Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 29. Sonntag im Lesejahr C 2007 (Lukas)

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21. Oktober 2007 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt

1. Ein Gleichnis

  • Eine Witwe, die nur eine schmale Rente hat. Aber davon konnte sie leben, denn das Häuschen gehört ihr. Es war auch korrekt versichert. Aber nach dem Brand erhält sie kein Geld. Der Makler bezweifelt wortreich, dass der Wert richtig bemessen wurde. Ein Gerichtsverfahren kann sich hinziehen, zumal der Richter ein Freund des Maklers ist. Man spielt Golf zusammen. Von ihrer Rente kann die Witwe keine Miete zahlen. Sie ist am Ende. Andere gäben klein bei. Sie aber hat schon vieles durchgemacht. Sie setzt dem Makler zu. Da "sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich nicht in Ruhe. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht."
  • So etwa könnte das Gleichnis heute aussehen. Es ist wohl nicht aus der Luft gegriffen. Jesus kannte genug Fälle, in denen sich die Reichen die Bälle zuspielen und die kleinen Leute um ihr Letztes betrogen wurden. Er kannte Menschen wie diese Witwe, die nichts mehr zu verlieren hat, weil ihnen alles genommen ist. Menschen, die zu den Verlierern gehören, Menschen die am Nullpunkt angekommen sind.
  • Doch auch der Richter ist am Nullpunkt angekommen: am menschlichen Nullpunkt. Nichts interessiert ihn, außer sich selbst. Er fürchtet Gott nicht und nimmt auf Menschen keine Rücksicht - es sei denn, die Menschen sind ihm nützlich. So gibt er der Witwe auch nicht deswegen nach, weil es seine Aufgabe als Richter wäre, sondern weil ihm bei dem Weib nicht geheuer ist. "Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht." Davor scheint er doch Angst zu haben.

2. Zwei Extrempunkte

  • Was aber soll das Gleichnis? Die Einleitung, die das Lukasevangelium liefert, macht es nur scheinbar leichter. Wenn schon ein ungerechter Richter der Witwe gut tut, um wie viel mehr der himmlische Vater den Bedrängten seines Volkes. Aber warum braucht es dafür diese ausführliche Schilderung im Gleichnis. Vielleicht steckt in der Figurenkonstellation eben doch mehr als nur eine erbauliche Einladung zu nicht nachlassendem Gebet.
  • Die beiden markieren Extrempunkte. Die Witwe und der ungerechte Richter können für unterschiedlichen Stand im Leben stehen. Beide sind am Nullpunkt, die eine ökonomisch und gesellschaftlich, der andere menschlich. Die äußere Situation - Macht versus Armut - ist die eine Seite. Die innere Haltung ist die andere.
  • Denn die beiden Extrempunkte liegen nicht auf derselben Achse, aber die beiden Achsen beschreiben einen Raum der Hartnäckigkeit. Der Richter steht für die Hartnäckigkeit der Macht, die Witwe für die Hartnäckigkeit des Armen, der sein Recht fordert. Es gibt auch eine falsche Verhärtung der Ohnmacht, so wie es auch möglich wäre dass Richter Gott fürchten und den Witwen beistehen. Aber während die Witwe ein Recht hat, für sich zu fordern, muss der Richter das bloße Eigeninteresse überwinden und die Perspektive wechseln.

3. Über das Gebet

  • Beten bedeutet, aus der eigen Lebenssituation heraus vor Gott zu treten. Beten kann nie abstrakt sein. Auch wenn ich einen Gebetstext übernehme, bin immer ich es, der betet. Wenn ein ungerechter Richter den Psalm des heutigen Zwischengesangs betet, dann bedeutet der Text anderes, als im Mund der Witwe: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe?" Für den ungerechten Richter ist es Aufruf zur eigenen Umkehr, für die Witwe ist es Ausdruck glaubenden Vertrauens in Gott und Anklage irdischer Verhältnisse.
  • Beten ist daher praktizierter Glauben. Für den Richter wäre es der Glaube, dass Gott ihn sogar vom moralischen Nullpunkt aus annimmt, wenn er umkehrt und tut, was Recht und gerecht ist. Für die Witwe aber ist es der Glaube, dass Gott der Herr und Richter der Welt ist, und die Ungerechtigkeit deswegen nie das letzte Wort haben wird.
  • Beten bedeutet, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Denn genau deswegen malt Jesus im Gleichnis das Bild der Witwe. Sie findet sich nicht ab mit dem, was ihr angetan wird. Ihre Hartnäckigkeit hat das Fundament darin, dass sie sich vor Gott im Recht weiß. Deswegen ist in der ganzen Bibel der Arme, der laut zu Gott schreit, ein Urbild des Betenden. Denn indem er sich an Gott wendet, nimmt auch der Arme die Haltung des Aktiven ein. Aber auch dem Richter kann das sagen: Du musst nicht der sein, zu dem Du Dich gemacht hast. Nimm Dein Leben in die Hand. Wenn Du hartnäckig zu Gott schreist, wird Gott jedes verhärtete Herz verwandeln können. Amen.