Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 28. Sonntag im Lesejahr B 2006 (Markus)

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15. Oktober 2006 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt

1. Ernsthafte Suche

  • Ein Schlusssatz scheint dem Evangelisten Markus noch wichtig gewesen zu sein. Die Leseordnung hat es leider weggelassen. Aber Markus hat diesen typischen Jesusspruch noch drangehängt: "Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein." Das bezieht sich einerseits darauf, dass viele, die jetzt zu den Besitzenden und Mächtigen gehören, angesichts der ewigen Liebe Gottes mit leeren Händen dastehen werden. Der Satz sagt aber auch: Wenn wir hier davon reden, was genau man tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen, möge man sich auf die Überraschung gefasst machen, dass Gottes Maßstab reichlich anders ist, als der unsere.
  • Zunächst aber tritt eine sympathisch gezeichnete Figur auf. Der reiche Mann, der zu Jesus kommt, hätte sicher auch eine gute Karikatur abgegeben. Aber Jesus nimmt ihn und seine Frage ernst. "Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?". Diese Frage beschäftigt sogar heute noch Menschen, sobald die Mechanismen stottern, mit denen wir die Realität des eigenen Todes verdrängen. Der Mann teilt den Glauben Jesu, dass auch ein Leben noch nach dem Tod kommt. Er weiß zudem, dass das jenseitige Glück zu tun hat mit der Bewährung in diesem Leben. Er fragt daher bei Jesus nach, dem er offensichtlich große Hochachtung entgegenbringt.
  • Der Jude Jesus verweist den Mann auf das, was jeder Jude weiß. In den zehn Geboten steht, wie man leben soll, um im Bund mit Gott zu sein, in diesem Leben und über dieses Leben hinaus. Es beginnt mit den drei Geboten der ersten Tafel: Gott als das höchste Gut über alles zu stellen. Und das wird konkret in den Geboten: "Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen; ehre deinen Vater und deine Mutter!". Die Einschätzung des Mannes dass er danach lebe, scheint nicht arrogant gewirkt zu haben. In der Tat überfordern die Gebote niemanden. Halte die Gebote und du bist im Bund mit Gott - und Gott wird sich als treu erweisen, auch wenn das Leben auf Erden zu Ende geht!

2. Nur Ewiges Leben

  • Bis dahin war nichts spektakuläres gesagt worden. Jetzt aber wird deutlich, dass Jesus große Zuneigung zu diesem Menschen gefasst hat. Er berührt ihn liebevoll und sieht ihn an: "Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!" Nicht dass dem Mann etwas fehlen würde, um das Ewige Leben zu gewinnen. Das war schon klargestellt. Aber Jesus sieht in dem Mann Potential für mehr. Auch ein reicher Grundbesitzer kann das ewige Leben erlangen, wenn er sich von Korruption und Ausbeutung fernhält. Aber bei diesem einen wäre mehr drin.
  • Was über das Ewige Leben im Jenseits hinausgeht, ist die Freiheit im Diesseits. Jesus sieht, dass der reiche Mann die Chance hätte, jetzt gleich etwas zu tun und zu finden, was sein Leben verändert und über ein braves Halten der Gebote hinausgeht. Aber dazu kann der Mann sich nicht entschließen. Er hatte ein großes Vermögen, heißt es. Daher schafft er es nicht, sich einfach zu befreien und mit Jesus auf den Weg zu machen. Man kann es ja verstehen.
  • Was ihm entgeht, weiß der reiche Mann nicht. Er hatte nur nach dem Jenseits gefragt, nach dem Ewigen Leben. Es fällt aber im Gespräch Jesu mit den Jüngern auf, dass es da mehr gibt als Ewiges Leben im Jenseits. Man könnte es fast 'Ewiges Leben im Diesseits' nennen. Jesus nennt es 'Reich Gottes'. Das zu finden ist schwer. "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt." Denn dieses Reich besteht aus einer Freiheit, die wir uns nur schwer ausmalen können, da wir an so viele Bindungen gewöhnt sind. Diese Freiheit aber besteht nur aus einer einzigen Bindung: an Gott, der selbst die Liebe ist.

3. Neue Gemeinschaft

  • Die Verheißung gilt jedem "der um Jesu willen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker" verlassen hat. Nicht einfach all dies zu verlassen, sondern es mit der Perspektive zu verlassen von der Frohen Botschaft, dass Gott in Jesus Christus sein Reich auf Erden begründet, gibt Anteil an diesem Reich. Wer einfach nur Familie und Besitz verlässt, hat nichts außer dem nackten Selbst. Wer sich davon aber frei macht, weil ihm die Liebe Gottes das Wichtigst ist, wird zwar vielfach anecken und Widerstand finden ("wenn auch unter Verfolgungen", heißt es deshalb), aber er wird in allen Völkern Menschen finden, die sich auf den selben Weg gemacht haben. Diese sind ihm Schwester, Mutter oder Kind. Vielleicht wird er sogar seine eigene Familie in dieser Perspektive neu gewinnen.
  • Eines aber gibt es nicht: einen neuen Vater. Das fällt auf. Der Vater gehört zu dem, wovon ich mich frei machen muss. Aber auf Erden werde ich keinen Vater bekommen. Es mag sein, dass die Väter heute weniger Patriarchen sind als damals. Im Kern aber bleibt, dass Christen nur einen ihren Vater nennen sollen, den im Himmel (Mt 23,9). Unter Katholiken und als "Pater" muss man das besonders betonen. Jesus hat die Jünger befreit aus der Enge ihrer Familie und dem Besitz, den sie gehabt haben mögen. Aber er ist ihnen nicht Vater geworden, sondern hat sie zu dem einen Vater im Himmel geführt. Ihm gegenüber sind wir Schwestern und Brüder. Daran muss sich auch jede Gemeinde, jede Vereinigung oder Verbindung messen lassen, die christlich sein will. Auch in rechtsradikalen Burschenschaften kann man so etwas wie Brüderlichkeit finden und ein Haus bewohnen. Christlich aber ist, wenn die Gemeinschaft, der man sich anschließt, nur einen 'Vater' kennt, den im Himmel.
  • Der Mensch Jesus und seine Jünger sind das Modell. Die Jünger waren noch längst keine Heiligen. Aber sie haben in der Gemeinschaft mit Jesus erlebt, wie viel ihnen geschenkt wurde. Es gab mehr Leute, die sie angefeindet haben, als wenn sie in ihrer bürgerlichen Existenz geblieben wären. Aber das genau erfahren sie jetzt, dass solche Verfolgung sie nicht mehr erreicht, weil sie nichts haben, das man ihnen wegnehmen könnte. Sie sind nicht mehr zu enteignen, weil sie in der Gemeinschaft mit Jesus ganz zu sich selbst gefunden haben, schon hier, nicht erst im Jenseits. Das Reich Gottes vertröstet nicht, es lädt ein, es jetzt zu versuchen. Amen.