Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr A 2005 (Jesaja)

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2. Oktober 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Drei Bilder vom Weinberg

  • Jesaja blickt in das Herz Gottes. Erst spricht er von "einem Freund", ja "einem geliebten Freund". Dann lässt er Gott, den Herrn, selbst sprechen. Gott schüttet sein Herz aus in seiner Sorge aber auch seiner Enttäuschung über den Weinberg, den er mit so viel Liebe erworben und mit so viel Liebe gehegt und gepflegt hat. Und doch brachte er nur saure Beeren. Die Deutung, die dieses Gleichnis erfährt, trifft die Leute, zu denen der Prophet Jesaja spricht. Denn "der Weinberg" ist ein altes Bild für das Volk Gottes, Israel. Dieses hat Gott voll Liebe angelegt, damit es in Gerechtigkeit leben kann. "Doch siehe da: der Rechtlose schreit!".
  • Der Psalmbeter ruft um Hilfe. Auch der Psalm 80 greift das Bild vom Weinberg auf. Das Volk schreit zu Gott. Es erinnert ihn, dass er es doch war, der diesen Weinberg angelegt hat, der jetzt - in der Zeit der babylonischen Besatzung - so grässlich verwüstet wird. "Uns", sagt der Psalmist, hast du, Gott, als deinen Weinberg angelegt. "Erhalte uns am Leben!"
  • Auch Jesus greift das Bild vom Weinberg auf. Jeder, der ihm zuhört, weiß, wovon er spricht. Denn die Zuhörer sind die Hohenpriester und die Schriftgelehrten, die Theologen. Jesus wendet das Gleichnis gegen sie. Denn der Weinberg, sagt Jesus, bringt sehr wohl gute Frucht. Aber die Führer des Volkes, die Priester und Theologen bringen den Weinberg um seine Frucht, da sie ihn für sich behalten. Die Knechte des Besitzers - Gottes Propheten! - misshandeln sie. Den Sohn - Jesus spricht von sich selbst! - werfen sie raus und bringen ihn um. Sie wollen seinen Erbteil an sich reißen. Sie wollen für sich haben, was Gott gehört.

2. Das Volk und die Gärtner

  • Jesus verschiebt im Gleichnis die Perspektive. Nicht "das Volk", sondern die herrschenden Schichten macht er verantwortlich. Auch Jesaja lag mit den Königen und Herrschenden im Konflikt. Aber er sah, dass das ganze Volk Israel, die Reichen und Besitzenden zuvorderst, in Ungerechtigkeit verstrickt sind. Israel hatte auf die Gerechtigkeit Gottes vergessen und es waren sicher nicht die Armen, die davon profitierten. Aber dadurch wurde das ganze Volk "fruchtlos", denn es konnte nicht mehr Zeugnis geben von dem, er ihr Gott ist.
  • Jesus sieht die Früchte im Volk. Er sieht, dass dieses Volk unverrückbar berufen ist, Gottes Volk zu sein. Aber die Früchte gelangen nicht mehr an ihr Ziel. Die liebende Verbindung Gottes mit seinem Volk scheitert an den Hohenpriestern und Schriftgelehrten. Und ohne die Führung ist aus dem Volk eine planlose Menge geworden. "Die Leute" ahnen wohl, wer in Jesus zu ihnen spricht. Sie halten ihn für einen Propheten. Aber dass aus einer Menge ein Volk wird, bedarf es mehr.
  • Das wahre Volk Gottes wird den Sohn aufnehmen. Wie Gott in Israel König sein wollte, so hat er den Sohn berufen, Israel zu sammeln. Das ist die bleibende Aufgabe, darauf läuft die Geschichte des Heils zu, in der Gott die Gemeinschaft seines Volkes geöffnet hat für alle Menschen aus allen Völkern. Im Tiefsten drückt das die Liturgie aus, der Gottesdienst, den wir zusammen feiern. Der Priester soll gleichsam nur den Platz andeuten und frei halten. Denn der, der uns hier versammelt, ist Christus selbst. Sein Volk sollen wir sein.

3. Gottes Sorge für seinen Weinberg

  • Über allem steht die Botschaft: Gott selbst sorgt sich um sein Volk. Das ist das Evangelium, die frohe Botschaft. Wo wir als Versammlung Gottes, als Kirche, zusammen sind, da kann das für uns erfahrbar werden. Jeder von uns bemüht sich in seinem Leben darum, gute Früchte zu bringen. In der Liturgie aber bekennen wir, dass es Gott ist, der uns dazu stärkt.
  • In der Taufe sind wir dazu berufen, Frucht zu bringen: Früchte des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Die Kirche hat Gott nicht um ihrer selbst willen berufen. In der Taufe sind wir zusammengefügt zu einem Volk, das dazu berufen ist, Gottes Wirken zu verkünden und in unserem Leben sichtbar zu machen. Christ zu sein, ist nicht privates Bravsein, sondern diese Verkündigung.
  • Deswegen müssen Christen gegenüber jedem Schriftgelehrten und Priester wachsam und kritisch sein. Kein Papst und kein Priester, kein Theologe und kein Professor kann an die Stelle Christi treten. Sie sind nur zu dem Dienst berufen, dem ganzen Volk Gottes zu helfen, seine Berufung zu finden und zu leben. Über allem aber steht Gottes Sorge. Der "geliebte Freund", von dem Jesaja spricht, ist Gott selbst. Er sorgt sich um uns. Amen.