Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 19. Sonntag im Lesejahr C 2004 (Lukas)

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8. August 2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius

1. Die lange Bank

  • Es gibt sie wirklich, die lange Bank. In Wetzlar ist sie zu besichtigen. Dort steht noch heute die lange Holzbank, auf der bis zur Auflösung des Reichskammergerichtes im Jahr 1806 die zu bearbeitenden Prozessakten abgelegt wurden. Berühmt und bespottet war die Zahl der Klagen, die in Wetzlar "auf die lange Bank geschoben" wurden. Im Unterschied zu heutigen Gerichten war das Reichskammergericht chronisch unterbesetzt und unterfinanziert und musste man daher unter Umständen sehr lange auf ein Urteil warten. Manche Urteile ließen Jahrzehnte auf sich warten. Manche Prozesszeit kann man sogar in Jahrhunderten messen.
  • Was machen die Prozessparteien, während sie auf das Urteil warten? Bei den geschilderten Umständen empfahl es sich nicht, untätig zu bleiben und des Gerichtsentscheides zu harren. Das könnte lange dauern. Es empfiehlt sich daher zu warten und dennoch zugleich das Leben weiter zu leben. Man konnte sich in der Tat auf die Qualität der Urteile am Reichskammergericht verlassen; es dauerte halt nur recht lange. Also ist es das Vernünftigste, sich bis dahin so zu verhalten, wie man meint, dass es mit dem erwarteten guten und gerechten Urteil zusammenstimmt.
  • Wir können nicht warten, bis alles geklärt ist. Wir müssen und können unser Leben heute gestalten und so handeln, wie es gut, gerecht und vernünftig ist. Was ergäbe es für einen Sinn, auf die gerechte Entscheidung eines Gerichtes zu warten - und derweil all die Maßstäbe zu missachten, die ich an ein gerechtes Urteil anlegen würde? Die Erwartung eines gerechten Urteils kann daher eine gute Motivation sein, jetzt schon gerecht zu handeln.

2. Das Evangelium vom Warten

  • Der Abschnitt, der an diesem Sonntag aus dem Lukasevangelium gelesen wird, ist recht lang. Es lohnt, sich erst einmal einen Überblick zu verschaffen.
    • Die Lesung beginnt mit einem Vers, der gut an den vorangehenden Teil anschließt, der versucht Mut zu machen zum Vertrauen in Gott. Nur bei Lukas steht dieser Vers: "Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben."
    • Darauf folgt die Aufforderung, sich einen "Schatz im Himmel" zu verschaffen, einen "Geldbeutel, der nicht zerreißt", indem man seine Habe verkauft und den Erlös den Armen gibt. "Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz."
    • Daran schließt sich ein erstes Gleichnis an: Wir sollen sein wie die Knechte und Mägde eines antiken Hauses, dessen Herr zu einer Hochzeit in der näheren Umgebung verreist ist. Noch in der Nacht wird er zurückkommen. Ihn sollen die Bediensteten erwarten, denn, so lautet die überraschende Begründung, wenn der Herr zurück kommt, dann wird er, der Herr, die Mägde und Knechte bedienen, wird ihnen eine Freudenfest bereiten.
    • Ein zweites, ganz anders geartetes Gleichnis Jesu hat Lukas hier angefügt, in dem betont wird, dass die Wiederkunft des Herrn überraschend und unkalkulierbar kommt: "wie ein Dieb in der Nacht".
    • Das dritte Gleichnis wird ausgelöst durch eine Frage des Petrus, der für die Apostel und damit für die Leitung der späteren Kirche fragt. In diesem dritten Gleichnis macht Jesus über das bisher Gesagte hinaus deutlich, dass von jenen, denen in der Kirche Verantwortung gegeben wurde, auch mehr erwartet wird. Es ist ein deutliches Wort an all die, denen in der Kirche ein Leitungsamt anvertraut wurde.
  • In allen Teilen dieses Evangeliums geht es um die Frage: Wie sollen wir leben, jetzt in dieser Zeit, nachdem Jesus von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist? Wie sollen wir leben, als Gemeinschaft der Kirche, die an Jesus Christus glaubt, ihn aber nicht wie die Jünger damals in ihrer Mitte hat? Vor allem: Wie sollen wir leben, wenn wir im Glauben bekennen, dass wir auf die Wiederkunft Christi und damit das Ende der Geschichte und der Welt, wie wir sie kennen, warten?
  • Die erwartete Wiederkunft Christi ist das Zentrum dieses Evangeliums. Aus dieser Erwartung hat die junge Kirche gelebt. Aber wir sollten uns nichts vormachen. Für uns als heutige Kirche spielt diese Erwartung weder intellektuell noch gefühlsmäßig eine ähnlich zentrale Rolle. Die knapp zweitausend Jahre, die verstrichen sind, haben schon längst dazu geführt, dass wir uns eingerichtet haben. Wir gehen - nicht ohne Grund - davon aus, dass das Ende der Welt für uns selbst, als Individuen, mit unserem leiblichen Tod zusammenfällt. Weit stärker als die Erwartung der Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten, beschäftigt die Christen nach den Anfangsjahren die Frage, wie wir diesem individuellen Ende entgegengehen und wie wir im Tod vor unserem Schöpfer stehen werden.

3. Hoffnung und Freude

  • Es wäre schade, wenn der Geschmack des Evangeliums verloren ginge. Es wäre etwas verloren, wenn wir im Zusammenhang mit dem Sakrament der Gegenwart Jesu unter uns nicht mehr das Geheimnis des Glaubens besingen würden: "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit." Es wäre schade, denn dann ginge uns der Geschmack dafür verloren, dass der Glaube ein Fest der Gemeinschaft ist und es auch die Gemeinschaft ist, in der wir darauf hin leben, dass sich der Glaube erfüllt und das Reich vollendet wird, um dessen Kommen wir in jedem Vater Unser beten.
  • Das Evangelium spricht aus der inneren Zeit des Reiches Gottes. Unser Lebenszeit messen wir in den Jahren seit unserer Geburt. Die Zeit der Geschichte strukturieren wir in Jahren und Jahrhunderten. Die Zeit Gottes aber ist die Gegenwart, getragen von den Ereignissen der Vergangenheit, hindrängend auf die Zukunft. Niemand von uns weiß den Tag und die Stunde, in der sich die Welt vollendet und Christus vor allen Völkern erscheint. Wir können aber versuchen, jeden einzelnen Tag unseres Lebens davon prägen zu lassen, dass wir nicht alles auf die lange Bank schieben, sondern so leben, als würde ganz bald, ganz plötzlich Gottes Reich in seiner Fülle gegenwärtig.
  • Das ist eine freudige Erwartung. Lesen Sie das Evangelium noch einmal und merken Sie, dass hier nicht Angst vor dem Kommenden herrscht, sondern Hoffnung. Die Umwertung der Werte, dass Gott der Herr selbst uns bedient und beschenkt, soll sich erfüllen. Die Zusage steht: Unser Vater im Himmel hat fest "beschlossen, uns das Reich zu geben." Damit sind wir jetzt schon frei, alles loszulassen, was wir noch angesammelt haben, um uns ängstlich in dem vergangenen Zeitalter einzurichten. Hier, an diesem Ort, feiern wir bereits das Mahl der Zukunft. Amen.