Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Weihnachtsfeiertag/Stephanus 2014

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26.12.2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Heute Hintergrund

  • Die Idylle währt nicht lange. Weder im Leben noch im Evangelium noch in der Liturgie der Kirche. Auf das Fest der Geburt des Gottessohnes im Stall von Betlehem folgt das Fest des Märtyrers Stephanus, der gesteinigt wird, weil er in diesem, der als Kind in der Krippe lag, den Himmel offen gesehen hat und dies vor allen Menschen bezeugt hat. Aus dem Matthäusevangelium ist entsprechend ein Abschnitt gewählt, in dem Jesus Entzweiung und Verfolgung "um seines Namens willen" ankündigt.
  • In den letzten Jahren ist uns mehr und mehr bewusst geworden, dass es Verfolgung um des Glaubens willen auch heute im großen Umfang gibt. Es ist gut, sich dessen bewusst zu werden. Es ist wichtig, dass wir mit der Kirche in der Verfolgung im Gebet verbunden sind. Ihr Glaube sollte für uns nicht nebensächlich sein. Und dennoch ist das Evangelium des heutigen Tages nicht deswegen unmittelbar aktuell.
  • "Sie werden euch vor die Gerichte bringen und in ihren Synagogen auspeitschen. Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt, damit ihr vor ihnen und den Völkern Zeugnis ablegt." Das ist eine völlig andere Situation, als im Nahen und Mittleren Osten, wo die Vertreibung und Ermordung der Christen und anderer Minderheiten Teil eines innermuslimischen blutigen Krieges ist. Auch wenn von Situationen berichtet wird, dass Christen vor die Alternative gestellt werden, vom Glauben abzufallen oder ermordet zu werden, ist der aktuelle Kontext eines Völker und Kulturen umfassenden Konfliktes ein anderer als der des Evangeliums.

2. Wie Schafe

  • Trotzdem hat das Fest des Hl. Stephanus und hat dieses Evangelium uns am Weihnachtsfest 2014 etwas zu sagen. Nur die Fronten verlaufen nicht so einfach, wie wir uns das oft wünschen. Weder ist der Westen einfachhin christlich noch ist der Islam einfachhin gewalttätig. Weder kommt das Morden in Syrien und im Irak aus heiterem Himmel noch ist der selbsternannte Bürgerprotest hierzulande so spontan, wie er vorgibt. Und auch bei den Gegendemonstranten, die viel zahlreicher sind als die Verkünder düsterer Abgrenzungsparolen, bin ich nicht einfachhin bei den Guten, so sinnvoll es ist, sich daran zu beteiligen.
  • Die Evangeliums-Perikope heute hat den einleitenden Satz Jesu ausgespart: "Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben, denn ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe!" Ob dieses Bestiarium zoologisch korrekt ist, weiß ich nicht. Aber die Bilder, die Jesus verwendet, zeigen an, wie Jesus seine eigene Sendung versteht und wie er von daher die Sendung seiner Jünger versteht: Nicht dass die Jünger Schafe wären. Vielmehr ist die Situation, wie Jesus sie sendet, "wie Schafe mitten unter die Wölfe!".
  • Das "wie Schafe" ist also nicht zufällige Situation, historischen Umständen geschuldet. Vielmehr ist es wesentlicher Teil der Sendung, dass wir "unter den Umständen, so wie Schafe gesendet werden", uns senden lassen, dabei klug und bedacht sein sollen, aber doch "arglos wie die Tauben", unabhängig davon, ob Tauben wirklich arglose Tiere sind.
    Jesus hätte auch sagen können: Ich sende euch, wie mich der himmlische Vater vom Himmel her gesandt hat. Ich sende Euch, als wäre es Weihnachten. Ich sende Euch wie ein wehrloses Kind, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt. Jesus hätte noch viel kürzer sagen können: Habt Teil an meiner Sendung.

3. Sendung

  • Die Idylle währt nicht nur nicht lange. Die Geburt Jesu im Stall von Betlehem war nie eine Idylle. Vielmehr ist es von vorne herein die Sendung des Sohnes in die Armut und Ohnmacht unserer Welt. Nicht dass diese Welt nur Armut und Elend wäre. Weit gefehlt! Aber nur von der Annahme und Verwandlung der Armut und nur von der Liebe zur Ohnmacht her kann diese Welt als ganze verwandelt werden.
  • Das kann jeder einzelne in sein Leben hinein ausbuchstabieren. Ohne das kann ich nicht Christ sein, denn Christsein bedeutet, Anteil zu haben an der Sendung Christi (Joh 20,21). Christ sein bedeutet die Sehnsucht, mit Christus geboren zu werden - nicht in Macht und Reichtum, sondern arglos wie das Kind im Stall.
  • Es gibt kein 'christliches Europa' und hat es nie gegeben. Es gab Könige, die meinten ihr Reich sei das Königreich Gottes. Das waren die Schlimmsten. Es gibt kein 'christliches Europa' und hat es nie gegeben. Aber es gab und - zum Glück in großer Zahl - es gibt Christen in Europa und in allen Teilen der Welt, für die Weihnachten mehr ist als eine Idylle. Es gibt Christen, die wissen dass sie Sünder sind, aber dennoch berufen, dem Kind zu folgen, arglos aber nicht dumm, wehrlos aber nicht Verlierer. Sie gehen in die Verantwortung, auch in die Politik in den Völkern dieser Welt und versuchen, sich der Sendung bewusst zu bleiben. Es gibt die Christen, die in den Medien und in der Wirtschaft Verantwortung tragen, und sich eine Arglosigkeit bewahren, die leicht mit Schwäche verwechselt werden kann. Es gibt die Christen, die unauffällig, stolpernd und suchend und doch wieder um Kraft betend sich senden lassen. Sie sind es, die durch ihr Leben, oft ganz unscheinbar das bezeugen, was Stephanus bezeugt hat: "Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen." Das Kind im Stall, ist Gottes Kind, Kind für uns Menschen, zur Rechten des himmlischen Königs. Amen.