Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 28. Sonntag im Lesejahr B 2012 (II.Vatikanisches Konzil)

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14. Oktober 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg


Predigtreihe im Kleinen Michel September/Oktober 2012

aus Anlass der Eröffnung des Konzils vor 50 Jahren

 

1. Evangelisch und Katholisch

  • Bilder sind heute oft wichtiger als Worte. Zumindest insofern ist die katholische Kirche modernetauglich. Denn Bilder und Symbole haben bei uns einen besonderen Stellenwert. Daher drückt ein Bild sehr viel aus über das geänderte Verhältnis der Katholiken zur Ökumene: Der Papst und der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, gleichauf bei einem Gottesdienst vergangenes Jahr am 23. September in Erfurt. Sind sonst in der Katholischen Kirche Rangunterschiede sehr deutlich erkennbar, stehen hier zwei identische Stühle auf selber Höhe einander symmetrisch gegenüber. So ist der Pontifex Maximus der Katholischen Weltkirche zu Gast in lutherischen Stammlanden gewesen.
  • Als vor 50 Jahren am 11. Oktober 1962 das Zweite Vatikanische Konzil mit über 2.000 Bischöfen aus aller Welt eröffnet wurde, war es hierzulande vielfach noch undenkbar, dass auch nur zwei Dorfpfarrer verschiedener Konfession zum gemeinsamen Gebet in einer Kirche zusammen kommen. Die anderen waren "die Anderen", mit denen man nicht viel zu tun hatte. In Deutschland war das zwar schon durchbrochen durch die gemeinsame Erfahrung des Widerstandes und der Verfolgung im Dritten Reich. Die Vier Lübecker Märtyrer sind dafür nur ein - wenn auch besonders wichtiges - Beispiel. Aber die Realität war vor 50 Jahren, zumindest nach der starken Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert, die Abgrenzung und Profilierung auf Kosten der anderen.
  • Benedikt XVI. wird sicher auf dem Anspruch der Katholischen Kirche bestehen, dass der Primat, wie er sich biblisch in der Rolle des Petrus ausdrückt, auch heute im Vorrang des Bischofs von Rom zum Ausdruck kommt. Aber das Bild von Erfurt steht ganz in der Tradition des Konzils, das Katholiken auffordert, den Christen anderer Konfessionen "mit Liebe und Demut" zu begegnen und sich um eine Sprache zu bemühen, die "von den getrennten (Schwestern und) Brüdern wirklich verstanden werden kann" (Dokument Unitatis redintegratio Nr. 11).

2. Die eine Kirche

  • Das Konzil hat die katholische Kirche vor allem durch die Rückbesinnung auf die Theologie der frühen Kirche erneuert. Von dort her war es möglich, in aller Klarheit zu sagen, dass die eine Taufe dem einen Leib Christi eingliedert. Das verbindet alle Christen in einzigartiger und grundlegender Weise.
    Wenn daher jemand, der in einer evangelischen Kirche getauft wurde, 'katholisch werden' will, heißt der Vorgang nicht Übertritt von einer Kirche in eine andere, sondern 'Aufnahme in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche'. Die 'volle Gemeinschaft' drückt sich für Katholiken in der Gemeinschaft der Eucharistie (Abendmahl) und in der gemeinsamen Leitung durch das geistliche Amt aus, letztlich immer in der Einheit, die durch das Petrusamt sichtbar ist.
  • Was ist dabei das Selbstverständnis der Katholischen Kirche? Es gibt ja verschiedenste Kirchen, die "vor den Menschen den Anspruch, das wahre Erbe Jesu Christi darzustellen" (Nr. 1). Der Anspruch der Katholiken ist - wie mangelhaft dieser Anspruch auch im Konkreten eingelöst werden mag -, dass die Fülle der "Mittel", die den Menschen durch die Offenbarung Jesu Christi geschenkt ist, in der einen Kirche, die sich in Kontinuität aus apostolischer Zeit entwickelt hat, bewahrt und gegenwärtig ist; das Konzil spricht hier von "dem ganzen Reichtum der von Gott geoffenbarten Wahrheit und der Gnadenmittel". Gemeint sind vor allem die Heilige Schrift und die Sakramente.
  • Dies wird zunächst den "Kirchen des Ostens" ebenfalls zugestanden, auch wenn die sichtbar Verbundenheit mit dem Petrusamt fehlt. Für Katholiken ist vor allem die Eucharistie und das Amt in Tradition der Apostel Wesensmerkmal von Kirche. In der anglikanischen und einigen anderen evangelischen Kirchen ist das vielfach ebenfalls gegeben. Aber auch dort, wo diese - nach unserem Verständnis - wesentlichen Elemente nicht gegeben sind, spricht das Konzil von "kirchlichen Gemeinschaften"; die Formulierung betont die Kirchlichkeit auch dieser Konfessionen, die sich ja manchmal bewusst "Gemeinde" und nicht "Kirche" nennen.
    Wir sind Kraft der Taufe mit Christus verbunden. In allen wirkt "ohne Zweifel tatsächlich das Leben der Gnade". "Viele und bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt" existieren nach Lehre des Konzils "auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche" (Nr. 3).

3. Mit Christus auf dem Weg

  • Die Spaltung der einen Kirche Christi ist Schuld von Menschen. Das Konzil spricht mehrfach ausdrücklich auch von der eigenen Schuld. Aber die Botschaft vom Heil des Kreuzes bedeutet zugleich: Gott wirkt mit und durch die Sünde hindurch sein Heil. Nur Christus selbst kann die Wunde heilen und die Einheit herbeiführen.
  • Daher spricht das Konzil von dem, was der Heilige Geist den verschiedenen Konfessionen an Glaubenserfahrungen geschenkt hat. Wir müssen also dahin kommen, das Eigene als eine Gnade und ein Geschenk auch für andere zu begreifen. Um es in einer Formel zu bringen: Nicht gegeneinander, sondern für einander profilieren. Bei dem vielen Miteinander, das wir gerade auch hier in Hamburg praktizieren und das in konfessionsverschiedenen Ehen tagtäglich gelebt wird, ist dies die Quelle, aus der die Einheit kommen kann.
    So sind etwa die Erfahrungen der evangelischen Kirche mit Frauen im geistlichen Amt unverzichtbar für die katholische und die orthodoxen Kirchen. So könnte auch das viel kritisierte Festhalten der Katholiken an der Zusammengehörigkeit von Eucharistiegemeinschaft und sichtbarer Kirchengemeinschaft für die in unzählige Kirchen und Gemeinden zerfallene reformatorische Tradition ein wichtiger Anstoß sein.
  • Eines ist den evangelischen und orthodoxen Christen an den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils besonders positiv aufgefallen. Immer und immer wieder denkt das Konzil die einzelnen Themen von Christus her. Aus der Begegnung mit und der Besinnung auf ihn, wird die eine Kirche Christi erneuert, lebendig gemacht und kann die Erfahrung wachsender Einheit machen. Und auch nur so. Amen.