Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2022 (Johannes)

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24. April 2022 - St. Georg, Sinzig-Löhndorf - Vorabend St. Remigius Bonn

1. Im Glauben wachsen

  • Meist haben wir als Kinder etwas über den Glauben gelernt. Wir lernten Wörter, Formen, Bilder. Nach meiner Erfahrung haben Kinder auch erstaunlich oft ein Gespür für die Wirklichkeit, die mit diesen Bildern gemeint ist. Wenn Erwachsene dieses Licht in ihrer eigenen Dunkelheit ersticken, haben Kinder einen Glaubenssinn, gerade auch wenn es um die Grenzen des Lebens und die Größe Gottes geht.
  • Doch mit dem Größerwerden geht das wie vieles aus der Kindheit verloren; es muss verloren gehen, damit Neues wachsen kann. Doch allzu oft bleiben beim Glauben aber nur die äußeren Wörter, Formen und Bilder, ohne dass sie neu gefüllt werden. Was bleibt sind die leeren, oft noch sehr schönen Gefäße, aber sie sind leer. Was bleibt, ist oft Trauer über das Verlorene und niemand der hilft, die Gefäße neu zu füllen.
  • Neu füllen lassen sich die Gefäße aber nur durch eigene Erfahrung. Die Erfahrungen machen Menschen heute wie zu jeder Zeit, aber sie merken nicht, dass diese Erfahrungen in die Gefäße des Glaubens passen – dass der christliche Glaube hilft, Erfahrungen zu sehen, zu deuten, dadurch das Leben zu verstehen und in lebendiger Beziehung zu Gott zu sein, dem Ursprung des Lebens. – Selbst der Apostel Thomas versteht das erst ganz am Ende, wenn er vor Jesus steht und ruft: „Mein Herr und mein Gott!

2. Den Glauben bekennen

  • Dieses Bekenntnis, „Mein Herr und mein Gott!“, sprechen und singen wir in der Kirche sehr oft. In Gebeten und Liedern ist von Jesus, Gottes Sohn, und Jesus, "dem Herrn", dem "Christus" die Rede. Würden wir – Hand auf's Herz – gefragt, ob wir das glauben, käme es wohl etwas zögerlicher.
  • Für dieses Zögern steht im heutigen Evangelium Thomas ein, immerhin einer der Apostel, die Jesus auf dem ganzen Weg begleitet hatten und nun seine Gesandten sein sollen. Doch an der Zusammenkunft der Apostel am Abend des Ostersonntages war er nicht dabei. Als sie anderem ihm berichten, sie seien Jesus begegnet, bleibt Thomas skeptisch: "Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht."
  • Am Sonntag drauf ist die junge Kirche wieder zusammen. Thomas ist dabei. Wiederum machen sie die Erfahrung, dass Jesus auferstanden ist. Jesus aber geht auf Thomas zu und lädt ihn zur Berührung ein: seine Hände, seine Füße, seine Seite tragen die Wundmale des Kreuzes. (Schon bei der ersten Begegnung hält das Evangelium fest: Jesus "zeigte ihnen seine Hände und seine Seite", aber im Bericht an Thomas lassen das die anderen Apostel aus.)

3. Den Glauben leben

  • Ich kann mir denken, dass es kein Zufall ist, warum Thomas nachfragt. Es ist dann auch kein Zufall, warum er fähig wird, das Glaubensbekenntnis zu sprechen – nach Johannes das erste aus dem Mund eines Apostels, denn bisher waren es nur Menschen 'vom Rand' wie die Samariterin.
  • Das Kreuz, die Nägel, die Jesu Hände und Füße, die Lanze, die Jesu Seite durchbohrt haben: das ist für Thomas mit Erinnerungen verbunden. Vielleicht wurde früher aus seinem Freundeskreis jemand gekreuzigt, so selten war das damals nicht. Vielleicht hat er selbst erlebt, was es bedeutet, unschuldig unter Verbrecher gerechnet zu werden, und alle lassen dich im Stich. Das ist gerade in Familien ein nicht so seltenes Verhaltensmuster. Im Rückblick ist Thomas klargeworden, dass es sein Vertrauen in Gott war, das ihm selbst geholfen hat, wieder Tritt zu fassen. Oder er sieht an einem anderen, geliebten Menschen, dass Gott in entscheidender Stunde treu geblieben ist, mitten im Leid und Tod.
  • In der Begegnung mit dem Auferstandenen erkennt Thomas die Gegenwart Gottes und bekennt: Mein Herr und mein Gott!“. Das steht nicht am Anfang seines Weges mit Jesus, das war ein langer Anweg. Ohne Karfreitag gibt es für Thomas kein Ostern.
    Die Erfahrungen, die Thomas auf dem Weg gemacht hat, waren aber begleitet von den Glaubensbekenntnissen, die ihm als Juden selbstverständlich waren: Gott ist gegenwärtig, Gott ist treu, Gott ist mit den Ohnmächtigen und Geringen. Die großen Gefäße des Glaubensbekenntnisses sind am Ende eben doch nicht einfach leer, leere Formeln. Es sind vielmehr die Gefäße – Bilder, Gottesdienste, Formen, Sätze – die sich im Laufe eines erwachsenen Lebens füllen. Sie füllen sich, wenn wir unsere Lebenserfahrungen immer und immer wieder in die Gegenwart Gottes stellen. Sie füllen sich, wenn wir nicht aufhören zu fragen und zu suchen – auch und gerade in der Gemeinschaft der Kirche. Sie füllen sich, wenn ich die Wundmale nicht ausblende und doch für mich und mit anderen zögerlich spreche: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen. Und an Jesus Christus, seinen einziggeborenen Sohn. Amen.