Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 3. Adventssonntag Lesejahr C 2000 (Lukas)

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17. Dezember 2000 - St. Michael, Göttingen

1. Exil

  • Es ist nicht alles in Ordnung. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, uns zu arrangieren und wegzusehen. Nur wenn es hart auf hart kommt, schrecken wir auf. Wenn in Jugendlichen Gewalt zuschlägt, sehen wir die Gewalt und schreien auf. Die Gewalt, die sich in der täglichen Einsamkeit versteckt, wird als "normal" abgebucht. Es gibt aber keine "normalen Zeiten", in denen in unserer Welt alles in Ordnung ist.
  • Das Volk Israel, dem der Prophet Zefanja schreibt, ist sich dessen bewusst. Die Menschen leben im Exil. Sie wurden verschleppt und verbannt. Sie können ihre Kultur nicht leben und sind sozial deklassiert. Weder ignorieren sie das noch gewöhnen sie sich daran. Sie sind Betroffene. Sie fallen auch nicht in das Selbstmittleid der Opferrolle. Sehr wohl ist ihnen bewusst, dass die Lage, in der sie sind, auch mit ihrem eigenen Tun in Zusammenhang steht. Zwar war es ein fremder König, der Jerusalem zerstört und das Volk verschleppt hat. Es gibt aber immer auch einen Eigenanteil an dem Unheil.
  • Den Menschen zur Zeit des Täufers Johannes geht es vergleichsweise schon besser. Aber die Last, unter dem Soldatenstiefel des römischen Weltreiches leben zu müssen, ist spürbar. Nicht wenige haben ihren lieben Frieden mit der Situation gemacht. Nicht wenige haben sich auf die Seite der Besatzer geschlagen, um ihren Profit dabei zu machen. Und manche greifen zur Gewalt, weil sie die Zustände ändern wollen.

2. Hinschauen

  • Weder mit der Situation des Volkes in Exil und Unterdrückung in Babylon noch mit der Situation einer gewaltverliebten Fremdherrschaft mag ich unsere Situation vergleichen. Aber das heißt nicht, dass alles in Ordnung ist! Unter der Oberfläche, hinter dem Vorhang, stillgestellt durch einzigartigen Wohlstand und abgelenkt durch eine funktionierende Erlebniskultur - hinter, unter all dem wächst Not, die immer öfter auch ihr Gesicht zeigt.
  • Um auch nur ahnungsweise verstehen zu können, was Advent ist, müssen wir den Mut und die Ehrlichkeit haben, das Dunkel zu sehen. Wer durch Scheinwerferlicht geblendet ist, wird nicht sehen, wie eng dessen Kegel ist. Wer weiter sieht und genauer hinschaut, lässt sich nicht blenden
  • Genau diese Leute spricht der Täufer Johannes an. Es sind Menschen aus verschiedensten Berufen und Schichten, die aus der pulsierenden Stadt herausgehen zu ihm in die Wüste und an den Jordan. Sie merken, dass man Distanz gewinnen muss zur alltäglichen Betriebsamkeit, um Realist zu sein.

3. Ausschauen

  • Der Realismus, der durchschaut, dass nicht alles in Ordnung ist, muss nicht in Pessimismus oder Depression enden. Es geht nicht um Lamentieren und Untergangsstimmung - gerade weil und obwohl die Zeitdiagnose des Johannes so schonungslos ausfällt, kommen die Menschen zu ihm und stellen ihm die relevante Frage: "Was sollen wir also tun?"
  • Da wird der Mahner und Prophet, der Täufer Johannes ganz sachlich: Schau hin, was deine Arbeit und Verantwortung ist und widersetze dich dort, wo du bist, der gängigen Mitnahmementalität. Wenn man sieht, was Johannes den Soldaten, den Zöllnern, jedem Einzelnen sagt, dann fällt die Kraft des Nüchternen auf: Tue deine Arbeit und komme deiner Verantwortung nach, nicht nur im Blick auf dich selbst, sondern im Blick auf das, was Not tut. "Wer zu essen hat, der gebe dem, der nichts hat".
  • "Das Volk war voll Erwartung, und alle überlegten im stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei." Ob es das nicht vielleicht schon ist? Jeder bemüht sich besser zu leben, dann wird schon alles in Ordnung gehen. Der Täufer widerspricht. Er weiß, dass dies die Voraussetzung ist, nicht die Erlösung. Er weiß, was sein Auftrag ist und erhebt sich nicht selbst zum Messias. Im Gegenteil. Nicht der ist fähig, Ausschau zu halten nach Gott, der alles Gott überlässt, sondern der, der sich bereitet, der selbst die ersten Schritte geht.
    Aber genauso umgekehrt: Die Ordnung der Welt als Ganzer wartet darauf, zu ihrem Ursprung und zu ihrem Ziel geführt zu werden. Nichts von dem, was wir tun, ist bereits das Reich Gottes. Das Entscheidende kommt von dem Einen, der so anders ist, dass Er allein alles anders machen kann. Wir beginnen damit, dass wir uns an diesem Anderen ausrichten. Das ist Advent. Gott wird von sich aus und auf seinen Wegen gegenwärtig, um zu vollenden. Das ist Weihnachten. Amen.