Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 3. Adventssonntag Lesejahr A 2010 (Jesaja)

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12. Dezember 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Edom und Tschernobyl

  • Ein Gebiet von 4.300km2, das sechsfache der Fläche von Hamburg, ist seit 25 Jahren von Menschen verlassen. Nur mit besonderen Schutzanzügen wagen sich Einzelne in die Nähe von Tschernobyl. Wo vormals eine Viertel Millionen Menschen wohnten, ist heute Sperrgebiet.
  • Für das Buch Jesaja ist Edom, das ehemalige Brudervolk Israels, verwüstetes, menschenleeres Gebiet. Der Sturm der Zerstörung ist über Edom hinweggefegt. Der Landstrich ist von Menschen verlassen. Wir können es ruhig mit der Verseuchung der Gegend um Tschernobyl durch die Explosion des Atomkraftwerkes vergleichen: Dann ahnen wir, für wie hoffnungslos dieses ehemalige Land Edom damals empfunden wurde. In Jes 34,9 hieß es "In Edoms Bächen wird das Wasser zu Pech, sein Boden verwandelt sich in Schwefel, sein Land wird zu brennendem Pech... Das Land ist für Generationen verödet, nie mehr zieht jemand hindurch.".
  • Wo Menschen sich überheben, droht die Erde wüst zu werden. Wo Menschen über einander herfallen und die Gerechtigkeit vergessen, da bleibt nur Chaos und Leere. Wo Menschen meinen, alles tun zu können, dort ist alles in Gefahr. So weit sind wir von damals nicht entfernt.

2. Neuanfang und neue Schöpfung

  • Dennoch: Die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja ist ein Lied voller Hoffnung und ein Text der freudigen Zuversicht. Er passt zum Sonntag Gaudete!, Freut Euch!. "Die Wüste und das trockene Land sollen sich freuen, die Steppe soll jubeln und blühen." Sogar die Wüste, nein, gerade die Wüste wird zum Ort des Neuanfangs und des Heils. Menschen haben einander das Fürchten gelehrt. Der Prophet aber ruft: "Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott!"
  • Hier herrscht also weder nur blinder Zukunftsglaube an den Fortschritt, noch resigniertes Klagen angesichts der Zerstörung. Das ist das manisch-depressive Wechselbad der Gefühle einer Welt ohne Gott. Jesaja dagegen sieht die Zerstörung realistisch und hat darin den Blick dafür, dass das Heil eben nicht vom Menschen allein kommt.
  • Im Grunde geht es um Gott, den Schöpfer. Wüst und leer war die Erde, bevor Gott begann, das Chaos zu bezwingen und Lebensraum für den Menschen zu schaffen. Nicht zufällig greift Jesaja (34,11) bei der Beschreibung Edoms die beiden Wörter auf: wüst und leer, tohu und wabohu. Das zeigt: Der Glaube an Gott den Schöpfer ist nicht eine erdgeschichtliche Hypothese, sondern bezieht sich auf den Urgrund der ganzen Schöpfung zu allen Zeiten. Aus dem, was für uns ohne Perspektive ist, dem Chaos und Tohuwabohu, vermag Gott gute Schöpfung entstehen zu lassen.

3. Aus der Wüste das Heil

  • Deswegen auch gehen Menschen in die Wüste, um Gottes Nähe zu erfahren. Nicht nur das Volk Israel ist 40 Jahre durch die Wüste geführt worden; nicht nur ist Jesus vierzig Tage in der Wüste gewesen, um seine Berufung zu erproben. Wörtlich oder im übertragenen Sinn gehen auch heute Menschen in die Wüste. Sie versuchen leer zu werden, um Gottes Fülle zu erfahren; sie versuchen sich zum Ursprung zurück führen zu lassen, um zu erfahren, wie Gottes neue Schöpfung auch heute geschehen kann.
  • Darin liegt ein wesentlicher Sinn des Advents. In vielen Berufen sind diese Wochen durch zusätzlichen Stress überlastet. Die Vorbereitungen für das Fest setzen viele zusätzlich unter Druck. Es scheint hoffnungslos hier noch Platz für die Erfahrung der Gegenwart Gottes zu finden.
  • Aber genau an dieser Stelle können wir auch einhaken. Wir sollten nicht warten, bis ideale äußere Bedingungen herrschen. Wir können mitten in dem wüsten vorweihnachtlichen Chaos Schneisen schlagen. Versuchen Sie mal nur zwei Stunden am Sonntag nicht zu füllen, sondern leer zu lassen. Eine Kerze die brennt. Ein einfacher Weg, der gegangen wird. Ein Beisammensein das das Schweigen erträgt. Die Erinnerung an die Verheißung des Propheten: "Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben sind wieder offen." Dann mag es sein, dass wir sehen und hören: Gottes neue Schöpfung, Gottes neues Heil beginnt nicht irgendwo und irgendwann, sondern hier bei uns. Amen.