Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 24. Sonntag im Lesejahr B 2006 (Jakobusbrief)

Zurück zur Übersicht von: 24. Sonntag Lesejahr B

17. September 2006 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt

1. Glaube oder Werke

  • Die Diskussion um Glauben und Werke ist hochaktuell. "Was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke?" Der Frage merkt man die Brisanz vielleicht direkt an. Zu rhetorisch scheint sie. Nichts, lautet die Antwort, die vielleicht jeder von uns geben würde. Was soll ein Glaube, der nicht praktisch wird?
  • Vorsichtiger antwortet, wer die Briefe des Apostels Paulus kennt. Im Römerbrief (4,5) klingt es nämlich schon komplexer "Dem aber, der keine Werke tut, sondern an den glaubt, der den Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet." Das klingt wie ein Widerspruch zum Jakobusbrief und wurde auch oft so verstanden. Aber selbst die Lutherbibel verweist an der Stelle auf ein Pauluszitat aus dem Galaterbrief (5,6), wo Paulus sagt, dass es darauf ankommt "den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist".
    Paulus und Jakobus sind sich einig. Die Polemik des Paulus bezieht sich denn auch darauf, dass es verführerisch und gefährlich ist, sich auf die Einhaltung von Gesetzen, und seien sie noch so gerecht und moralisch, zu verlassen. Denn diese Art von Gerechtigkeit ist immer leicht Selbstgerechtigkeit.
  • Deswegen ist das Thema so aktuell. Denn die These ist allzu beliebt, das Christentum sei doch im wesentlichen Nächstenliebe. Wer tue, was die Nächstenliebe fordere sei ein "guter Christ". Alles andere sei ideologischer Überbau. Ja, Jesus selbst habe doch nichts anderes gelehrt. Schon in der Aufklärungszeit vor 200 Jahren war das staatstragende Ideologie. Das Christentum müsse auf seine Moral reduziert werden. Entsprechend wurden alle Klöster aufgehoben, in denen nur gebetet wird und die nichts "Nützliches" produzieren. Im Grund geben sich mit dieser aufklärerischen Haltung noch heute nicht wenige Christen zufrieden.

2. Orthodoxie oder Orthopraxie

  • Ist nicht der Glaube überflüssig ohne die Werke? Die Frage kann doch schnell weiter gedacht werden: Dann reichen doch die Werke. Wie viel Streit um den rechten Glauben würden wir uns damit ersparen. Denn in der Tat, im Christentum wird viel gerungen um den rechten Glauben und die rechte Lehre von Gott. Die Kirchen in der Tradition des oströmischen Reiches tragen sogar den Namen "orthodox". Die rechte Lehre von Gott, wörtlich der rechte Lobpreis, ist ihr Name. Aber auch für alle anderen Kirchen ist es zentral, in diesem Sinne "orthodox" zu sein.
  • Warum ist nicht "Orthopraxie" wichtiger als Orthodoxie? Warum nicht die rechte Praxis statt die rechte Lehre? Es ist auffällig, dass unter allen Weltreligionen gerade dadurch die Christen sich abheben. Im Islam etwa, aber auch im Judentum, ist die rechte Praxis letztlich viel wichtiger. Gestritten wird dort um die rechte Auslegung der Gesetze, die Rechtleitung, und viel weniger um den rechten Glauben. "Was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke?"
  • Der Unterschied ist fein aber gewichtig. Im Koran offenbart nach muslimischem Glauben Gott nicht sich selbst, sondern die Rechtleitung, nach der der Mensch leben soll. Auch für Israel ist die Thora als Buch des Gesetz zentral. Gott wird gepriesen dafür, dass er solch lebenswerte Regeln gegeben hat. "Welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind, wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?" heißt es in der hebräischen Bibel (Dtn 4,8), dem Alten Testament. Glaube ist dann gegenüber diesem vor allem das Bekenntnis zu dem, was Gott an seinem Volk getan hat. Wenn das Markusevangelium aber die Botschaft Jesu zusammenfasst, heißt es "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!". Die Umkehr gilt dem Glauben an die Nähe des Reiches Gottes. Dieser Glaube ist das Evangelium.

3. Glaube, der praktisch wird

  • Prüfen Sie sich selbst. Wenn Sie entscheiden müssten zwischen Werken und Glauben, würde auch Ihnen die Orthopraxie wohl wichtiger erscheinen als die Orthodoxie. Und weder Jakobus noch Paulus noch gar Jesus würden Ihnen widersprechen.
    Dennoch ist der Ansatz ein anderer. Der Jakobusbrief fragt: "Zeig mir deinen Glauben ohne die Werke, und ich zeige dir meinen Glauben aufgrund der Werke". Nicht Werke ohne Glaube, sondern ein Glaube, der sich in den Werken zeigt, eine Überzeugung, die praktisch wird, ein Vertrauen, das zum Handeln befähigt.
  • Deswegen muss Jesus kein Jota am Gesetz ändern. Er radikalisiert vielleicht die Gebote, aber er weist mehrfach darauf hin, dass in ihnen alles enthalten ist. Damit wir lernen, welche Handlungen gerecht und welche ungerecht sind, damit wir den Unterschied sehen zwischen Liebe und Hass, dazu hätte Gott nicht Mensch werden müssen. Vielmehr ist die Frage, was die Voraussetzung dafür ist, dass wir so leben und handeln können. Der christliche Glaube belehrt nicht so sehr über die richtige Praxis. Er befähigt zur rechten Praxis, wenn es denn rechter Glaube ist und rechtes Gotteslob, Orthodoxie.
  • In Jesu Leben und Praxis zeigt Gott sich, wie er ist. Jesus selbst ist die Offenbarung Gottes. Um das rechte Verstehen dieser Offenbarung ringen wir nicht aus Lust am Theorienstreit. Vielmehr gilt es dieses Geheimnis so zu erfassen - und zu feiern! - dass wir daraus leben können. Der rechte Glaube wird nämlich wirksam in der Liebe. Denn der rechte Glaube erfasst, dass Gott mich auch jenseits aller Leistung und Werke so unendlich liebt, dass diese Liebe der Boden ist, auf dem unser Vertrauen wachsen kann. Und dieses Vertrauen ist die Nahrung, die uns Kraft gibt, das Gute zu tun, das wir sehen. "Herr, ich bin nicht würdig..." beten wir vor der Kommunion. Und dennoch schenkt sich Gott leibhaftig jedem, der sich ihm öffnet. Dieser Glaube gibt Kraft und zeigt Frucht in den Werken. Amen.