Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Markus)

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8. Oktober 2000 - St. Michael, Göttingen

1. Bibel lesen

  • Die Bibel ist ein Leitfaden dafür, wie wir als Christen und Kirche leben sollen. Sie gibt bei weitem nicht Antwort auf alle Fragen, die wir haben. Aber wie die Hl. Schrift die Frage der damaligen Zeit beantwortet ist nicht nur heute noch hilfreich, sondern auch heute noch bindender Maßstab.
  • Die Pharisäer kommen zu Jesus, von dem sie wissen, dass er eine radikale Ethik vertritt. Sie kommen mit einer Frage um, wie es ausdrücklich heißt, ihm eine Falle zu stellen. Die Frage ist, ob ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen kann. Die Pharisäer wissen, dass Jesus in diesem Punkt eine eindeutige Meinung hat. Aber sie benutzen ein Zitat aus der Bibel, um Jesus damit bloß zu stellen. Denn in der Tat finden sich im Buch Deuteronomium Regelungen, nach denen ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen kann.
  • Jesus aber lässt sich auf diese Diskussion nicht ein. "Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch dieses Gebot gegeben." Das verhärtete Herz, das das Gespür dafür verloren hat, was die Welt von ihrem Ursprung in Gott her ist, kann für Jesus so eine Frage nicht beantworten. Es geht Jesus nicht um legalistische Regelungen für den Mann in der Ehe, sondern um den Menschen. ("Darum wird der Mensch (EÜ: Mann) Vater und Mutter verlassen" Wohl aus Rücksicht auf das hebräische Zitat übersetzt die Einheitsübersetzung im Evangelium falsch "Mann" statt "Mensch". Wo die Pharisäer aber nach den Rechten des Mannes fragen, antwortet Jesus im griechischen Original eindeutig mit der Schöpfungsordnung des Menschen!)
    Jesus verweist darauf, dass nach der Ordnung der Schöpfung, wie sie von Gott herkommt, der Mensch seine Eltern verlässt, um eins zu werden mit einem anderen Menschen. Ja, als er mit seinen Jüngern allein ist, sagt er es noch einmal unmissverständlich: Ehescheidung ist für Jesus nicht denkbar.

2. Gesetz

  • Es ist nicht möglich, dieses Evangelium zu lesen, ohne sich dem Komplex von Problemen zu stellen, der viele Christen heute im Zusammenhang mit Ehescheidung beschäftigt oder bedrückt. Aber einen Moment sollten wir uns doch Zeit nehmen genauer hinzusehen, wie Jesus denkt und argumentiert. Denn von den vielen Diskussionen, die Jesus geführt haben dürfte, sind nur wenige in der Hl. Schrift erhalten. Zumeist dürften in den Evangelien die Themen festgehalten worden sein, die in der jungen Kirche aktuell waren. Wenn wir darauf achten, wie Jesus in diesen Fragen denkt, hilft uns das vielleicht, auch in anderen Fragen danach zu suchen, wie Jesus darüber gedacht hätte.
  • Die Pharisäer, wie sie uns schablonenhaft im Evangelium vorgestellt werden, stehen für einen Typ Menschen. Dieser Typ liest alles wie ein guter Steueranwalt das Gesetzblatt. Dieser sucht dort nach Gesetzeslücken, um für sich - oder seinen Mandanten - das Beste herauszuholen. Das Aufspüren von Lücken im Steuergesetz mag legitim sein. Wenn das aber zur prägenden Geisteshaltung wird, kann es schnell erbarmungslos werden. Denn alle Ordnung und alles Gesetz muss dann umgekehrt lückenlos gemacht werden. Alles wird Wort-für-Wort und legalistisch genommen.
  • Diese Dialektik von Suche nach Gesetzeslücken und Regelungswut durchbricht Jesus, indem er fragt: Was ist gewollt? Was ist gesollt? Was ist der Kern, um den es geht? Was will Gott?
    Die junge Kirche wollte kein staatliches Eherecht formulieren. Sie lernt von Jesus nach dem Willen Gottes zu fragen. Alle Regelungen der alttestamentarischen Gesetzeslisten haben für die Kirche - wie für viele andere Juden damals wie heute auch! - nur Sinn, wenn sie von ihrem Sinn her verstanden werden: Dem Willen Gottes.

