Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 25. Sonntag im Lesejahr B 2012 (II.Vatikanisches Konzil)

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23. September 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg


Predigtreihe im Kleinen Michel September/Oktober 2012

aus Anlass der Eröffnung des Konzils vor 50 Jahren

1. Selbstverständlich Latein

  • Die Evangelischen können uns lehren, was die Bedeutung des Lateins in der Heiligen Messe sein kann. Bis vor fünfzig Jahren war es für Europäer undenkbar, dass ein römisch-katholischer Gottesdienst anders als in Latein gefeiert werden könne. Noch zwanzig Jahre zuvor hatte Franz Werfel einen Zukunftsroman geschrieben (Stern der Ungeborenen), der in fernen Zeiten spielt, in der sich alles komplett verändert hat - außer dem, dass die Katholiken ihre Messe in Latein feiern.
  • Aber schon Ende 1963 wurde das Selbstverständliche in Rom in Frage gestellt. 2147 Bischöfe, die zum Zweiten Vatikanischen Konzil versammelt waren, haben einer Konstitution zugestimmt, die festlegt, dass in den katholischen Gottesdiensten gegenüber dem Latein den Muttersprachen "weiterer Raum zuzubilligen" sei. Nur 4 Bischöfe stimmten dagegen.
  • Das Konzil hatte nicht vor, das Latein abzuschaffen. Damals war auch die Sprache im theologischen Studium und unter Bischöfen noch Latein. Zudem war die Kirche doch noch relativ europäisch geprägt. Deswegen ging man davon aus, dass es möglich sei, dass auch weiterhin Latein im Gottesdienst prägend wäre, nur dass eben für die für alle verständliche Muttersprache "weiterer Raum" vorgesehen werden müsste.

2. Gottesdienst und Sprache

  • Vor der Regelung über die Sprache im Gottesdienst steht aber in dem Konzilsdokument der Grundsatz, worum es überhaupt geht und was Kriterium ist. Denn für Christen gibt es keine 'heilige Sprache' in dem Sinn, wie etwa das Arabische für Muslime heilige Sprache ist. Die Bibel ist in Hebräisch und Griechisch verfasst. Die ersten zwei Jahrhunderte wurde auch in Rom im Gottesdienst griechisch gesprochen. Jesus hatte das syrische Aramäisch gesprochen und ägyptische Christen hatten von Anfang an selbstverständlich auf koptisch gebetet. Ebenso gab es  Armenisch, Äthiopisch (Ge'ze) oder später Georgisch als Gottesdienstsprachen. Latein hat sich also später erst und bestenfalls durch eine lange Praxis im Westen eine besondere Würde und Bedeutung erworben; mehr aber auch nicht.
  • Das vorgelagerte Kriterium für das Zweite Vatikanische Konzil ist daher viel grundlegender als ein Sprachenstreit. Das Konzil sagt: Gottesdienst ist Kommunikation mit Gott. Und Kommunikation setzt Verstehen voraus. In einer Sprache, die ich nicht verstehe, kann ich nicht kommunizieren.
  • Deswegen schreibt das Konzil in der Konstitution über die Heilige Liturgie, Sacrosanctum Concilium: "In der Liturgie spricht Gott zu seinem Volk; in ihr verkündet Christus noch immer die Frohe Botschaft. Das Volk aber antwortet mit Gesang und Gebet. Überdies werden die Gebete, die der Priester, in der Rolle Christi an der Spitze der Gemeinde stehend, an Gott richtet, im Namen des ganzen heiligen Volkes und aller Umstehenden gesprochen." All das geht nicht ohne Sprache, die verstanden und gesprochen wird. Gott versteht zwar jede Sprache jedes Volkes - aber es ist einfach ein Faktum, dass auch in Westeuropa die Kenntnis alter Sprachen zum Privileg einer kleinen Minderheit geworden ist. Auf die gesamte Welt bezogen gilt das noch viel mehr. Deswegen ist in Folge des Konzils das Latein auch in katholischen Gottesdiensten zur Ausnahme geworden. Denn Gottesdienst bedeutet immer "Gott spricht zu seinem Volk .... Das Volk aber antwortet". Wenn die Verständlichkeit verloren geht, kann deswegen auf Dauer kein Gottesdienst wirklicher stattfinden; es würde zum Hokuspokus (*).

