Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Fastensonntag Lesejahr B 2006 (Exodus)

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19. März 2006 - Kloster Marienheide, Waldkappel/Wollstein

1. Verschiedenheit

  • 17 Prozent unserer Frankfurter Gottesdienstgemeinde sind Ausländer. Der Rest wohl Deutsche. Um die Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth richtig zu verstehen, müsste man formulieren: Die Deutschen fordern das Eine, die Ausländer suchen das Andere, wir dagegen verkündigen Christus. Tatsächlich aber schreibt Paulus "Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus".
  • Wie ich Deutscher bin, war Paulus Jude. So wie die Mehrheit unserer Gemeinde Deutsche sind, mag die Mehrheit damals in Korinth Juden gewesen sein. Der Rest waren Ausländer. Paulus spricht zusammenfassend von Griechen. Wenn Paulus also in seinem Brief von "den Juden" und "den Griechen" spricht, dann war in Korinth klar, dass jeder in der Gemeinde - und Paulus auch - einer der beiden Gruppen zuzurechnen ist. Und trotzdem grenzt Paulus sich von den verschiedenen Herkunftsethnien ab und sagt, Juden wie Griechen, Deutsche wie Ausländer in der Gemeinde zusammenfassend: "Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten".
  • Den Unterschied macht nicht die ethnische Herkunft. Den Unterschied macht die Berufung. Gott hat Menschen aus allen Völkern berufen; die Juden, Gottes zuerst erwähltes Volk, sind der Grundstamm. Zu ihnen gehören Jesus, Maria und alle Apostel. Wir übrigen sind hinzuberufen worden. Für alle bedeutet diese Berufung einen Gegensatz zu der "Herkunftskultur". Denn die vielen Völker haben auf ihre Wurzel in Gottes Schöpfung vergessen. Die Mehrheit des Judentums zur Zeit Jesu darüber hinaus - so Paulus - die Erkenntnis Gottes. So kommt es, dass für Juden wie Griechen das Kreuz unverständlich ist: Der Gekreuzigte Jesus ist ihnen Ärgernis oder gar Dummheit, "für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit."

2. Identität

  • Dabei haben die Juden unter den zu Christus Berufenen den Vorteil. Ihnen hat Gott sich offenbart. Ihnen hat Gott am Berg Sinai die Thora gegeben. Die Thora ist der Kern der "Liebesgeschichte Gottes mit Israel"1, denn in ihr Gott seinem Volk eine Identität gegeben, die es ermöglicht, als menschliche Gemeinschaft in Gerechtigkeit und Frieden zusammen zu leben, "das wahre Wesen des Menschen (...) [der] Weg des rechten Menschseins"2 (ebd.).
  • Allerdings fällt auf, dass drei Viertel des Textes der Zehn Gebote von den ersten drei Geboten handelt. Knapp nur auf einem Viertel werden die "ethischen" Gebote genannt: nicht zu morden, zu stehlen, falsch Zeugnis zu geben etc. Das macht deutlich, dass die Grundlage stimmen muss. Als erstes steht das Verhältnis zu Gott und die religiöse Identität des Volkes. Der Rest ergibt sich dann fast von alleine. Denn die Gebote sind nicht mehr belastende Forderung sondern befreiender Ausfluss des Gottesverhältnisses.
  • Die drei Gebote der ersten Tafel schaffen also die Identität, aus der das Volk Gottes leben kann.
    • An erster Stelle steht die Identifizierung Gottes, der Israel aus Ägypten befreit hat. Geradezu eifersüchtig muss der befreiende Gott geschützt werden vor der Verwechslung mit den knechtenden Göttern und ihren billigen Standbildern. Ein Volk, das sich in die Beziehung zu dem befreienden Gott versenkt, wird er die Treue halten, über tausend Generationen. Das erste Gebot aber weiß auch, dass es drei oder vier Generationen fortwirken kann, wenn die Gottesvergiftung Raum gegriffen und der eine Gott mit einem der vielen Götter vertauscht wurde.
    • An zweiter Stelle steht das Verbot, den Namen Gottes zu missbrauchen. Die Gefahr ist groß, denn mit seiner Offenbarung und seinem Bund liefert sich Gott an sein Volk aus. Leicht entsteht Religionsmissbrauch, wenn der Namen Gottes zur Durchsetzung eigener Interessen und zur Legitimation von Gewalt und Ausgrenzung missbraucht wird. Ein hoch aktuelles Verbot!
    • Das Dritte schließlich ist der Sabbat. Es ist der Tag der Gottesruhe, an dem und durch den Gottes Befreiungshandeln zur sozialen Realität wird. Dieses dritte Gebot verhindert, den Glauben zur Privatsache zu machen. Es braucht eine Gemeinschaftskultur, um die Erfahrung Gottes lebendig zu halten. Diese Gemeinschaftskultur schließt alle ein, nicht nur die Fremden und Lohnabhängigen; sogar das Vieh soll Zeugnis geben, dass nicht die Arbeit der höchste Wert ist, sondern die Freiheit des Volkes Gottes.

3. Reinigung

  • Weil das Geschenk der Zehn Gebote bedroht ist, bedarf es der Reinigung. Das Evangelium terminiert die Tempelreinigung in Jerusalem mit: "das Paschafest der Juden war nahe". Mit hoher Symbolik platziert das Johannesevangelium dieses Ereignis an den Anfang des Wirkens Jesu. Das Paschafest ist das Gedenken der Befreiung aus Ägypten. Es wird im Tempel zu Jerusalem gefeiert, in dessen Mitte kein Götterstandbild aufbewahrt wird, sondern die beiden Tafeln der Zehn Gebote. Diesen Tempel will Jesus nicht zerstören. Er reinigt ihn. Er erneuert ihn.
  • Jesus steht nicht im Gegensatz zum Tempel. Er erneuert und öffnet den Bund des Ersten Testamentes. Durch den Akt der Tempelreinigung macht er deutlich, dass das Volk Gottes einen Ort braucht, an dem es die Befreiung feiern kann. Ohne diesen Ort ist die Identität des Volkes gefährdet. Ohne diesen Ort verflüchtigt sich der Glaube zur privaten Übung und werden die Gebote zur moralischen Last, schwachen Menschen auf die Schultern gelegt.
  • Damit führen uns alle drei Lesungen zu dem neuen Tempel, in dem wir versammelt sind: Jesus Christus selbst. Den Griechen in aller Weisheit schien seine Botschaft nur Dummheit. Denen unter den Juden, die Anstoß an Jesu Tempelreinigung nahmen, ist auch Christus selbst nur Ärgernis. Diejenigen aber, die sich im Verhältnis zu ihrer Herkunft reinigen lassen, will Gott berufen, Juden, Deutsche, Griechen und Menschen aus allen Völkern. Amen.

Anmerkungen

1Benedikt XVI, 2005, Deus Caritas est, Nr. 9

2ebenda