihm wie einem Menschen, der nach außen vieles erreicht hat, sich aber innerlich leer und ausgebrannt fühlt, weil er um den Preis des Erfolges weiß. Er weiß, wie seine Beziehungen, seine Familie oder seine Integrität bei all dem Erfolg unter die Räder geraten ist.
  • Oder auch: Elija ist der Verfolgte. Er fühlt sich als Opfer. Er ist mit seiner Mission gescheitert. Er hat nicht die Anerkennung gefunden, die er gesucht hat. Die Umstände seiner Zeit waren gegen ihn. Er hätte so viel erreichen wollen und können, wenn die Engstirnigkeit der Anderen sich ihm nicht in den Weg gestellt hätten. Sein Blick ist ganz darauf fokussiert, was er nicht erreicht hat, was ihm verwehrt oder genommen wurde.
    In dieser Variante der Geschichte ist Elija das klassische Opfer. Er kennt sich nur noch als Opfer der Anderen und kann über nichts Anderes mehr nachdenken. Daher seine Todessehnsucht.
  • Die Bibel ist für beide Varianten der Geschichte offen, und vielleicht noch für andere mehr. Sie lädt damit den Betenden ein, seine eigene Geschichte in die biblische Geschichte einzutragen und sich vom deren Fortgang führen zu lassen. Denn die biblische Geschichte von Elija erzählt ja zuerst, dass Elija in die Wüste geht. Das ist von Alters her ein Symbole für das Beten, in dem ich mich aus dem Alltag herausnehmen und in die Unwägbarkeit der Wüste führen lasse. So mickrig der Ginsterstrauch auf den ersten Blick scheinen mag, er bietet doch den Ort, an dem sich Elija vor seinem Gott mit sich selbst auseinandersetzt.

3. Brot

  • "Doch ein Engel rührte ihn an". [Das Wort "Engel" bedeutet zunächst einmal: "Bote". Gott ist nicht ein Teil dieser Welt; aber er wirkt durch Boten, die er sendet. Wenn die Bibel von Engeln spricht, ist sie sehr zurückhaltend. Es bleibt oftmals offen, ob dieser Bote ein Lichtwesen ist, dass übersinnlich wahrgenommen wird, oder ob sich Gott eines anderen Menschen als Boten bedient. Denn Gottes Gnade wirkt auf Erden immer vermittelt durch seine Schöpfung. So auch hier.]
    Auf jeden Fall wird Elija in seiner Verzweiflung und Todessehnsucht durch einen Boten Gottes berührt. Dieser weist ihn darauf hin: Hier ist Brot und Wasser. "Steh auf und iss!" Elija bleibt ganz bei sich, aber er stellt sich hin, isst und trinkt, bevor er sich wieder hinlegt.
    Das ist das Erste: Der betende Elija erfährt, dass Gott ihn durch einen Engel berührt, und ihm so die Kraft gibt aufzustehen, und mit dem, was ihm geschenkt ist, zu sich selbst zu kommen. Dann legt er sich wieder hin. Noch braucht er Ruhe, ganz für sich.
  • "Doch der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich." Wieder berührt ihn Gott durch seinen Boten. Wieder wird Elija aufgefordert, sich auf die eigenen Beine zu stellen. Und wieder ist da Brot, das ihn nährt und kräftigt. Aber jetzt kommt etwas Entscheidendes hinzu. Elija wird aus seiner lähmenden Selbstbezogenheit befreit. Er hat einen Weg zu gehen; es kann dabei offen bleiben, wohin genau der Weg führen wird. Und Elija macht sich auf.
  • "Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb." Dies ist der Berg, auf dem Gott dem Mose erschienen war, und wo Gott sich dem Mose offenbart hatte; der Name Gottes ist JHWH, "Ich bin da". Das Ziel der "vierzig Tage und vierzig Nächte" des Weges ist dieser Ort, an dem Elija erfahren wird, dass sein Gott mit ihm geht. Mit dem Brot hat Gott ihm die Kraft gegeben, diesen Weg zu gehen.
    Dieses Brot kann ein Wort aus der Bibel sein, aber auch das Wort oder die Geste eines anderen Menschen, der Gottes Engel ist. Dieses Brot kann die Tröstung oder innere Stärkung sein, die Elija im Gebet erfährt. Es stärkt ihn wie Brot und erfrischt ihn wie Wasser.
  • Jesus wird später sagen: "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist." Das Brot der Stärkung, das Elija gegessen hat, weist auf dieses Brot hin, das Gott uns gibt. "Nehmt und esst alle davon, das ist mein Leib." Es ist Gottes Gegenwart in Jesus Christus, seinem Leben, seinen Worten, seiner Hingabe - alles zusammen in seinem Leib, den er uns im Sakrament der Eucharistie gibt, damit wir Kraft haben, den Weg zu gehen. Amen.