Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag im Lesejahr B 2018 (1 Samuel)

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13. Januar 2018 - Aloisisiuskolleg Bonn-Bad Godesberg - Internat

1. Ein Zwölfjähriger

  • Ein Zwölfjähriger bekommt den Auftrag Gottes. Es sind nicht nette Sätzchen, die der Junge sprechen soll, sondern Gott beruft ihn, weil er sein Urteil spricht über die korrupte Familie des obersten Priesters, sozusagen des Pater Rektor des Tempelkollegs zu Jerusalem.
  • Es heißt ausdrücklich: "In jenen Tagen waren Worte des Herrn selten; Visionen waren nicht häufig." Es war also damals keineswegs normal, sondern genauso verrückt wie heute, dass Gott einen 12-Jährigen  berufen und durch ihn zu denen sprechen soll, die Leitungsverantwortung haben. Wenn ich mir die 12-Jährigen unter uns anschaue, vermute ich, dass weder sie selbst, noch ihre Mitschüler es als normal ansehen würden, dass Gott seinen Richterspruch über den korrupten Rektor einem solchen Kind aufträgt.
  • Gott ermächtigt einen Menschen, der gerade dabei ist vom Kind zum Jugendlichen zu werden, als Gottes Sprecher aufzutreten. Vom Priester Eli hatte der Knabe Samuel gelernt, vor Gott ein Hörender zu sein. "Wenn er dich ruft, dann antworte: Rede, Herr; denn dein Diener hört." Das ist die entscheidende Voraussetzung; nur wer innerlich frei und souverän geworden ist, kann Gottes Wort hören. Aber mit 12 Jahren ist das möglich. Und  alles andere spielt sich daher zwischen Gott und dem Jungen ab.


2. Aloisius

  • An einem Kolleg, das nach Aloisius von Gonzaga benannt ist, sollte uns das nicht so überraschen. Denn das ist das Alter, in dem Aloisius im Jahr 1580 begann, seinem Vater, dem Herrn über die große Markgrafschaft Castiglione in Norditalien, klar zu machen, dass er, sein Sohn Aloisius, darauf verzichten wird, die Machtposition eines Markgrafschaft zu übernehmen.  Für seinen Vater war das die selbstverständliche Karriere. Für Luigi  – wir kennen ihn unter seinem lateinischen Namen Aloisius – war diese Karriere nicht selbstverständlich. Er hatte bei allem Respekt für den Vater gelernt, auch auf Gott zu hören.
  • Der Vater hatte Luigi Page an den Hof von König Philipp II. von Spanien nach Madrid. Er sollte dort lernen, wie man in dieser Welt herrscht und regiert; die Position des Pagen war so etwas wie die Ausbildung einer künftigen Herrschaftselite.  Und zugleich war es die Umgebung mit Glanz, Reichtum und vielen Partys. Aber schon der 12jährige Luigi hatte andere Pläne, als es seine Rechte als Erstgeborener und der Wille des Vaters nahegelegt hätten. Die Jahre in Madrid haben daran nichts geändert.
  • Sein Standbild steht im Eingang der Schule, etwas streng im Stil der 20er Jahre. Aber vielleicht nimmt man diesem Jungen ab, dass er die Kraft dazu hat, andere Wege zu gehen, als die Karriere, die sich andere für ihn ausgesucht haben. Er wollte lieber einen Lebensweg ohne Reichtum und Macht gehen, aber dafür ein Weg, bei dem er die Sicherheit hatte, dass er damit etwas Gutes für anderes wirken kann - und damit wirklich die Welt verändern, statt immer nur das alte Spiel weiter zu spielen.


3. Samuel

  • Samuel, Aloisius, das ist ja alles weit weg. Und auch wenn es dasselbe heute gibt - worin liegt die Bedeutung für die Millionen anderen 12jährigen der Welt und für uns Ältere? Ist Samuel nicht in einer völlig anderen Situation? Ich bin überzeugt, dass Gott einzelne Menschen auf besondere Weise beruft, ihnen innere Kraft und Gewissheit gibt, auch gegen Widerstände Wege zu gehen. Aber hat das Bedeutung für uns Rest der Welt? Ich denke ja! Ich denke Gott beruft diese Einzelnen gerade deswegen, weil es Bedeutung für uns alle hat.
  • Zunächst: Wenn es einmal geschehen ist, dass ein 12-Jähriger mit der Autorität Gottes den Pater Tempelschulenrektor ins Angesicht zu sagen, dass Korruption und Ungerechtigkeit nicht einfach ungeschehen gemacht werden können, wenn dies einmal möglich war, dann kann man nie wieder sagen: So etwas gibt es nicht.  Gott hat also durch die Berufung des einen Samuel so etwas für alle Jugendlichen möglich gemacht.
  • Zweitens gibt es immer die drei Weisen, wie wir auf Gott hören: Das Nachdenken mit nüchternem Verstand (so man hat); das Spüren im Herzen in Stille, Bibellektüre, Gebet, Gespräch unter Freunden; und drittens diese besonderen Erlebnisse, wie Samuel eines hatte. Diese drei Weisen widersprechen einander nicht, sondern gehören zusammen. Aloisius wusste, dass Samuel für ihn ein Beispiel ist; Aloisius kann das für uns sein, und jeder 12-Jährige könnte das heute sein –  auch wenn er seinen Erzieher nicht mitten in der Nacht wecken muss, weil er die Stimme Gottes gehört hat.
    Amen.