Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Hochfest Verkündigung des Herrn 2010

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25. März 2010 19.30 Uhr - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Intimität des Gebetes

  • Die Szene in Nazareth atmet die Intimität des Gebetes. Gott begegnet einem Menschen. Ein Mensch begegnet Gott. "Der Engel Gabriel" ist die Weise, wie Gott bei Maria gegenwärtig wird; der Engel ist wesenhaft, was sein Name besagt: Bote Gottes. In ihm begegnet Gott selbst der Jungfrau Maria. Dass diese Begegnung im Evangelium festgehalten und veröffentlicht wurde, ändert nichts daran, dass es ein sehr intimer Augenblick ist, dem wir uns nur mit großem Respekt nähern sollten.
  • Die erste Initiative der Begegnung liegt bei Gott. Der Allmächtige tritt durch den Engel bei Maria ein, weil Gott uns "von sich aus ein Zeichen" (Jes 7,13) geben will. Damit zeigt uns Gott seine Verletzlichkeit, denn durch seinen Besuch bei Maria wird Gott zum Bittenden. Wer einen anderen bittet, liefert sich der Antwort des Anderen aus. Wer um Gastfreundschaft ersucht, riskiert abgewiesen zu werden. Dennoch kommt der Allmächtige nicht als Befehlender, sondern als Bittender. Gott wirbt um Maria.
  • Mancher wird denken, beim Gebet sei es meist umgekehrt. Wir als Menschen beten häufig erst dann, wenn wir den konkreten Wunschzettel schon in der Hand haben. Das stimmt. Aber es übersieht, dass selbst das einfachste Bittgebet und selbst der spontane Schrei in der Not nicht der Anfang meiner Beziehung zu Gott sind. Viel früher schon ist Gott in unser Leben "eingetreten", wie es vom Engel heißt, der in die Kammer in Nazareth eintritt. Wenn wir nur zurück schauen, dann finden wir seit unserer Geburt dieses Eintreten Gottes in die Kammer unseres Lebens. Seit dem hat Gott das Gebet mit uns begonnen und wartet geduldig auf unsere Antwort.

2. Gottesdienst des Gebetes

  • Jedes Gebet ist Gottesdienst im Kleinen. In jedem Gebet dient uns Gott, auch wenn es in der Intimität der Kammer und nicht in der großen Kirche mit vielen Leuten ist. Auch das macht den Bericht des Lukas so wertvoll. Wie auch das Johannesevangelium sieht Lukas in Maria, der Tochter Israels, das Bild für die Kirche, in der Gott Kinder Israels und Menschen aus allen Völkern verbindet. Das Urbild dieser Gemeinschaft ist Maria. Im Beten Marias lernen wir daher für uns beten.
  • Der Engel tritt ein und spricht "Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir." Dieses "Der Herr ist (sei) mit euch!" steht in vielfältiger Weise an den Wendepunkten unserer Liturgie: Am Beginn des Gottesdienstes, vor der Verkündigung des Evangeliums, vor dem Segen am Schluss der Liturgie und in der Heiligen Messe zudem zum Beginn des großen Hochgebetes, in dem wir Gott danken. Auch im stillen einsamen Gebet dürfen wir diese Zusage hören: Gott ist mit uns, er ist der "Ich-bin-da". Deswegen ist es sinnvoll, wenn wir auch unser intimes Gebet in der Kammer mit einer Geste der Ehrfurcht beginnen, einer Verbeugung, den Händen, die wir vor der Brust kreuzen, oder dem Blick, den wir nach oben richten. Gott ist mit uns!
  • Die Botschaft des Engels beginnt jedoch mit dem Gruß. Mit "Sei gegrüßt" wird die gängige Grußformel verwendet, die man im griechisch beeinflussten Mittelmeerraum kannte: "Chaíre". Wörtlich bedeutet dies "Freue Dich". Genau diese Formulierung kennt die antike Übersetzung des Alten Testamentes - die Septuaginta - dort, wo die Propheten das Volk Israel einladen zum Jubel: "Juble und freue dich, Tochter Zion; denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte - Spruch des Herrn." (Sach 2,14). So birgt der einfache Gruß des Engels die Aufforderung zur Freude. Dies gilt für jeden Gottesdienst und für jedes Gebet. Nicht immer dürfte uns beim Beten zum Jubeln zumute sein. Immer aber können wir unser Gebet beginnen, indem wir uns diesen Gruß sagen lassen: Freue Dich, Gottes Gnade ist mit Dir, wenn Du jetzt betest.

3. Der Weg mit Gott

  • In diesem intimsten aller Gebete geht es um den Weg, den Gott einen Menschen führen will. Was ist es, das Gott mir schenken will, was ist seine Gnade für mich? Es ist genau das Thema des Gebetsgespräches zwischen dem Engel und Maria: Wie will Christus in mir, in meinem und unserem Leben, in meiner und unserer Zeit geboren werden? Dies ist was der Engel Maria sagt.
  • Die Frage Marias ist auch meine Frage: "Wie soll das geschehen?" Diese Frage ist nicht nur im Falle Marias berechtigt: Wie sie Mutter eines Kindes werden soll, wo sie doch mit keinem Mann zusammen ist? Die Frage ist ganz zentral in meinem Beten. Wenn mir in meinem Beten deutlich wird, dass seit meiner Taufe Christus in mir geboren werden will, dann ist es genau das, was immer wieder im Mittelpunkt meines Gespräches mit Gott stehen kann: Wie soll das geschehen, in meinem Alltag, in meinem Lebensweg, in meiner Arbeit und meinen Begegnungen mit anderen Menschen, dass Du, Gott, gegenwärtig wirst?
  • Die Antwort des Engels gilt dann auch uns. Gott fordert von uns keine übermenschlichen Leistungen. Gott steht nicht abseits, bis wir durch harte Askese zu Über-Heiligen geworden sind. Vielmehr braucht es nicht mehr - aber auch nicht weniger - als die Offenheit, des "Mir geschehe, wie du es gesagt hast". Es ist dasselbe, das wir im Vater Unser beten: "Dein Wille geschehe". Dieses Gebet lenkt unseren Blick auf unsere eigene Lebenssituation, unseren Alltag, unsere Kirche und alle Menschen, denen wir begegnen oder die bislang unbemerkt am Rand unseres Weges stehen. In ihnen hält Gott für mich die Antwort bereit. Das Gebet in der Kammer schenkt mir die Aufmerksamkeit dafür. Es macht mich empfänglich. Das ist das Fest, das wir heute feiern. Durch Gottes Gegenwart im Gebet empfängt der Mensch Gottes Sohn, der in unserer Mitte Mensch werden will. Amen.