Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 3. Adventssonntag Lesejahr B 2008 (Johannes)

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14. Dezember 2008 - Universitätsgottesdienst St. Antonius, Frankfurt

1. Menschwerdung

  • "egéneto ánthropos" Mit diesem kurzen Satz beginnt das heutige Evangelium. Er stammt aus dem Lied, mit dem das Johannesevangelium statt einer Weihnachtserzählung beginnt. Dieses Lied - der Johannesprolog - singt von der Fleischwerdung des ewigen Wortes Gottes und kommt dann auf einen speziellen Menschen zu sprechen: "egéneto ánthropos". Die beiden griechischen Wörter sind nicht leicht zu übersetzen. Die Lutherbibel schreibt "Es war ein Mensch"; unsere Übersetzung und die protestantische Züricher Bibel sagen "Es trat ein Mensch auf". Übersetzt man aber wörtlich, dann steht dort fast unverständlich "Es wurde ein Mensch". (1) Wo das Johannesevangelium von der Menschwerdung Gottes singt, da fügt es eine Strophe ein über die Menschwerdung des Menschen.
  • Dann aber erfahren wir von diesem Menschen nur, was seine Funktion ist - Gesandter Gottes - und was sein Name ist - Johannes. Sonst aber wird in diesem Evangelium nur betont, was Johannes der Täufer nicht ist und nicht sein will: Er ist nicht selbst "das Licht" und er verweist nur auf den anderen, von dem er sagt er sei der, "der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren".
  • Ist Johannes der Täufer krankhaft demütig? Es gibt es ja, dass Leute nicht zu sich selbst stehen können, ohne Profil bleiben und nur nicht auffallen wollen. Oder ist er protzig demütig? Einer von denen, die damit prahlen und sich in ihrer Demut von niemanden übertreffen lassen wollen? Diese Leute benutzen ihre Demut, um über andere zu herrschen.
  • Es ist eine unerhörte Herausforderung, dass der Prolog des Evangelisten Johannes den Täufer Johannes nur in seiner Funktion auf Jesus Christus hin darstellt und nichts über ihn selbst erzählt. Und das unter der Überschrift "Es wurde ein Mensch"!

2. Demütige Lebensweisheit

  • Hinter der Demut des Täufers Johannes steckt eine Lebensweisheit. Jesus greift sie auf, wenn er sagt: "Wer an seinem Leben hängt, verliert es" (Joh 12,25). Gerade das Kreisen um das eigene Selbst ist der beste Weg, sich zu verlieren.
  • Ich muss mich dem Leben stellen können, wie es kommt. Wenn ich meine, ich sei eine so unverwechselbar großartige Persönlichkeit, dass keine Beziehung und keine Tätigkeit so recht zum Ausdruck bringt, wer ich 'eigentlich' bin, dann werde ich damit nicht glücklich werden. Denn ich bin nicht 'eigentlich' jemand. Ich bin ein Mensch mit einer bestimmten Geschichte. Diese Geschichte kann ich als Zufall und 'Uneigentlichkeit' abtun. Ich kann sie aber auch als meine ganz spezielle Herausforderung annehmen. Ich bin ein Mensch mit Fähigkeiten. Aber wenn ich warte, bis ich das finde, was rundum und absolut mich erfüllt, werde ich irgendwann leer zurück bleiben. Ich bin unverwechselbarer Mensch. Aber nur, wo ich mich auf Beziehungen einlasse und meine eigene Begrenztheit und die der anderen annehme, kann ich Mensch werden: "egéneto ánthropos - es wurde ein Mensch".
  • Das gilt auch und gerade für das Studium und den Beruf. Es hat einen kritischen Beigeschmack, wenn von jemandem gesagt wird: 'Er geht ganz darin auf'. Dabei muss das nicht bedeuten, dass ich dabei von der unverwechselbaren Person zum nur noch im System funktionierenden 'Funktionär' (J. Messner) werde. Ich kann auch ganz in meiner Tätigkeit aufgehen, indem ich in Treue und Sorgfalt das tue, was mir als Aufgabe zugefallen ist. Darin kann ich 'Ich Selbst' werden, wenn ich mich nicht in meiner Rolle absolut (und über andere!) setze, und wenn ich darum weiß, dass jede Aufgabe und Struktur in einer Welt verbleibt, die noch unvollendet ist und voller Fehler.

3. Christus werden

  • So weit die Lebensweisheit, nicht an sich selbst zu zerbrechen. Aber dafür hätte Gott nicht Mensch werden müssen. Eine gut sortierte Ratgeber-Abteilung der Buchhandlung hätte gereicht. Noch weniger hätte Christus dafür am Kreuz sterben müssen. Das ist geschehen, nicht für etwas mehr privates Glück, sondern um die Welt vor sich selbst zu retten. Nicht um Menschliches geht es, sondern um Göttliches: Darum, dass alle Menschen zu Gemeinschaft mit Gott finden und diese Welt verwandelt wird. Johannes der Täufer ist ein Bild für unsere Berufung als Christen, als Gemeinschaft der Kirche.
  • Gott ist Liebe, Liebe ohne Furcht. Johannes weiß, dass deswegen sein höchstes Glück darin besteht, wenn diese Liebe sichtbar wird: "Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht." Das "nur" in dem Satz ist falsch; eine irreführende Übersetzung, denn das Wörtchen steht nicht im Original: Zeuge für das Licht Gottes zu sein ist nie ein "nur" sondern das höchste Glück. Nie bin ich mir so nahe, nie so sehr ich selbst, als wenn ich aufhöre, den Schatten meiner selbst darzustellen und durchsichtig werde für das Licht Gottes, das durch mich scheinen will. Ganz durchsichtig zu sein für Gottes Liebe bedeutet, ganz im Licht stehen. Christus sagt (in der Fassung des Matthäusevangeliums): "Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen" (Mt 16,25) Nicht in einem Job, nicht in einem Studium, ja nicht einmal in einer Partnerschaft aufgehen, sondern in Gottes Liebe, ist die einzige Hingabe, in der ich nicht weniger, sondern mehr ich selbst werde, je mehr ich mich verliere.
  • Das ist unsere Berufung. Wirklich unsere! Für mich als Priester mag das unmittelbar einleuchten: Ich soll nicht mich selbst verkünden, sondern Christus. Es gilt aber zu aller erst für uns zusammen, als Kirche, für die Christus Mensch geworden ist und sein Blut vergossen hat. Durch uns als Gemeinschaft soll unter den Menschen sichtbar werden - brüchig und anfanghaft wie auch immer - dass die Berufung der Schöpfung die Gemeinschaft mit Gott ist.
    Daher soll auch unser Gottesdienst das ausdrücken. Wie wir zusammen Gott loben und seine Gegenwart feiern, soll ganz durchsichtig werden hin auf Gott. Wir sollen Christen sein, Christus-Geformte, Christus-Darstellende, durch die diese Welt vor Gott getragen wird. Durch den menschgewordenen Gott können wir Mensch werden: "egéneto ánthropos". Hier zeigt Christus sich im Ritus und im Sakrament, um durch uns hinaus getragen zu werden zu den Menschen, wenn es heißt: "Gehet hin in Frieden!". Amen.

 

 


Anmerkung:

1. Nur wenige Übersetzungen lassen das Original wörtlich übersetzt stehen. Fridolin Stier" "Es ward ein Mensch"; Bibel in gerechter Sprache "Es entstand ein Mensch"