Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr A 1993 (Matthäus)

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2. Oktober 1993 - St. Alfons, Aachen

1. Interpretationen

  • Der Sinn des Evangeliums ist naheliegend: Der Wechsel vom Alten zum Neuen Bund. Das heißt: Der ursprüngliche Zusammenhang ist eine Zusage an die verfolgte Kirche: Ihr seid die bevollmächtigten Zeugen des Herrn. Für die Kirche schwingt aber natürlich auch der Hinweis mit: Ihr selbst seid genauso gefährdet wie das pharisäische Judentum.
  • Diese Interpretationen sind gut und richtig. Sie erklären aber nicht, wer oder was denn eigentlich der Weinstock ist und wer die Winzer sind. Dann merke ich, dass diese Predigt für mich "hier oben" anders aussieht als für Sie.
    Es gibt so etwas wie ein von Gott anvertrautes Amt und das meint in der Kirche: Wenn ich als Priester hier stehe, dann tue ich das nicht weil ich nett und klug bin, sondern weil ich den Auftrag dazu habe und weil Gott mich dafür zur Rechenschaft ziehen wird. Das verpflichtet mich nicht zur Phantasielosigkeit - im Gegenteil.
  • Für die Gemeinde heißt dieser Teil der Interpretation: Im Letzten sind wir dem Pfarrer da oben nicht schutzlos ausgeliefert. Das eigentliche, worum es im Leben und in der Kirche geht, ist etwas, bei dem Gott sich vorbehält, Kehraus zu machen, wenn die, die er beauftragt hat, sich nicht daran halten. Und vielleicht sollten wir mutiger sein, manche Ereignisse der Kirchengeschichte, die Reformation etwa, so und nicht anders zu interpretieren.

2. Verantwortung

  • Das Gleichnis vom Weinberg spricht also von der Verantwortlichkeit der Winzer und von der Hut Gottes, in der sich der Weinberg wissen darf.
  • Wie hemmungslos dieser Zusammenhang umgedreht werden kann, mögen sie an dem verblüffenden Phänomen sehen, wie der Satz "Alle Gewalt kommt von Gott" jahrhundertelang ausgelegt wurde: Als Berechtigung zur Ausbeutung. Wenn sie wissen wollen, was er bedeutet, dann schauen sie in das heutige Evangelium. Alle staatliche wie alle kirchliche Gewalt ist von Gott her begrenzt und das Volk, zu dessen Schutz und Wohl diese Begrenzung existiert - Gott liebt seinen Weinberg! -, kennt sehr wohl die Punkte, an denen es daher den angemaßten Machthabern den Gehorsam verweigern muss und wo es den Bischöfen, die sich zu Rettern des Abendlandes aufspielen und dabei rücksichtslos alles Gewachsene ignorieren, sich in den Weg legen muss.
  • In Deutschland dauert dies zuweilen länger als anderswo; aber auch hier hat Gott selbst seinen Weinberg eingesetzt und alle Gewalt, sei es weltliche oder kirchliche, ist nur von Zeit.

3. Leben

  • Natürlich ist dieser Aspekt des Evangeliums nicht ausschließlich auf die beschränkt, denen besondere Ämter und Verantwortlichkeiten in Kirche oder Staat anvertraut wurden. Dennoch würden wir das Evangelium unangemessen abschwächen, wenn nicht dieser Macht-begrenzende Aspekt deutlich in den Vordergrund gestellt würde.
  • Als kleines, nur kleines aber wichtiges Beispiel dafür, wie sehr dies aber auch jeden Betreffen kann, mag ihnen das Folgende dienen. Wenn ich den Geist, der hinter dem Evangelium steht, ernst nehme, dann muss ich der herkömmlichen Auffassung über die Wahrnehmung des Stimmrechts bei Wahlen entschieden widersprechen. Ich habe meine Stimme nicht, um meine Interessen durchzuboxen. Mir ist damit vielmehr ein Amt aufgetragen, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohl des ganzen Volkes und dort noch einmal besonders zum Wohl der Schwachen und Benachteiligten wahrzunehmen habe.
  • Das Evangelium hat somit für jeden von uns beide Seiten: Die Frohe Botschaft, dass wir in Gottes wachsamer Hut sind: Er selbst nimmt sich unser, seines Weinbergs an, so sehr, dass er seinen Sohn schickt, um die ungerechten Winzer zur Rechenschaft zu ziehen. Und: Wo wir einander anvertraut sind, tun wir dies nicht, um Früchte für uns zu raffen, sondern sie vor Gott zu bringen, zu seinem Lob und zum Heil der ganzen Welt. Amen.