Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 21. Sonntag im Lesejahr C 2013 (Hebräerbrief)

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25. August 2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Tragisch 1 - Gute Intentionen

  • Tragisch ist, mit einer Handlung das Gegenteil dessen zu bewirken, was gewollt war. In diesem Sinne hat die Lesung aus dem Hebräerbrief, die wir heute gehört haben, eine Tragik. Sie wollte Menschen Mut machen und hat statt dessen die Legitimation dazu geliefert, Menschen zutiefst den Lebensmut und das Selbstvertrauen zu zerstören. Der Autor wollte das sicher nicht und als Kind seiner Zeit konnte er um die Konsequenzen nicht wissen. Insofern ist die Wirkungsgeschichte dieser Seite der heutigen Lesung tragisch.
  • Der Hebräerbrief will Mut machen. "Macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest, und ebnet die Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern geheilt werden. "
    Solche Worte haben zu allen Zeiten Christen im Glauben gestärkt und ermutigt. Sie konnten das, denn was hier geschrieben steht, ist nicht Theorie, sondern geistliche Erfahrung, Erfahrung im Glauben. Der ganze Hebräerbrief hilft Christen, die sich in einer entmutigenden und bedrängenden Situation vorfinden, eine Perspektive zu gewinnen, die ihnen hilft, mit Unheil, Verfolgung, Mutlosigkeit und Scheitern umzugehen. Der Brief hilft nicht mit klugen Ideen aus der Theorie, sondern aus Erfahrung.
  • Die Situation scheint zu zeigen: Gott ist machtlos. Oder: Gott interessiert sich nicht für mich. Warum sonst sollte ich, der ich doch an Gott glauben und ihm vertrauen will, derart dem Schicksalsmächten ausgeliefert sein?
    Die Glaubenserfahrung, die der Hebräerbrief weiter gibt, hingegen heißt: In der Situation selbst mag es ausweglos und frustrierend erscheinen. Aber der Rückblick auf solche Situationen hat für Glaubende immer wieder ergeben, dass diese Zeit der Bedrängnis eine Zeit der Stärkung war. Immer wieder haben gerade die schlimmsten Situationen in eine neue, gereinigte, ja mehr liebendere Beziehung zu Gott geführt. In guten Zeiten mag ich Gott lieben, weil es mir gut geht. In schweren Zeiten erst stellt sich die Frage, um ich Gott um seiner selbst willen liebe. Dies ist die geistliche Erfahrung, auf die der Hebräerbrief zurückgreift.

2. Tragisch 2 - Ungewollte Wirkungen

  • Tragischer Weise greift der Hebräerbrief dabei auf ein Bild zurück, das seine Eigendynamik hat: "Wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt?"
  • Ich weiß nicht ob irgend jemand ermessen kann, wie viel Leid dieser Bibelvers verursacht hat. Wie viele Väter meinten, sie müssten Ihre Kinder schlagen, um gute Väter zu sein? Wie viele Kinder hatten unter Eltern zu leiden, die ihre Frustrationen und Minderwertigkeitsgefühle an ihren Kindern ausgelassen haben - und dabei sogar noch ein gutes Gewissen pflegen und sich der Zustimmung ihrer Umgebung gewiss sein konnten, weil es doch in der Bibel stehe.
    Ich will nicht über Eltern vergangener Zeiten urteilen. Gewalt in der Erziehung ist heute zum Glück die Ausnahme. Aber es gibt viele unter uns, für die Gewalt, sei es durch Eltern, sei es durch andere Vertrauenspersonen traumatische Erinnerung ist. Um ihretwillen sollten wir Leid und Unrecht beim Namen nennen. Um dieser Opfer willen, kann ein solcher Bibelvers nicht unkommentiert übergangen werden, weil er ja der Vergangenheit angehöre.
  • Dies gilt nicht obwohl, sondern weil die Absicht des Hebräerbriefes eine andere ist. Der Brief wollte Menschen aufrichten und wurde zur Urkunde der Erniedrigung. Ob wir es wollen oder nicht, ist das ein Teil der Geschichte (und vielleicht auch der Gegenwart) unseres Glaubens und unserer Kultur. Wir müssen uns dazu verhalten und uns damit auseinander setzen. Wir müssen bereit sein zu von den Humanwissenschaften zu lernen, dass Gewalt auch in der Erziehung grundsätzlich falsch und schädlich ist. Kinder können durch Gewalt in frühen Jahren für ihr Leben verbogen werden. Wohlgemerkt: "können"; es muss nicht notwendig so kommen, aber allein schon dieses "können" reicht aus, um Gewalt in Beziehungen eine grundsätzliche Absage zu erteilen.

3. Ausblick

  • Zwei Dinge folgere ich aus der Tragik dieses Abschnittes der Bibel:
  • Erstens macht es mir bewusst, dass von Gott zu reden immer bedeutet, über einen Abgrund zu gehen - die Abgründigkeit eines unbegreiflichen Gottes und die Abgründigkeit des Menschen, der fähig ist das Heilige zu berühren und immer in Gefahr steht, es in sein Gegenteil zu verdrehen.
  • Zweitens mahnt es uns, die Bibel wie jede Gotteserfahrung immer von der Mitte und nie von den Rändern her zu erschließen; das Bild vom züchtigen Vater ist ein gewagter und letztlich gescheiterter Vergleich, aber nicht die Mitte. Die Mitte ist die Zusage Gottes: er nimmt uns an "mein Sohn" und "meine Tochter", damit "wir Anteil an seiner Heiligkeit gewinnen".
  • Wir sind in Gott geborgen und verwurzelt. Von hier aus stellt sich dem Glaubenden die bedrängende Frage, wo Gott ist, wenn wir ihn brauchen und das Gefühl haben, dass er uns im Stich gelassen hat.
  • Damals sollte Erfahrung von Verfolgung die Christen nicht daran zweifeln lassen, dass Gott sie verlässlich als seine Kinder angenommen hat. Darin besteht auch heute die immer gültige Mitte dieser Botschaft.
    Nicht die Erfahrung von Gewalt, Unheil und Schmerz entscheidet über unser Leben, sondern die Frage, wohin wir gehören, wohin wir uns orientieren und wo wir unser Herz fest machen. Und da haben Christen im Rückblick auf die schwersten Zeiten gesehen und verstanden, dass ihnen Gott, der in Christus das Kreuz getragen hat, nicht fern, sondern in besonderer Weise nahe war: als ein Vater, dem wir vertrauen können. Amen.