Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr A 2005 (Matthäus)
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20. Februar 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
1. Bibelfundamentalismus
- Das Evangelium von der Verklärung ist eine Herausforderung für Fundamentalisten. Christliche Fundamentalisten sind
Leute, die sich auf einzelne Sätze der Bibel stürzen, den Kontext und die Art des Textes vergessen und sich ihre eigenen
Theorien machen. So werden etwa die sechs Tage der Schöpfung zu einem Kalendereintrag der Naturwissenschaft und
so wird die Verklärung Jesu zur Herausforderung.
- "Noch während Petrus redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie". Der Vers ist eine Herausforderung
für Fundamentalisten. Gefragt, wie es denn möglich sei, dass eine leuchtende Wolke Schatten wirft, kennen sie zwei
glasklare Antworten. Eine leuchtende Wolke, die Schatten wirft - das sei ganz klar ein Geheimnis Gottes, das man im
Glauben annehmen müsse und nicht weiter hinterfragen dürfe. Oder die Variante: Gott ist allmächtig und kann alles -
also auch eine Wolke erschaffen, die leuchtet und zugleich einen Schatten wirft.
- Ein grandioses Missverständnis. Es ist offensichtlich, wie vollständig eine solche angeblich bibeltreue Lesart an der
Heiligen Schrift vorbei geht. Denn das Evangelium bezeugt nicht die Eigenart von Wolkenformationen, sondern die
Erfahrung der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Deswegen liegen auch all die Professoren falsch, die sich die
Entstehung eines solchen Evangeliums nur als Ergebnis von Schreibtischarbeit kluger Evangelisten vorstellen können.
Es ist aber reale Erfahrung realer Menschen - in einer Sprache, die uns, die Zuhörer, erreichen will.
2. Zeugen
- Wir haben nur den Text des Evangeliums. Der Vergleich der drei Evangelisten zeigt, dass dieser Bericht älter ist als die
Zusammenstellung der Evangelien durch Markus, Lukas und Matthäus. Das Evangelium selbst sagt, auf wen dieser
Bericht zurück geht: "Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes". Diese drei hat Jesus mit auf den Berg genommen.
Von diesen drei wollte Jesus, dass sie Zeugen seien.
- Was aber bezeugen Petrus und die anderen? Nicht nur hier hat Jesus seinen Jüngern verboten, die Erfahrung weiter zu
erzählen bevor die Offenbarung nicht in Kreuz und Auferstehung unmissverständlich und klar geworden ist. So lange
sollten sie nicht darüber sprechen, da erst in der Ohnmacht des Kreuzes verstehbar wird, welche Herrlichkeit die drei auf
dem Berg gesehen haben.
- Immer und immer wieder dürften die drei miteinander darüber gesprochen haben. Ich bin mir sicher, dass das Verbot,
anderen vorzeitig davon weiter zu berichten, Petrus, Jakobus und Johannes nicht daran gehindert hat, miteinander sich
zu fragen, was das war, das sie erlebt haben. Miteinander haben sie nach einer Sprache und nach Bildern gesucht, wie
dieses außergewöhnliche, ganz und gar unirdische Erlebnis kommunizierbar werden kann. Aus diesem Ringen der drei
ist unser Evangelium geworden.
3. Sprache
- Jede Erfahrung braucht die Bilder der Sprache. Wenn wir anderen über etwas berichten, das wir erlebt haben, ist nie "die
Sache selbst" gegenwärtig. Und wenn es nur ein Tisch oder Stuhl ist, über den wir sprechen, so ist doch nicht der Tisch
und der Stuhl, sondern unser Sprechen das Mittel. Um das, was wir erleben, mitzuteilen, suchen wir Bilder, Metaphern
und Wörter. Aus Lebenserfahrung wissen wir, welche Wörter zu funktionieren scheinen; die Reaktion der anderen
macht uns deutlich, welche Bilder beim anderen eine irgendwie zutreffende Vorstellung von dem vermitteln, was wir
meinen.
- Sprache funktioniert nur, wenn wir in einer gemeinsamen Sprechwelt leben. Mit dem Duden allein funktioniert das
nicht. Jeder, der eine Fremdsprache lernt, weiß ein Lied davon zu singen. Immer spielt der ganze Kontext mit hinein.
Wenn ich gerne und viel Filme sehe, stehen mir Bilder und Geschichten aus dem Kino zur Verfügung, die ich zitiere um
zu sagen: das ist es, was ich meine. Wer den Film auch gesehen hat, wird besser verstehen, was ich meine. Der Film ist
die Fiktion eines Künstlers. Worüber ich mit seinen Bildern spreche, ist meine Erfahrung. Um über meine ganz
persönliche Erfahrung zu sprechen, brauche ich Bilder und Sprache, die ich von anderen empfange.
- Daher müssen wir die Bibel kennen, um sie zu verstehen. Petrus, Johannes und Jakobus sind die drei ersten Zeugen des
Glaubens an Jesus, der sie wie ein Mensch berührt, und in dem doch Gott selbst mit seiner ganzen Herrlichkeit zu uns
spricht. Um zu wissen, was die drei uns über ihre Erfahrung berichten wollen, müssen wir uns, so weit es uns möglich
ist, auf die Bilder und die Sprache einlassen, die ihnen zur Verfügung stand. Es ist die Sprache der Bibel. Da die Bibel
wie keine andere Quelle unsere Sprache und Kultur und insbesondere auch die moderne Filmsprache beeinflusst hat,
haben wir durchaus Brücken, das Zeugnis des Evangeliums zu verstehen.
So steht es im Evangelium: Noch während Petrus ziemlich unbedacht daherredete, offenbart sich Gott. Gegenwärtig wie
in der Wolke, die das Volk Israel durch die Wüste begleitet hat, leuchtend wie das Feuer, das die Nacht erhellt, und
dennoch verhüllt, wie eine Unschärfe der Kamera, die eine Szene erst dann ganz klar erfasst, wenn die Konturen
verschwimmen und in mir die Ahnung aufsteigt: Das ist es, was du erfahren hast, das ist es, was du mir sagen willst.
Amen.