Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag im Lesejahr A 2002 (Matthäus)

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27. Januar 2002 - St. Bonifatius, KHG Gießen

1. Aufbruch

  • Ein erster Punkt. Der Täufer Johannes im Gefängnis, ist das Aufbruchssignal für Jesus. Es liegt Entscheidung in der Luft. Die Predigt des Johannes muss umgesetzt werden in eine Tat. Jesus bricht auf.
  • Ein zweiter Punkt. Wohin Jesus aufbricht ist nach dem Evangelium zugleich völlig klar und unklar. Klar ist, nach der Taufe im Jordan und der Versuchung in der Wüste geht Jesus nach Galiläa zurück, aber nicht nach Nazareth, sondern hinunter an den See, nach Kapharnaum. Eine Mischung aus Kontinuität und Neuanfang könnte man meinen: Jesus bleibt nicht in seiner Heimatstadt, am heimatlichen Herd, sondern zieht in die Stadt. Heute würde man sagen, gerade noch nah genug, um am Wochenende nach Hause zu fahren.
    Eben dies aber wird vom Matthäus-Evangelium nicht betont. Rätselhaft nennt Matthäus das Land "jenseits des Jordan", obwohl es diesseits liegt; rätselhaft spricht er vom "Galiläa der Heiden", was ja wörtlich übersetzt heißt "Galiläa der Völker", obwohl in Galiläa nur Menschen seines Volkes wohnen. Auf dem Atlas machen die knapp 40 km, die Jesus wegzieht, nicht viel her. Das Evangelium liest hier jedoch eine Botschaft: Jesus geht hinaus aus Nazareth, weil das Licht seines Evangeliums denen gilt, die draußen, in den Völkern, im Dunkeln sind.
  • Und ein dritter Punkt. Jesus mutet den Aufbruch auch anderen zu. Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes, eigentlich die ganze Gemeinde, die Jesus beruft, wird herausgeholt aus dem Boot des sicheren Einkommens und wird weggenommen dem Vater, der verdutzt allein im Boot zurückbleibt. Ein Christ sollte ihn nicht einmal Vater nennen, heißt ein späteres Wort, denn nur einer ist unser Vater, der im Himmel.

2. Hotel Mama

  • In allen drei Punkten ist das Evangelium bei Studierenden im Jahr 2002 nicht im statistischen Trend.
    Erstens steht die Stimmung nicht nach Aufbruch und Entscheidung. Rezession steht ins Haus, der Druck steigt und viele entschließen sich, hart zu arbeiten und nicht unangenehm aufzufallen.
  • Zweitens wohnen heute wieder so viele Studierende bei ihren Eltern wie schon lange nicht mehr. Der Abbau von Wohnheimplätzen und die hohen Mietpreise sind dabei ein Faktor. Aber unübersehbar gefällt es auch vielen. Hotel Mama hat man das früher abfällig genannt.
  • Drittens schließlich, das passt dazu, hat Jesus heute Schwierigkeiten plausibel zu machen, warum jemand seinen Vater allein im Boot lassen sollte, um ihm nachzufolgen. Die Jahrzehnte, in denen Studenten gegen ihre Eltern revoltierten, sind vorbei. Heute ist man froh, wenn man Eltern hat, und besonders, wenn sie noch zusammen sind.

3. Ausbruch

  • Dass das Evangelium nicht im Trend liegt, ist noch kein Beweis, dass es falsch ist. Manche, denen der Trend nicht geheuer ist, hätten gesagt: im Gegenteil. Vielleicht ist das Evangelium gerade die Chance, aus dem Trend von Arbeits- und Freizeitstress, aus Vereinsamung und Ökonomisierung auszubrechen.
  • Symptomatisch ist dabei für mich die Sache mit dem Vater. Das Symbol des Vaters weckt die Suche nach Geborgenheit und Zuwendung, gerade weil die Väter dies so oft verweigern. Das Symbol des Vaters steht daher auch für Beziehung. Nach allen Studien, die wir kennen, hat die subjektive Bedeutung der Partnerschaft und der Familie hierzulande immer mehr zugenommen, je brüchiger diese geworden sind. Die Beziehungen scheitern, weil wir zu viel davon erwarten und zu wenig davon haben.
    Es ist ein Zeichen für einen falschen Trend, wenn wir nicht die Freiheit haben aufzubrechen, nicht den Mut, uns zu entscheiden und nicht die Selbstständigkeit, in das Land der Völker aufzubrechen.
  • Und schließlich: Gerade die Familienbeziehung zeigt die Kraft des Evangeliums am deutlichsten. Schließlich stehen entschiedene Christen nicht in dem Ruf, Familienmuffel zu sein (wenn sie nicht gerade zölibatär leben....). Und doch ist das Evangelium ein herausrufendes Licht; und dennoch mutet Jesus dem Einzelnen eine Berufung zu, die die Beziehung zu Gott so einzigartig macht, dass dadurch alles andere - in den Schatten gestellt wird?, - nein: in ein anderes Licht gestellt wird. Amen.