3. Ehescheidung

  • Jetzt aber den Blick auf die konkrete Frage. Darf ein Eheversprechen gelöst werden? Hat Jesus gewollt, dass die Gemeinschaft der Christen in der Kirche so etwas kennt oder gar regelt wie Ehescheidung?
    Zu allererst will Jesus, dass wir sehen, welches Geschenk die Verbindung von Mann und Frau in der Ehe ist: Dass der Mensch Gemeinschaft findet. Zwei werden ein Fleisch sein. Der Mensch ist ein Wesen, fähig zu vertrauen. Zwei Menschen können sich so aneinander verlieren, dass aus zwei eins werden. Nicht als Lebensabschnittspartnerschaft, nicht als Nutzerwägung, sondern als Hingabe.
    Wie Alles steht auch dies unter dem Zeichen des Kreuzes. Wie Alles ist auch die Ehe zweier Menschen erlösungsbedürftig. Wie in Allem kann auch in der Ehe das Leid dieser Welt erlebt werden. Dies alles allein kann jedoch kein Grund sein, davon abzugehen, dass das Eheversprechen mehr als ein "vielleicht" oder "mal sehn" meint. Es hängt direkt mit unserem Glauben an Gott, den Ursprung zu das Ziel der Welt, dass wir am Einsatz des ganzen Lebens im Eheversprechen festhalten. Wir berufen uns dabei zu Recht auf Jesus und die Radikalität seines Glaubens.
  • Die Regelung bezüglich der Abfindung bei Ehescheidung im Buch Deuteronomium, sagt Jesus, hatte Moses getroffen wegen der "Hartherzigkeit" der Menschen. Das bedeutet doch wohl, dass es trotz der von Gott gewollten Unauflösbarkeit der Ehe vorgekommen ist, dass Männer ihre Frauen verlassen hatten, um zu einer anderen zu gehen. Damit in so einem Fall die erste Frau nicht in Armut fällt, hat das Gesetz des Mose dafür eine Regelung treffen müssen.
    Die junge Kirche lebt im Bewusstsein der kurzen Zeit bis zur Vollendung der Welt. Daher die Radikalität, die so eine Regelung für hartherzige Fälle ablehnt. Es spricht für die Kirche, dass sie immer wieder versucht, nicht ihrerseits hartherzig in der Radikalität zu sein - aber doch nicht von dem klaren Gebot Jesu zu lassen.
  • Konkret sieht das Recht der Kirche daher vor, dass geprüft werden kann, ob eine bestimmte Verbindung tatsächlich im Sinne Jesu eine Ehe war. Ob da nicht zwei Menschen ohne die rechte Freiheit in etwas hineingeschliddert sind; ob nicht einer der beiden von vorne herein Vorbehalte hatte, die mit der Radikalität der christlichen Ehe unvereinbar sind...
    In diesen Fällen hilft die Gemeinschaft der Kirche den beiden, indem sie feststellt, dass das, was da Ehe genannt wurde, nie eine war.
    Die sozialen Veränderungen in der Moderne helfen uns nicht gerade, christliche Radikalität zu leben, sei es in der Ehe, sei es im Zölibat. Wir helfen uns gegenseitig, wenn wir die Radikalität Jesu wach halten. Wir sollten es uns daher auch nicht leicht machen, Ehescheidung als etwas "Normales" zu akzeptieren. Dennoch müssen wir wissen, dass ein legalistisches Festhalten an Regelungen immer auch Hartherzigkeit bedeuten kann. Dies gilt in vielen Fällen besonders gegenüber Christen, die nach einem ersten Scheitern seit langer Zeit in einer neuen Ehe wieder verheiratet leben. Maßstab kann immer nur die Weise Jesu sein: Die Weise, in der Jesus dachte, fühlte, entschied. Im Blick auf den Willen Gottes und dem Großen, was er uns Menschen in der Schöpfung geschenkt hat. Amen.