Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 22. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Jesus Sirach)

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28. August 2022 - St. Peter, Sinzig

1. Ist Gott demütig

  • Ist Gott demütig? Also: Habe ich Anlass davon auszugehen, dass der Gott, auf den ich vertraue, nach meiner Erfahrung, nach dem Glauben der Kirche und dem Zeugnis der Heiligen Schrift demütig ist? Ist der Allmächtige und Ewige, der Herr der ganzen Welt und Geschichte, der Schöpfer des Himmels und der Erden demütig?
  • Sich diese Frage zu stellen hilft, meine eigene Beziehung zu Gott in den Blick zu nehmen. Zugleich kommt dabei zum Vorschein, welche Vorstellung von 'demütig' ich habe.
    War mein spontaner Gedanke bei der Frage nach der Demut Gottes, dass dies doch nicht sein könne, weil Gott allmächtig ist? Dann scheint mir deutlich: 'Demut' verstünde ich als die Fähigkeit, sich und anderen die eigene Schwäche einzugestehen. Demütig zu sein hieße dann, anzuerkennen, dass ich doch eigentlich nicht viel wert bin und nicht viel kann. Dann aber könnte Gott natürlich nicht demütig sein, oder?
  • Doch auch wenn ich Gott als machtvoll erlebe: 'Der Allmächtige, der mein Leben reguliert und bestimmt', auch dann passt das nicht zur Idee, dass Gott demütig ist. Gott, dächte ich dann, ist so groß und ich bin so klein, wie sollte Gott dann demütig sein?

2. Was deine Kräfte übersteigt

  • Auf den ersten Blick scheint das Buch Jesus Sirach Demut in diesem Sinne zu verstehen: Akzeptiere, dass du nicht groß und besonders bist, zumal vor dem Angesicht Gottes!
    Doch wenn ich es aus der Perspektive des Neuen Testamentes lese, dann sieht es schon anders aus. Denn dort offenbart sich Gott in Jesus Christus als von Herzen demütig (Mt 11,29). Es ist gerade die Größe Gottes, durch die er sich aus Liebe nicht groß macht, sondern Mensch wird. Im Angesicht Gottes nicht demütig zu sein, macht daher in der Tat für einen Menschen keinen Sinn.
  • In den Versen, die die liturgische Auswahl für die Lesung aus Jesus Sirach überspringt, kommt ein weiterer Gedanke hinzu. Dort steht die Ermahnung, sich nicht durch geheime Spekulationen, mystische Erkenntnisse oder magische Riten, durch Astrologie oder Kabbala die Welt verstehen zu wollen. "Suche nicht, was für dich zu schwierig ist, und erforsche nicht, was deine Kräfte übersteigt!". Hier steht übrigens auch ein Satz, der im Deutschen zum Sprichwort geworden ist: "Wer die Gefahr liebt, kommt in ihr um".
  • Die Demut ist das Gegenteil einer Haltung, die meint, durch Wissen alles beherrschen zu können. "Wer die Gefahr liebt, kommt in ihr um" gilt für alle, die Pendel schwingen und Stühle rücken wollen, um die dunklen Mächte zu beherrschen; es gilt für den Nachbarschaftsklatsch, der über andere nur wissen will, was hilft schlecht über sie zu reden. Es gilt auch für das große Projekt der Neuzeit, die Natur zu beherrschen, indem wir meinen, ihr die letzten Geheimnisse entlocken zu müssen, um sie beherrschen und uns nutzbar machen zu können.
  • Die andere Gefahr entsteht – leider notwendig! – immer dort, wo in Gruppen oder Institutionen einzelnen Menschen ein Amt oder eine besondere Verantwortung zukommt. In der Stellung muss man um Demut in besonderer Weise kämpfen. Denn das Amt und die Institution sollen ermöglichen, etwas zu bewegen. Dies nicht – hochmütig – für sich, sondern – demütig – für andere zu tun, ist keine leichte Tugend. Das gilt umso mehr, wenn wir in der katholischen Kirche Ämter haben, die letztlich niemanden auf Erden Rechenschaft schuldig sind. Von daher verwundert es mich nicht, wenn so häufig gerade im kirchlichen Bereich Ämter nicht mit Demut einhergehen, sondern mit der Neigung andere zu manipulieren. Das Erzbistum Köln liefert unlängst dazu anschauliche Beispiele.

3. Der dienende Gott

  • So wird als Zentrum der Demut für mich etwas ganz Wichtiges sichtbar. Demut bedeutet nicht einfach, sich klein und mickrig zu fühlen. Vielmehr ist Demut – ob ich klein bin oder groß, schwach oder stark: sich nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Demut ist, nicht alles auf mich ausrichten und manipulieren zu wollen. Denn das steht letztlich hinter aller Magie und oft genug hinter der "angewandten Wissenschaft", dass Menschen versuchen, die Natur und einander zu manipulieren, indem sie irgendwelche geistigen Mächte anzapfen.
  • Demut ist also eine zutiefst ökologische Haltung. Ökologie ist die Weisheit, mit seiner Umgebung in guter Beziehung zu leben. Demut ist die Tugend, nicht alles zum eigenen Nutzen ge- und verbrauchen zu müssen. Demütig ist ein Mensch, der stark genug ist, von sich abzusehen. Demut ist, wie es im deutschen Wort anklingt, der Mut zum Dienen. [Demut kommt von althochdeutsch diomuoti (‚dienstwillig‘): Luther wählte das Wort, um das griechische ταπεινοφροσύνη (tapeinophrosýnē) zu übersetzen, wörtlich etwa 'Vernunft der Geringen').
  • Im großen Glaubensbekenntnis betonen wir, dass Gott der Vater, der Allmächtige, eines Wesens ist mit Jesus Christus, seinem Sohn. Er ist nicht gekommen um uns für seine Zwecke zu benutzen, sondern um zu dienen (Mt 20,28). So bringt uns die Demut Jesu auf die Spur des einen Gottes, der von Anbeginn an demütig ist: Ignatius von Loyola lädt in der Betrachtung zur Liebe dazu ein Gott zu sehen, der uns in seiner Schöpfung, in allen Dingen, liebt und dient. Gott benutzt uns nicht, sondern stellt sich in den Dienst für uns. Das ist schon die Erfahrung auch des Alten Testamentes. Gott ist da für uns. Demütig.