3. Das Heilige und das Alltägliche

    • Und doch sagte ich zu Beginn: Die Evangelischen können uns lehren, was die Bedeutung des Lateins in der Heiligen Messe sein kann. Denn Martin Luther hatte 1530 als Prinzip seiner Bibelübersetzung geschrieben: "man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie diese esel thun, sondern, man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen, so verstehen sie es den und mercken, das man Deutsch mit jn redet." Luther wollte also die Sprache der Bibel - und von dort auch die Sprache des Gottesdienstes - danach "dolmetzschen", wie die Leute auf der Straße sprechen.
    • Und dennoch ist nach bald fünf Jahrhunderten das Lutherdeutsch weit entfernt von heutiger Umgangssprache. Für uns heute klingt es sicherlich kräftig und deftig, aber auch umständlich und abgehoben. Deswegen wurde 1975 in der Evangelischen Kirche eine modernisierte Fassung der Lutherbibel eingeführt, die eigentlich nur getreu nach den Prinzipien Luthers in heutiges Deutsch übersetzen wollte. Und dennoch hat man die deutschen Protestanten selten so einmütig protestieren gesehen, wie in der Reaktion auf diese moderne Lutherbibel. Schon zwei Jahre später hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland deswegen einen Rückzieher gemacht und zumindest in den bekanntesten Stellen der Bibel wieder die altertümliche Luthersprache stehen gelassen (Revidierte Fassung der Lutherbibel von 1984, die heute in allgemeinem Gebrauch ist).
    • Ich denke, das evangelische Kirchenvolk hatte ein richtiges Gespür. Die Leute wollten nicht, dass die Sprache im Gottesdienst klänge wie die Sprache auf der Straße. Denn zur Kommunikation zwischen Gott und Mensch gehört nicht nur die Verständlichkeit der Vokabeln, sondern auch die Erfahrung, dass Gott nicht ein beliebiger Teil dieser Welt ist, sondern der ganz Andere, der uns in dem Besonderen des Gottesdienstes entgegentritt.
      "Wenn die Kirche betet, singt oder handelt wird der Glaube der Teilnehmer (am Gottesdienst) genährt und ihr Herz zu Gott hin erweckt", sagt das Konzil. Dazu gehört eine Sprache, die nicht immer schon beim ersten Hören voll verständlich und durchschaubar ist, und die schon beim zweiten oder dritten Hören abgedroschen wirkt, sondern eine Sprache, die immer und immer wieder gehört und gesprochen werden muss, um sich in ihrer Tiefe zu erschließen. Dazu gehören alterwürdige Texte, bei denen ich spüre, dass sie sich erst in der Vertiefung und Wiederholung öffnen und doch das Geheimnis bewahren, dass Gott größer ist als unser menschliches Alltagsgerede. Dazu muss unsere Sprache im Gottesdienst vielleicht nicht mehr Latein sein; es könnte aber sein, dass auch wir heute wieder mehr von dem unverfügbaren Glaubensgeheimnis des Gottesdienstes spüren könnten, wenn wir zumindest ab und an die lateinische Sprache in unseren westlichen Gottesdiensten pflegen würden, die uns dies erfahren lassen kann. Ich zumindest gehe aus der Relektüre des Konzils mit einem Vorsatz in diese Richtung.


* Dabei ist gar nicht sicher, ob der Ausdruck 'Hokuspokus' auf die unverständlichen Einsetzungsworte "Hoc est enim corpus meum" in der Hl. Messe zurückgeht. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Hokuspokus.