Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 24. Sonntag im Lesejahr A 2017 (Matthäus)

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17. September 2017 - Aloisisuskolleg, Bonn - Internat

1. Endlos vergeben

  • Petrus muss aufpassen. Sonst tanzen ihm die Jünger auf der Nase herum. Wenn das bekannt wird, dass bei ihm nicht nach sieben Mal Vergebung Schluss ist, ihn statt dessen Jesus verdonnert hat, siebenundsiebzig Mal zu vergeben, dann wird es nicht lange dauern, bis jemand das ausnutzt. Als Erzieher braucht sich Petrus dann nirgendwo mehr zu bewerben.
  • Das scheint ja das Evangelium zu bedeuten: Wann immer sich jemand gegen Petrus versündigt hat, soll der ihm vergeben, "siebenundsiebzig Mal", also eigentlich immer. Dabei bedeutet der Ausdruck "gegen mich versündigt" wie Sünde überhaupt: eine Störung der Beziehung, vielleicht sogar mutwillig Zerstörung der Beziehung.
    Wer sich am anderen versündigt, der kränkt und verletzt ihn durch Handlungen, Worte, Gesten, Unterlassungen bis hin zum systematischen Mobbing, Psychoterror und physischer Gewalt. Und das soll Petrus vergeben, und vergeben, und vergeben, und vergeben und, und, und. Zu welchem Ende?
  • Man kann schnell dabei sein, die Aufforderung Jesu nicht ernst zu nehmen, weil jemand gemeinhin nicht ernst genommen wird, wenn er einfach nur, geradezu litaneiartig nur vergibt und vergibt. Eine solche Karikatur der Vergebung würde zu recht niemand ernst nehmen. Das kann es nicht sein, was Jesus meint.

2. Macht des Grolls

  • Es hilft, die Bibel zu kennen. Denn dann kann ich so ein Verhalten Jesu einordnen. In der Bibel, gerade auch im Alten Testament, wird immer wieder deutlich, dass Gott das große Ziel hat, Menschen zusammen zu führen und die Gewalt, die Menschen entzweit, einzudämmen, und statt dessen erlebbar zu machen: Der Hass hat nur so viel Macht, wie wir ihm zugestehen; Gott aber und seine Liebe ist mächtig, am Ende selbst da, wo wir uns verweigern.
  • Gewalt eindämmen und ihr keine Macht zubilligen bedeutet für Einzelne, Gruppen und Völker: Sich nicht davon gefangen nehmen lassen, was andere mir antun. Das gilt auch für Familien, das gilt für eine Internatsgemeinschaft und Gruppen, das gilt für jeden Einzelnen, wirklich jeden, bis hin zum Groß-Apostel Petrus.
    Wir alle sind in Gefahr im Kopf und im Herzen immer nur darauf zu schauen, wie wir unsere Position gegenüber anderen ausbauen oder verteidigen. Es gibt Kleine, die Große manipulieren, es gibt Große, die ihre Überlegenheit ausspielen, um andere klein zu machen und manchmal gar ihre Seele brechen. Es gibt die, die von allen geliebt und geachtet werden wollen und sich bitte rächen, wenn jemand ein kritisches Wort sagt. Es gibt die, die sich sagen: Egal ob sie mich lieben, Hauptsache sie fürchten mich!
    Dieses System hat eine Eigendynamik. Es schaukelt sich hoch. Du hast mich verletzt und ich fange an, Tag und Nacht zu grübeln, wie ich es zurück zahlen kann. "Groll" wird das in der Ersten Lesung aus dem Buch Jesus Sirach genannt. (Es gibt auch den Schmerz, der um sich selbst zu schützen tief im Herzen vergraben wird, dort aber an den Wurzeln frisst; das ist noch mal ein eigenes Thema).
  • An der Stelle setzt Jesus ein. Wenn die Regel heißt "Siebenmal muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt", dann ist der Groll im Herzen nicht besiegt; er zählt nur wie ein Ringrichter bis zum k.o. "Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal" dagegen sprengt diese Grenzen. Da geht es nicht mehr um etwas Geduld, bevor ich zurückschlage. Jesus traut uns vielmehr zu, dass wir komplett aussteigen aus der Logik des Grolls, der nach jeder Verletzung auf Rache sinnt.

3. Bereitschaft zur Vergebung

  • Das ist nicht übermenschlich. Jesus erklärt das an einem extremen Negativ-Beispiel: Einem Mann wurden von seinem Arbeitgeber Millionen Euro Schulden vergeben, die er nie hätte zurück zahlen können. Doch wie unmenschlich ist der gleich darauf gegenüber einem Kollegen, der ihm ein paar Tausend Euro schuldet! Jeder, der das Gleichnis hört, der kapiert: Menschlich ist, auch die Schuld zu erlassen, wenn einem selbst so viel Schuld erlassen wurde.
  • Das aber ist die Erfahrung des Glaubens. Erst wenn ich nicht nur im Kopf verstehe, sondern auch im Herzen begreife, wie unendlich groß Gott ist, wie wenig ich tun kann, um diese Distanz zu überwinden, doch wie viel ich umgekehrt an Lieblosigkeit mache, um die Distanz zu verschlimmern - nur wer das spürt, ahnt auch, wie groß die Liebe und Vergebungsbereitschaft Gottes ist, der dennoch keine Gelegenheit auslässt, um mir nahe zu sein: "en todo amar y servir!" (in allem Lieben und Dienen), heißt es in dem Vers von Ignatius von Loyola.
  • Wie am Schluss Versöhnung geschieht, sieben Mal oder siebenundsiebzig Mal, das wird man dann sehen müssen. Ohne Einsicht und Reue von Seiten dessen, der anderen geschadet hat, kann keine Versöhnung stattfinden. Das ist ein kompliziertes Feld und wir finden sehr viel dazu in der Bibel. Manche Menschen müssen damit anfangen zu lernen, sich selbst zu vergeben, weil ihnen immer nur Schuldgefühle eingeimpft wurde, und nie Barmherzigkeit verkündet.
    Mit dem Satz von den "siebenundsiebzig Mal" macht Jesus aber deutlich: entscheidend ist unsere Grundhaltung im Herzen, die aufhört zu zählen und zu berechnen. Es ist uns Menschen möglich, in der Grundhaltung zu leben, dem anderen zu vergeben, siebenundsiebzig Mal. Das ist zutiefst menschlich, denn mit solcher Grundhaltung begegnet und Gott, der einen jeden von uns geschaffen hat. Amen.