Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 28. Sonntag im Lesejahr B 2009 (Markus)

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11. Oktober 2009 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Mehr als nur Gebote

  • Unflexibilität, Glaubensmangel [und unklare Autorität]. Im heutigen Evangelium werden zentrale Themen der Kirche in Deutschland behandelt. [Auf dem Weg nach Jerusalem kündigt Jesus drei Mal an, was ihn dort erwartet: Verfolgung, Kreuz, aber auch Auferstehung. Was auf dem Weg zwischen den drei Ankündigungen passiert illustriert den Glaubensweg, den die Jünger noch vor sich haben.]
  • Ein Mann fragt Jesus nach dem Weg zum Ewigen Leben. Die Frage, wie er jetzt leben muss, um am Ewigen Leben nach dem Tod teilzuhaben, bewegt ihn: "Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?" Dabei kennt er als guter Jude die Antwort. Die zehn Gebote sind der gültige Weg. Und dieser Weg ist 'machbar'. Jesus hat keinen Grund, die Selbsteinschätzung des Mannes in Frage zu stellen, wenn dieser sich bescheinigt "alle diese Gebote von Jugend an befolgt" zu haben. Dieser Teil ist wenig spektakulär.
  • Jetzt aber schaut ihn Jesus mit Liebe an. Er sieht in diesem Mann einen Menschen, dem mehr geschenkt sein könnte, als bis zu seinem Tod dies und das 'tun zu müssen', um dann ins Ewige Leben zu gelangen. Er könnte jetzt schon die Freiheit und das Glück finden, ganz aus der Gemeinschaft mit Gott zu leben. Der Mann aber scheitert daran, weil er an einem entscheidenden Punkt unflexibel ist: Seinen Reichtum den Armen geben, das will und kann er nicht. Der Mann geht traurig davon. Eine Chance ist verpasst. Wie gesagt, man kommt rechtschaffend durch das Leben, wenn man die Gebote hält. Aber richtig prickelnd ist das nicht. Spannend wird das Leben erst dort, wo es gelingt, von den Stützpfeilern der selbstgemachten Sicherheit abzulegen und die Fahrt auf offener See zu versuchen.

2. Reichtum

  • Genau daran scheitern wir als Kirche in Deutschland zu aller erst. Die deutsche Kirche ist reich, sowohl was die Lebenssituation eines beträchtlichen Teils der Getauften betrifft, als auch was unsere gemeinsame Institution betrifft. Der finanzielle Reichtum der kirchlichen Einrichtungen ist dazu da, weggegeben zu werden.
  • Das machen wir sogar mehr, als gut tut. Die Bistümer und Pfarreien leben vielfach von der Substanz. Deswegen auch hier allerorten Sparpolitik. Und doch ist es genau der Reichtum, an dem die deutsche Kirche krankt: Nicht der finanzielle Reichtum, sondern der Reichtum an Sicherheiten, an Strukturen und an Erfahrungen; genauer an risikoscheuen Sicherheiten, an gerade noch so funktionierenden Strukturen und an Erfahrungen, wie es früher in einer ganz anderen Zeit mal funktioniert hat.
  • Das Geld reicht gerade noch so, um die überkommen Strukturen aufrecht zu erhalten. Die Erfahrung ist gerade noch nicht so katastrophal, dass wir sie über Bord werfen würden. Wir sind wie der reiche Mann im Evangelium. Wir kommen noch über die Runden mit dem, was wir verzweifelt festhalten, und merken nicht, dass Christus uns längst schon zu einem Kirchesein berufen hat, das prickelnder ist als nur Mangelverwaltung, Pflichterfüllung und der Sitzplatz in der hintersten Kirchenbank.

3. Glaubensmangel und unklare Autorität

  • Jesus hat mehr zu bieten: Das Reich Gottes könnte hier und jetzt bereits die Erfahrung sein, dass das Leben mehr und Größeres ist als Gesetzeserfüllung. "Wenn auch unter Verfolgungen", wie er ausdrücklich sagt, könnten wir den Geschmack der Fülle des Lebens haben, wenn wir konsequent nicht aus der Pflichterfüllung, sondern aus der Fülle der Gemeinschaft des Glaubens mit Christus leben.
  • Den Weg, den er öffnet, ist der Weg der inneren Freiheit und Größe. Der Zugang dazu ist eng wie ein Nadelöhr für den, der an allem festhält, was immer schon sein Reichtum war, ob das nun Geld ist oder die reiche Illusion einer Kirche, die mit Gruppen, Verbänden und Strukturen früher doch ganz gut funktioniert hat. Heute steht uns dieser Reichtum im Weg, zu sehen, wo die spannende Reise morgen hingehen könnte.
  • Es ist unmöglich, dass ein Kamel durchs Nadelöhr schlüpft. Aber es ist keineswegs unmöglich, dass Gott andere Wege öffnet. "Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich." Wir können nicht von heute auf morgen andere Menschen werden und genauso wenig eine andere Kirche werden. Aber wir können den Blickwechsel wagen auf das, was Gott möglich macht. Längst gibt es Aufbrüche von lebendigem Glauben auch in unserer Mitte, nur dass dieser Glaube vielleicht andere Lieder singt als "Eine feste Burg ist Gott der Herr" und "Ein Haus voll Glorie schauet". Vielleicht erkennen wir diesen Glauben gar nicht als katholisch, weil der Heilige Geist sich nicht an die Strukturen unserer Pfarrei und Gemeinde hält. Das Evangelium ermutigt, wegzugeben und hinzuschauen: alte Sicherheiten wegzugeben und zu sehen, was alles Gott möglich ist. Amen.
  • [Und dann gehört das Gespräch Jesu zum heutigen Evangelium dazu. Denn Petrus, der Fels, wie auch die anderen Jünger sind Jesus nachgefolgt und haben den Schritt gewagt, den der Reiche nicht gehen konnte. Sie haben mit Jesus "und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen". Deswegen gilt ihnen die Verheißung, dass sie das alles schon in dieser Welt auf neue und befreiende Weise erfahren: "Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker". Alles, was sie verlassen haben, bekommen sie in einer neuen, befreienden Weise zurück - bis auf eines: Väter fehlen in der zweiten Liste. So sehr wir in der Nachfolge Schwestern und Brüder finden, so sehr wir durch den Glauben Häuser und Äcker besitzen können, ohne süchtig von diesem Besitz dann abhängig zu sein, so wenig bekommen wir hier auf Erden durch den Glauben Väter, auf die wir Verantwortung abwälzen könnten oder deren Leitung wir uns blind überlassen dürften. Christen haben nur den einen Vater im Himmel. Das macht sie gerade aus, dass sie als höchste Autorität nur den einen Gott gelten lassen, dem auch alle Päpste, Bischöfe und Pfarrer dienen müssen. Dies ist der Schluss des heutigen Evangeliums: Macht euch auf, den Reichtum eurer Sicherheiten wegzugeben und beginnt zu ahnen, was unserem Gott möglich ist. Er allein zählt. Amen.]