Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2012 (Apostelgeschichte)

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15. April 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Christus erfahren wollen

  • Ich habe nicht ernsthaft den Wunsch den Auferstandenen zu berühren. Auch wenn ich das Evangelium von der Begegnung Christi mit Thomas meditiere, finde ich bei mir kein Bedürfnis, jetzt den Auferstehungsleib anzufassen. Ich verstehe, dass Thomas, der Jesus vor der Kreuzigung und Auferstehung gut kannte, sich so haptisch von dem Auferstandenen überzeugen wollte. Aber mein Wunsch ist das nicht.
  • Es ist aber eine andere Sehnsucht, die ich habe. Ich würde gerne lebendiger und deutlicher erfahren und sehen, dass die Osterbotschaft stimmt. Ich würde gerne "viele andere Zeichen" sehen. Mein Glaube soll sich nicht einer Theorie und auch nicht in reiner Innerlichkeit erschöpfen; ich will Christus glauben, der in diese Welt hinein geboren ist, in dieser Welt das Kreuz getragen hat und - in gewisser Weise auch - in diese Welt hinein auferstanden ist.
    Da sind die Zeichen, die der Heilige Geist durch Christen wirkt: charismatische Gaben, die helfen und heilen. Da sind einzelne Menschen, die das Gebot der Nächstenliebe überzeugend leben. Weil aber Jesus die Jünger als Gruppe berufen und gesandt hat, da er ganz in der Tradition Israels Gott gesehen hat, der ein Volk erwähnt Zeuge zu sein, ist für mich die gemeinschaftliche (also: kirchliche) Dimension des Glaubens unverzichtbar.
  • Deswegen ist für mich die Apostelgeschichte wichtig. Darum geht es in dieser Schrift der Bibel: Wie ist Christus in seiner Kirche und durch den Heiligen Geist gegenwärtig erfahrbar in unserer Zeit, die ausgespannt ist zwischen Auferstehung und Himmelfahrt auf der einen Seite und der erwarteten Wiederkunft des Herrn am Ende der Zeiten (Apg 1,8-12).

2. Ein Herz und eine Seele

  • Die Gemeinde der Jünger in Jerusalem war und ist ein zentraler Bezugspunkt für die Kirche aller Orten und aller Zeiten. Schon Paulus hatte bei der Neugründung von Gemeinden im ganzen Mittelmeerraum immer wieder Kollekten durchgeführt und wollte am liebsten selbst nach Jerusalem fahren und den Kollektenertrag den Aposteln dort zu Füßen legen. Die Urkirche in Jerusalem war aber auch in all den Jahrhunderten seither immer wieder Bezugspunkt für die Erneuerung der Kirche.
    Das frühe Mönchstum der Antike und die großen geistlichen Bewegungen des Mittelalters, wichtige Teile der Reformation und der katholischen Reform, geistliche Gemeinschaften aller Zeiten und nicht zuletzt die große Bewegung christlicher Diakonie und Caritas seit dem 19. Jahrhundert haben sich immer wieder auf diesen Anfang in Jerusalem bezogen. Dort war in besonderer Weise die Erfahrung der Auferstehung gegenwärtig in der Lebensform einer Kirche, die ihr Vertrauen darauf setzt, dass Christus lebt und gegenwärtig ist.
  • " Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele." Diese Formulierung zitiert bewusst das Glaubensbekenntnis der Juden: "Höre, Israel! JHWH, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den HERRn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft." Die Christen machten die Erfahrung: Wo wir aus der Gegenwart des Auferstandenen leben, dort erfüllt sich dies: Aus Gott mit "ganzem Herzen, mit ganzer Seele" zu leben. Die Bereitschaft der Christen, die Gemeinde und besonders die Bedürftigen unter den Mitchristen zu unterstützen, wächst aus der Liebe zu Gott mit "ganzem Herzen und mit ganzer Seele".
  • Wenn man den Text der Apostelgeschichte im Zusammenhang liest, dann ist deutlich, dass es in der Urgemeinde keinen "Ur-Kommunismus" ohne Privateigentum und Privatsphäre gab. Die Beispiele, die dort erzählt werden, schildern, dass vermögendere Christen z.B. ein Grundstück verkauft und den Erlös gespendet haben (vgl. Barnabas Apg 4,36 sowie Hananias und Saphira Apg 5,1-11). Wenn es hier heißt: "Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam", dann ist das von der Grundhaltung zu verstehen: nichts sein Eigentum nennen. Wer auf das Kreuz Christi getauft ist und im Auferstandenen sein Leben geschenkt bekommen hat, für den ist Besitz etwas, dass immer auch auf die Gemeinschaft in Christus Bezogenes. Natürlich muss man auch für sich und seine Familie verantwortungsvoll damit umgehen, aber nicht mit einer Ideologie, in der Besitz und Eigentum den Selbstwert bestimmt.

3. Den Aposteln zu Füßen

  • Ein Detail sollte nicht übersehen werden. Die Apostelgeschichte schildert: Die Begüterten "brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen". Der Gestus etwas "zu Füßen" zu legen, bedeutet, dass etwa ganz einem anderen übereignet wird; der Geber hat sich frei und bewusst von jeder Entscheidung darüber getrennt.
    Und mit Bedacht steht hier das Wort "Apostel", denn der "apostolos" ist in der Antike der Gesandte. In ihm ist derjenige gegenwärtig, der den Apostel gesandt hat und der ihm Vollmacht verleiht. Also wird die Gabe eigentlich Christus selbst zu Füßen gelegt.
  • Es handelt sich hier um eine geistliche Struktur, noch nicht um eine Organisationsform! Mit seiner Gabe legt der Spender ein Zeugnis dafür ab, dass für ihn Christus lebendig gegenwärtig ist. Die Apostel machen Christus gegenwärtig. In unserem Gottesdienst wird daher die Kollekte (in der Regel) vom Priester entgegengenommen und vor den Altar oder das Kreuz gelegt.
    Kollekte ist im christlichen Gottesdienst nie nur ein Fundraisingmodell, sondern Teil des geistlichen Geschehens, ein zeichenhaftes Bekenntnis: Christus ist der Herr und er ist lebendig in unserer Mitte. Gleichzeitig ist das Zeichen aber real: Mit dem Geld wird konkret das Leben der Kirche finanziert: vor Ort, in der Armenhilfe aber auch in den vielen Kollekten für die Kirche in anderen Weltteilen.
  • Das Geld wird geistlich Christus und sichtbar seinen Gesandten, den Aposteln, übereignet. Insgesamt drei Mal schildert die Apostelgeschichte betont diesen Vorgang. Damit ist nicht für alle Zeiten geklärt, wie kirchliche Caritas organisiert wird oder dass der Bischof als Nachfolger der Apostel alle Gelder verwalten soll. Aber jede Organisationsform der Kirche, ob es die Groß- oder Volkskirche, ob es eine kleine Gemeinde oder Gruppe ist, sollte Formen suchen, die nicht einfach 'ein Projekt finanzieren'; sie sollte immer versuchen erfahrbar zu machen, dass wir glauben und bekennen, dass Christus lebendig ist, ihn den wir nicht mit den Augen des Leibes sehen, den wir nicht mit Fingern und Händen berühren, der aber doch glaubhaft im Heiligen Geist unsere Mitte ist. Amen.