Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 2. Adventssonntag Lesejahr A 2004 (Römerbrief)

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5. Dezember 2004 - Hochschulgottesdienst Kaiserdom Frankfurt

1. Geduld, Trost, Hoffnung

  • Vor Enttäuschungen kann man sich leicht schützen. Man muss nur seine Erwartungen herunterschrauben. Für wen jeder erwartungsvolle Blick in die Zukunft ohnehin eine Täuschung ist, der braucht keine Enttäuschung zu fürchten. Er wird sich mit einer gehörigen Portion Zynismus durchs Leben schlagen und auf die Leute herabsehen, die immer noch warten auf das, was das Leben bereithält.
  • Die Erfahrung ist oft ein gutes Argument der Zyniker. Es fällt leicht, die lange Liste enttäuschter Hoffnungen auszubreiten. Dabei fällt aber auf, dass ein und diesselbe Wirklichkeit von verschiedenen Menschen ganz verschieden wahrgenommen wird. Das betrifft nicht nur Einzelne, sondern auch die Stimmung ganzer Kulturen. Ich spreche nicht von dem berühmten Glas Bier, das für die einen halb voll und die anderen halb leer ist. Da muss man halt nüchtern feststellen, dass im 0,4-Liter-Glas nur 0,2 Liter Bier drin ist. Nein, hier ist die Frage, welcher Leitfaden uns und mir hilft, das Leben mit seinen Erwartungen und Enttäuschungen zu deuten.
  • Von Erwartung sprechen die Lesungen des zweiten Advent. Sie tun es in einer Tiefe, die auszuloten sich lohnt. Denn, so schreibt Paulus "alles, was einst geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben". Die Heilige Schrift, das war für Paulus wie für Jesus der Teil der Bibel, den wir das Alte Testament nennen. Alles, was dort zu lesen ist, können wir lesen als sei es für uns und unsere Situation geschrieben, wie damals den Christen von Rom, für die Paulus seinen Brief verfasst hat. Es ist für uns geschrieben, damit wir durch die Geduld und den Trost dieser Heiligen Schriften Trost haben.

2. Treue

  • Paulus nennt Gott den "Gott der Geduld und des Trostes". Diesem Gott begegnet er, wenn er die Heilige Schrift liest. Sie ist das Fundament, von dem aus er Ausschau hält auf die Zukunft. Die Erfahrungen, die dort festgehalten sind, geben ihm Orientierung, um die Gegenwart zu verstehen und zu deuten.
  • In der Heiligen Schrift kommt alles vor, Heil und Segen, Unheil und Zerstörung. Manches Mal ist es geradezu schockierend, dass die Bibel keine menschliche Situation auslässt. Die Bibel benennt die Wirklichkeit. Aber sie kennt auch ungeheure Verheißung. Und sie stellt uns Menschen vor, die auf diese Verheißung hin leben- egal ob durch die Schuld und Gewalt anderer Unterdrückung herrscht, oder ob das Volk Gottes voll Scham auf die eigene Geschichte zurückblicken muss. Die Bibel ermöglicht uns zugleich zu sehen, dass es für das Leben Orientierung gibt, um zu wissen, was trägt, was gut und gerecht ist.
  • Der Grund, warum biblische Menschen Geduld und Trost haben können, ist Gottes Geduld. Davon spricht die Bibel: Gott lässt sich durch nichts abbringen von seiner Treue zu seinem Volk. Er ist der Gott der Geduld, denn er liebt die Menschen. Deswegen kann etwa der Prophet Jesaja selbst angesichts der Ruinen Jerusalems Hoffnung haben, dass der Baum, so alt und knorrig er ist, ja sogar der gefällt Baum noch Wurzeln hat, die in Verbindung sind zu dem lebendigen Wasser. Gott gibt diesen Baum nicht auf . "Ein junger Trieb aus seinen Wurzeln" wird Frucht bringen. Gott bleibt treu. Ihr werdet es sehen.

3. Einander annehmen

  • Der ganze Römerbrief dreht sich im Kern um eine Frage: Wenn ein großer Teil Israels den Messias nicht angenommen sondern abgelehnt hat, hat Gott dann sein Volk verstoßen? Paulus treibt diese Frage um, denn er selbst ist ein Kind dieses Volkes, wie alle Apostel und nicht zuletzt Jesus selbst. Belehrt durch die Heilige Schrift ist sich Paulus sicher, dass Gott sein Volk nicht verstoßen hat. Auch wenn das Evangelium bei den anderen Völkern, den Heiden, besser ankommt als bei Jesu eigenem Volk: die Liebe Gottes hört dadurch nicht auf. Für Paulus steht und fällt mit diesem Punkt die "Wahrhaftigkeit Gottes". Um dieser Wahrhaftigkeit, um dieser Treue willen ist Gott Mensch geworden im Stall von Betlehem.
  • Diese Geduld Gottes ist der Grund unserer Hoffnung. Gott gibt uns nicht nur einfach ein gutes Beispiel, dass wir geduldig sein sollen, wie er geduldig ist. "Die Völker rühmen Gott um seines Erbarmens willen", Gott bleibt sich treu. Seine Geduld ist der Grund unserer Hoffnung. Denn Gottes Treue kann wirklich das Fundament sein, darauf zu vertrauen, dass das Unheil nicht obsiegt. Nicht die Enttäuschungen müssen der Maßstab sein, auch wenn wir sie in aller Nüchternheit sehen sollen. Aber dahinter wird immer Gottes Treue sichtbar.
  • "Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes". In diesem Satz ist zusammengefasst, was es bedeutet, als Christ aus dem Glauben zu leben. Wir sind berufen, eine Gemeinde zu sein, die auf der Geduld Gottes aufbauend nicht müde wird, nach seinem Gebot der Liebe zu leben und darauf aufzubauen. Nicht die Schwäche der anderen, sondern die Stärke des Glaubens, den Gott uns schenkt, ist im Letzten das Entscheidende. Gott selbst ist der Grund unserer Hoffnung. Amen.