Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr B 2003 (Markus)

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5. Oktober 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Käfig

  • Die Szenerie, in der unser Leben sich abspielt, hat Bilder im Hintergrund. Auf der Suche nach einem passenden Hintergrundbild, dürfte eines für viele besonders treffend wirken: Der Vogelkäfig. Denn Vögel können wunderschön sein und prachtvoll singen, herausgeputzt um sich und anderen zu gefallen. Aber immer im Käfig. Nicht dass der Käfig hässlich ist. Es gibt Vogelkäfige aus Gold. Nur die Gitterstäbe, die sind gehärtet.
  • Kein Zeitalter dieser Welt hat so vielen Menschen so viel Raum gegeben, das Leben zu gestalten. In kaum einer Gegend der Welt gibt es so viel Wohlstand und Schönheit. Aber gerade dann, wenn die Möglichkeiten groß sind, werden die Zwänge spürbar. Die Gitterstäbe des Vogelkäfigs sind die Kehrseite der Freiheitsgesellschaft.
  • Die freie Berufswahl ist weltgeschichtlich ebenso die Ausnahme wie weltweit. Die Freiheit, sich nach der eigenen Façon zu kleiden, desgleichen. Jahrhunderten wäre die Idee der freien Partnerwahl weltfremd erschienen. Wir hier, heute haben sie - wenn die Berufswahl nicht an der Arbeitslosigkeit, die Kleiderwahl nicht am Geld, die Partnerwahl nicht an der Einsamkeit scheitert.

2. Frage

  • Ein Sprung in eine andere Zeit. In einer Gesellschaft, die krasse Armut kennt und der Schranken aller Art selbstverständlich sind, verkündet Jesus den Anbruch des Gottesreiches, zu dem jeder Mann und vor allem auch jede Frau gleicherweise berufen ist. Er lehrt und heilt. Er bewegt die Menschen, den Aufbruch zu wagen. Dabei weiß und spürt er aber auch immer mehr, dass gerade diese Bewegung der Freiheit an die Grenze des alten Denkens stoßen wird.
  • Auf dem Weg nach Jerusalem mehren sich die Streitgespräche. Vertreter der führenden intellektuellen Schicht kommen auf Jesus zu, um ihn durch ihre Fragen zu überführen. Sie wollen deutlich machen, dass Jesus mit seiner Verkündigung dem Mainstream ebenso widerspricht wie dem herrschenden Gesetz. Sie wollen zeigen, wie unpopulär seine Botschaft ist. Dazu haben sie die passende Frage gefunden: Ist es erlaubt, "darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen?". Sie wissen dabei, dass im Gesetz des Mose, im Alten Testament, Gesetzesbestimmungen die Frau schützen wollten vor der Willkür des Mannes und daher ihre Rechte im Falle einer Scheidung formuliert hat.
  • Ihnen aber geht es nicht um die Rechte der Frau, sondern darum, "was ihnen erlaubt" ist. Das ist die populäre Frage. Sie wollen Jesus überführen, dass er den Menschen die Freiheit nimmt. Erlaubt nicht die Bibel selbst die Ehescheidung? Was also machst Du, Jesus, den Menschen das Leben schwer?

3. Das Herz

  • Jesus gibt ihnen nicht nach. Denn es ist die Härte des Herzens, die hinter der Frage steht. Das griechische Wort für Herzenshärte übernimmt Jesus aus dem Alten Testament (Dtn 10,16; Jer 4,4). Dort ist ein hebräischer Ausdruck, den ich wiedergeben möchte mit: "das Herz in Verbindung bringen mit Gott"(1). Das griechische "sklerokardía" könnte aus der inneren Medizin stammen: Sklerose des Herzens. Durch lange Gewohnheit verhärtetes Herz. Die Frage nach dem, was "das Gesetz erlaubt" ist Sklerose des Herzens.
    Nicht was im Umgang zwischen den Menschen gerade noch so und vom Gesetz erlaubt ist interessiert Jesus, sondern woraufhin der Mensch geschaffen und berufen ist. Welche Fähigkeiten liegen im Menschen und was fühlt ein Herz, das sich mit Gottes Herzen verbindet im Heiligen Bund?
  • Die Frage der Pharisäer bleibt an den Gitterstäben des Vogelkäfigs haften. Dieses Denken sieht nur auf die Grenzen des eben noch erlaubten. Das ist Meilen entfernt von der Freiheit, die die Botschaft Jesu atmet. Es ist die Freiheit zur Liebe, die sich inspiriert an dem, was in der Schöpfung Gottes an positiven Möglichkeiten angelegt ist. Nicht das geräuschvolle Klappern an den Gitterstäben schafft diese Freiheit, sondern nur eine Kraft, die von dem kommt, was Gott in unser Herz gelegt hat.
  • Ich weiß, dass ich damit zu drängenden Fragen wie Beziehungs- und Ehekrise ebenso wenig gesagt habe, wie zu der Frage, wie sich die Kirche Jesu zur Ehescheidung gestellt hat. Ich weiß aber, dass die Antwort auf alle diese Fragen, ja dass das Reich Gottes nicht gefunden werden kann, wenn wir uns fixieren auf das, was vom Gesetz eben noch so erlaubt ist. Die Antwort auf diese Fragen, ja das Reich Gottes kann nur gefunden werden, wenn wir beim zweiten Teil des heutigen Sonntagsevangeliums anfangen: "Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen." Gott hat so viele Kraft zur Liebe in unser Herz gelegt. Jesus lädt uns ein, diese Kraftquelle wieder zum sprudeln zu bringen. Amen.

 


Anmerkung

1. "beschneidet die Vorhaut eures Herzens" ist im hebräischen Alten Testament das aus dem Ritus übernommene Bild. So wie der jüdische Mann an der Vorhaut des Gliedes beschnitten ist zum Zeichen des Bundes mit Gott, so soll dieses äußere Zeichen auch das Herz in Verbindung bringen mit Gott. Die vorchristliche Übersetzung ins Griechische formuliert "Beschneidet eure Herzenshärte". (Jer 4,4)