Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr B 2015 (Genesis)

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4. Oktober 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Das Undenkbare tun

  • Was macht das Undenkbare möglich? Was wir aus der Bibel hören, bewegt sich in der Denkwelt der Antike. Vielleicht macht uns der Unterschied zu damals klar, dass wir so anders doch nicht sind. Was macht das Undenkbare möglich, nämlich dass ein junger Mensch die Sicherheit seiner Familie aufgibt und Vater und Mutter verlässt? Für einen Menschen der Umwelt der Bibel ebenso wie für viele Kulturen heute ist das völlig undenkbar: Die feste Bindung an Vater und Mutter ist der Garant von Sicherheit.
  • Das ist heute in vielen Städten und Gegenden anders geworden. Manche lassen ihre Familien ganz zurück, freiwillig oder gezwungen oder auf der Flucht. Aber all das bedeutet nicht, dass wir andere Menschen sind. Es gibt nur eine Vielzahl anderer Absicherungen wirtschaftlicher und emotionaler Art (oder zumindest die Hoffnung darauf), die es heute ermöglichen, auch in Distanz zu Vater und Mutter zu leben. Doch so oder so lebt der Mensch, wenn er Mensch ist, in Beziehung, und er lebt aus Beziehungen. Nimmt man uns das, sind wir wie tot, auch wenn wir noch irgendwie funktionieren.
    Vater und Mutter, Sippe und Herkunft war und ist die normale Basis-Beziehung. Ob alle Beziehungen, in die Menschen sich heute statt dessen vernetzen, tragfähig sind, mag mit Fug und Recht bezweifelt werden. Aber dass wir als Wesen der Beziehung geschaffen sind, scheint mir außer Frage zu stehen. Der Mensch ist ein animal sociale.
  • Was also macht das Undenkbare - Vater und Mutter zu verlassen - denkbar? Nur dass es einen mindestens gleichwertigen Ersatz dafür gibt - oder die Hoffnung darauf. Genau den aber behauptet die Bibel in dem Abschnitt, den wir heute gehört haben, von der Gemeinschaft von Mann und Frau. "Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch." Die Grundthese der biblischen Erzählung von der Erschaffung der Frau heißt also: Die Liebe zwischen Mann und Frau vermag stärker zu sein als die Bindung an die Verwandtschaft. Die beiden, die eine Ehe eingehen werden nämlich nun das, was die Blutsverwandtschaft immer von sich behauptet: "Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch". Die Frau, heißt das, ist für den Mann nicht Fremde, sondern ebenbürtig. Und umgekehrt, sollten wir heute anmerken, ist das ebenso.

2. Kreative Bewahrung der Schöpfung

  • Für Jesus ist klar: Das ist das Potential der Beziehung in der Ehe. Sie ist nicht ein Rechtsgeschäft nach Nützlichkeitserwägungen, sondern Schöpfungswerk Gottes: Aus allem Ursprung und Anfang und Quellgrund "hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen". Schöpfung meint dabei nicht irgend etwas längst Vergangenes. Vielmehr ist Gott in jedem Augenblick seiner Schöpfung, im Werden und Geschehen gegenwärtig. Er ist der immer währende Schöpfer; die Schöpfung ist ist creatio continua (Augustinus).
  • Dadurch aber wird deutlich: Wenn zwei einen Bund der Ehe mit einander eingehen und eine Familie gründen, dann sind sie darin nicht auf sich allein gestellt. Es ist Gott, der sie "verbunden" hat - und zwar genau in dem Augenblick, wo sie aus freiem Willen und nach reiflicher Überlegung ihr Ja-Wort zu einander sprechen. Dort wo Menschen in kreativer, hörender Freiheit mitwirken an der Schöpfung Gottes, dort erfüllt sich Gottes Schöpfung. Dort wo Menschen einander annehemen als Mann und Frau, geschieht Schöpfung.
    Die bildreiche Erzählung von der Erschaffung von Frau und Mann aus dem Menschen ist Teil der Geschichte von Gottes guter Schöpfung und nicht ein Kapitel aus der Geschichte menschlicher Sünde.
  • Schöpfung ist nie etwas abgeschlossenes, sondern immer etwas, das lebendig ist. Für manche ist das undenkbar: Schöpfung entwickelt sich fort in der Geschichte der Natur und der Menschen. Ja, Gott ist nicht ein in Pension gegangener Weltenbastler, sondern lebendig, schöpferisch und kraftvoll der Herr des Himmels und der Erde.
    Bewahrung der Schöpfung kann daher niemals nur konservativ sein, Vergangenes bloß bewahrend. Vielmehr braucht Bewahrung der Schöpfung die ganze schöpferische Phantasie und Kreativität des Menschen - und Gott, der darin bleibend Schöpfer ist.

3. Ein heiliger Bund

  • Zwei Ereignisse machen die Schrifttexte heute besonders aktuell. Zum einen beginnt heute in Rom eine Versammlung von Bischöfen aus aller Welt, um darüber zu beraten, wie wir als Gemeinschaft der Kirche die Kreativität von Ehe und Familie stützen und fördern können. Der Papst sieht darin eine vordringliche Aufgabe der Kirche, gerade in Zeiten, in denen manche in die alten Schemata der Blutsbande und Nationalismen zurück fallen und andere in einer Gesellschaft untergehen, die jede Bindung unter Verdacht stellt und Menschen radikal vereinzelt, um in ihnen zahlungswilligere Konsumenten zu haben.
  • Das andere Ereignis aber ist hier im Kleinen Michel, dass heute in unserem Gottesdienst S. und M. einander annehmen wollen als Mann und Frau. Es mag Zufall sein, dass die beiden heute hier sind, genau an dem Tag an dem die Leseordnung der Kirche diese Bibeltexte vorgesehen hat. Für uns alle aber ist es ein Geschenk. Von ihrer Herkunft und Kultur her scheint da vieles unmöglich - Armenien und Nigeria, London und Hamburg, deutsch und englisch, im Internet zu hause und doch aus Herkunftsfamilien stark geprägt. Aber gerade so können sie die Wahrheit der Schrift bezeugen: Das Undenkbare ist möglich, wenn wir es tun.
  • Die Ehe ist ein heiliger Bund. Gottes Kraft kann in ihr wohnen und wirken. S. und M. aber machen deutlich, welch ein Geschenk dieser heilige Bund ist: Für die beiden, für die Kinder, die wir dieser Ehe wünschen, aber auch für uns alle, für die Gottes wunderbare Schöpfermacht sichtbar wird, wenn zwei Menschen mit einander den heiligen Bund eingehen. Amen.