Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag nach Weihnachten 2003 (Johannes)

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05.01.2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

In seinem Film Frailty/Dämonisch (2001) erzählt Bill Paxton in betont unaufgeregten Bildern, wie sich für einen texanischen Kleinstadtsheriff ein Vater ausgewirkt hat, der meinte nicht nur von Gott offenbart zu bekommen, welche Mitbürger in Wirklichkeit Dämonen statt Menschen seien, sondern der daraus das Recht ableitet, an jedem Gesetz vorbei selbst die Todesstrafe zu vollziehen. Die naive Liebenswürdigkeit, mit der diese Dämonenjäger harmlos wirken, erinnert fatal an die Vater/Sohn-Besetzung des Weißen Hauses und der Kampf gegen die "Achse des Bösen". Frailty (2001)

1. Verschlafene Erbschaft

  • "Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden". Das Johannesevangelium stellt einen Prolog voran, der auf ganz andere Weise als die Berichte von Geburt und Kindheit im Matthäus- und Lukasevangelium hinführt zu dem, was das Evangelium, die Frohe Botschaft ist. Johannes, der große Theologe unter den Evangelisten, will von Anfang an deutlich machen, dass es nicht um Theorie geht, sondern uns ein Weg eröffnet wird zum Leben.
  • Es ist nicht ausgemacht, dass wir realisiert haben, worum es im Evangelium geht, auch wenn wir es schon so und so oft gehört haben. Es kann vielmehr sein, dass es ist wie bei jenem kleinen Haufen kaiserlich-japanischer Soldaten, der mehr als ein Dutzend Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges in einer Stellung im Dschungel von Guam entdeckt wurde(1). Die Männer hatten nicht mitbekommen, dass der Krieg zu Ende war. Sie saßen immer noch in ihren Stellungen.
  • Diese Japaner damals hatten nicht mitbekommen, dass ihr Land den Krieg schon längst verloren hatte. Vielen Christen geht es ähnlich - und doch ganz umgekehrt: Sie haben noch nicht mitbekommen, dass der Kampf gewonnen ist. Sie sitzen immer noch da und warten auf den großen Lottogewinn, statt zu realisieren, dass er ihnen schon längst zugesprochen ist. Lebt als Lottogewinner!, denn "Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden". Versteht endlich, dass Gott für Euch den Kampf schon gewonnen hat!, denn ihr seid Kinder, d.h. Erben Gottes. Die Erbschaft ist Euch zugesprochen. Mit den Worten des Epheserbriefes: "Gott erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt. "

2. Falsche Erben

  • Ich kann verstehen, wenn es einem bei dieser Botschaft merkwürdig überkommt. Denn es klingt arrogant und anmaßend, wenn ich von mir sage, ich sei Erbe Gottes, Miterbe Christi, erbberechtigt im Reich Gottes. Es klingt gefährlich, wenn einer sagt, ihm sei "Macht" gegeben, Erbe Gottes zu sein.
  • Wir kennen diese freundliche Anmaßung, auch wenn Sie hierzulande selten im religiösen Gewand daherkommt. Es ist die Anmaßung des Menschen, der sich in seinem Urteil darüber sicher ist, was gut sei und was böse. Er beruft sich auf was auch immer, um sich über andere Menschen hinwegsetzen zu können. Im Fokus-Stil werden andere geistig guillotiniert. Und weil man sich seiner Sache so sicher ist, braucht man dabei nicht aufgeben, freundlich zu sein und harmlos zu wirken.
  • In all ihrer religiösen Wucht hat diese Anmaßung derzeit vom US-Regierungsapparat Besitz ergriffen. An nichts wird das so deutlich wie an der Dreistigkeit, mit der uramerikanische Werte wie das Recht auf einen fairen Prozess außer Kraft gesetzt werden und an der Nonchalance des selbstsicheren Dämonenjägers. Da fühlen sich Menschen als Erben des Reiches. Der jetzige Präsident ist dabei in ganz wörtlichem Sinn Erbe seines Vaters, aber das religiöse Muster dahinter ist tiefer gehend die Überzeugung, beauftragter Erbe des himmlischen Vaters zu sein. So passt die gegenwärtige Politik mit dem sonntäglichen Kirchgang ganz problemlos zusammen.

3. Lottogewinn

  • Die Predigt ist nicht dazu da, die bessere Politik zu machen. Dort aber, wo Politik gemacht wird mit religiösem Anspruch, muss sie sich der Heiligen Schrift stellen. Das gilt für Politik mit explizit religiösem Anspruch wie bei der US-amerikanischen religiösen Rechten ebenso wie bei angeblich modernen Führern, die so tun, als ginge Gott ihr Treiben nichts an. Angesichts aller drei Texte der heutigen Liturgie nun stellt sich ganz deutlich die Frage: Was kann das bedeuten, dass Menschen verheißen wird, sie seien Erben, Töchter und Söhne Gottes? Was bedeutet die damit verliehene Macht: "Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden"?
  • Das Geheimnis des Evangeliums ist, dass es nie abstrakte Theorie ist, sondern immer Gottes Wort für konkrete Menschen in ihrer Lebenssituation. Ein und das selbe Wort dreht seinen Sinn, wenn es in anderer Situation gehört wird. Die Reichen und Mächtigen werden das Evangelium vom Erben Gottes genauso nicht verstehen und für sich nutzbar machen wie alles andere. Wenn wir uns aber in die Situation der jungen Kirche versetzen, einer kleinen Minderheit, verfolgt und ohne Einfluss, dann klingt das Evangelium anders. Dann ist es Verheißung Gottes. Wie Gott das kleine Israel auserwählt hat, sein Volk zu sein, so beruft Jesus die Kleinen, die Fischer vom See, die Ausgestoßenen und die Sünder. Diese haben den großen Lottogewinn gezogen.
  • Im Römerbrief (8,17) bringt Paulus das auf die Formel: "Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden." Das ist das ganze Geheimnis - und es ist ein großes Geheimnis. Gott will uns alles schenken - mit Christus. Miterben Christi zu sein bedeutet nicht die Axt zu schwingen und das Böse auszurotten, sondern das eigene Leben umformen zu lassen. Den Erbvertrag hat Gott schon unterschrieben, die Taufe ist schon besiegelt, der Tod in Christus schon überwunden. Lassen wir uns daher in diesem Neuen Jahr ein auf das Leben mit Christus. Amen.

 

 


 

1. Masashi, Ito: Des Kaisers letzte Soldaten. 16 Jahre im Dschungel von Guam. Stuttgart, Engelhornverlag 1968.