Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag im Lesejahr A 1990 (1. Korintherbrief)

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13.01.1990 - St. Evergislus, Bonn Bad-Godesberg

1. Mit wem ich es halte

  • Viele Jugendliche, die zu den kirchlichen Großveranstaltungen fahren, fragen längst nicht mehr, ob es der Katholikentag ist oder der Evangelische Kirchentag. Ein katholischer Jugendlicher hat mir begeistert vom "Evangelischen Katholikentag" in Hannover erzählt.
    Und ein Student aus Darmstadt hat mir von seinen Eindrücken berichtet, als er vom Katholikentag in München zurückkam: Es sei eigentlich fast dasselbe. Nur ein Unterschied sei ihm bei allen Veranstaltungen aufgefallen: Die Katholiken seien viel mehr um Harmonie bemüht. - Er meinte das nicht einfach nur als Kompliment.
    Ich glaube, dieser Eindruck stimmt. Und ich habe in dem Gespräch damals auch darauf hingewiesen, dass dieses Streben nach Einheit durchaus ein biblisches Fundament hat.
  • Die heutige Lesung ist dem Anfang des ersten Briefes des Apostels Paulus an die Korinther entnommen. Paulus hatte die Gemeinde gegründet, wie er viele Gemeinden gegründet hat. Dann überließ er die Leitung der Gemeinde anderen, die sein Werk fortsetzen sollten. Genau dadurch aber scheinen in Korinth Spannungen in die Gemeinde getragen worden zu sein. Denn jeder in der Gemeinde beruft sich auf seinen geistlichen "Lehrer":
    • Die einen auf Paulus, der die Gemeinde gegründet hat.
    • Die anderen auf Petrus/Kephas, der doch der Fels der Kirche ist.
    • Wieder andere auf Apollos, der offensichtlich ein guter und intellektuell anspruchsvoller Prediger war.
    • Und eine vierte Gruppe schließlich sagt: Wir haben gar keinen menschlichen Vermittler nötig: Christus ist der Herr und wir haben den Heiligen Geist - wozu brauchen wir die Kirche?
  • Wenn ich diese Gruppen so aufzähle, fällt es wahrscheinlich niemanden schwer, sich Parallelen in unserer kirchlichen Gegenwart auszumalen.
    Solche Gruppen gibt es bei uns in der Gemeinde - mehr oder weniger ausgeprägt.
    • Ich halte es mit dem alten Pfarrer,
    • ich halte es mit dem neuen Pfarrer,
    • ich halte es mit dem Bischof,
    • ich komm nur zur Jugendmesse, da herrscht der Geist Christi, was schert mich der Rest,
    • im Gebetskreis ist das wahre Christentum,
    • und wieder andere sind vielleicht in die Nachbargemeinde abgewandert.

2. Unkultur

  • Sicher: Ich will niemanden etwas unterstellen. Und wenn ich diese Liste neben die Liste des Paulus stelle, ist das ungerecht. Die Gemeinde in Korinth war wohl wirklich in Flügelkämpfe zerrissen.
    Dabei gibt es auch für uns ernste Probleme. Es ist doch nicht so, als wäre dieses oder jenes Anliegen nicht berechtigt. Das zeigt sich noch deutlicher, wenn wir nicht nur auf die Gemeinde Sankt Evergislus schauen, sondern auf die ganze Kirche. Und darunter versteht das Zweite Vatikanische Konzil nicht nur die römisch-katholische, sondern durchaus auch die Gemeinschaft aller Getauften.
  • Es wäre einfach, zu einfach, die Unterschiede zu negieren. Zu sagen: Lasst uns darüber hinwegsehen, es ist ja nicht so wichtig.
    Schon im privaten Leben ist das gefährlich: Wenn ein Mitglied der Familie seinen Ärger nie ausspricht, sondern dem Streit aus dem Weg geht und seinen Ärger herunterschluckt, staut sich viel böses Blut in den Adern an.
    • Wenn ich mir die abgeschmackten Sprüche, die mich so ärgern, immer anhöre;
    • wenn ich weggehe, weil ich das Fernsehprogramm der anderen nicht abkann,
    • wenn ich das Essen, das mir nicht schmeckt, missmutig vor mich hinkaue;
    • wenn ich den groben Ton über mich ergehen lasse, und dem Streit aus dem Weg gehen
    • ... dann wird sich nichts ändern und wird das Maß irgendwann so voll, dass es zum großen Knall kommt.
  • Deswegen ist es so wichtig, zu lernen über das zu reden, was uns trennt. Und zwar gerade nicht mit dem Ausgangspunkt: Wenn die anderen nicht kapieren, dass ich recht habe, dann geh' ich halt: Sondern um zu hören, was die anderen zu sagen haben und zu sagen, was mir auf dem Herzen liegt.

3. Kultur des Streites

  • Nichts fällt so schwer wie eine Kultur des Streites. Wenn wir miteinander sprechen, dann können wir nicht nur sehen, was uns trennt, sondern auch, was uns verbindet. Und das ist das Entscheidende.
    • Nur wenn wir uns klar machen, was wir gemeinsam haben und wollen, haben wir die Souveränität, Verschiedenheiten auszuhalten.
    • Nur wenn wir uns klar machen, was wir gemeinsam haben und wollen, haben wir die Souveränität, Verschiedenheiten zur Einheit zur führen.
  • Wenn Sie die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils, des höchsten Lehramtes unserer Kirche, lesen, werden sie feststellen: Das Konzil versucht bei den anderen Kirchen das zu betonen, was gut und wichtig ist. Ohne das, was wir an unserer Kirche haben zu leugnen. Ohne das, was wir für richtig halten, falsch zu nennen. Die Einheit wächst auf dem Boden der Wahrheit. Aber nicht auf dem Boden der Rechthaberei. Die Einheit der Kirche kann nur aus der bestehenden Einheit wachsen. Wir müssen auf das schauen, was ist, um zu dem zu kommen was sein soll: Jesus Christus.
    Das ist die Botschaft, die Paulus der Gemeinde in Korinth schreibt: Wenn ihr eure Streitigkeiten austragt, dann meint nicht: Christus ist zerteilt. Nein. Er ist das Fundament unserer Einheit. Auf seinen Namen wurden wir alle getauft. Seine ganze Sendung ist eine Sendung der Einheit, die zusammenführt, was getrennt ist. Nur wenn wir auf ihn schauen, auf sein Wort hören, können wir offen über das reden, was uns trennt.
  • Die Katholiken seien so um Harmonie bemüht, wurde gesagt. Das kann positiv meinen: Wir suchen die Einheit dort, wo sie von Gott her gestiftet wurde: in Jesus Christus. Das könnte aber auch negativ heißen: Die Katholiken gehen dem notwendigen Streit aus dem Weg.
    Was hindert uns, unserem Mühen um Harmonie den positiven Sinn zu geben? Dem Streit nicht aus dem Wege gehen - aber aus Liebe und im Mühen um Einheit. Amen.