Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Markus)

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22./23. Januar 2000 -

Vorbemerkung: Diese Predigt setzt sich mit den Vorgängen um Spenden für die CDU auseinander. In unserer rechtsstaatlichen Demokratie ist dies nichts besonders politisch Mutiges. Das Wagnis ist eher theologisch.
Die Heilige Schrift taugt nachweislich nicht zur klaren und richtungsweisen Beantwortung der Fragen, die täglich von den politischen Instanzen geleistet werden muss. Ja, selbst bei Themen wie Atompolitik oder Entschuldung der Dritten Welt muss die Antwort aus der Vernünftigkeit der Politik gewonnen und kann nicht in Anweisungen der Bibel gefunden werden.
Hier geht es daher auch um eine andere Frage: In welcher Haltung steht der politisch handelnde Mensch vor Gott? Diese Frage kann immer nur in Bezug auf die konkrete Zeit beantwortet werden. In unserem Fall ist dies der Januar 2000. Dem Verfasser wäre es lieber gewesen, die Überlegungen an andere Vorgänge oder eine andere Partei anknüpfen zu können. Wenn sich daher ein Prediger entschließen sollte, sich dieses Themas anzunehmen, sollte er versuchen, so zu sprechen, dass ein engagiertes Mitglied der CDU sagen kann: Diese Predigt hat mir geholfen, meine Situation zu verstehen. Jeder Zuhörer sollte diese Predigt für sich und nicht gegen andere versteht. Nur so kann der berechtigte Vorwurf des Kanzelmissbrauchs vermieden werden.

1. Die Zeit ist erfüllt

  • Die drei Lesungen des heutigen Sonntags sprechen dieselbe Sprache. Es ist höchste Zeit! Wir können uns nicht mehr beliebig mit halbherzigen Lösungen über die Runden retten. Die Frage, was in der Welt entscheidend ist, muss nicht nur in Worten, sondern in Taten, in unserem Leben beantwortet werden.
    • Jona verkündet der Stadt Ninive eine Frist von 40 Tagen. Das Gerichtsurteil über diese verkommene Stadt steht eigentlich schon fest. Es braucht eine 180-Grad-Wende, in der sich alle bekehren - der König als Erster! - um noch einmal davon zu kommen.
    • Was in Ninive eine Lehr-Erzählung ist, wird für den Apostel Paulus konkret. Wenn er der Gemeinde in Korinth zuruft: "Die Zeit ist kurz", dann meint er das nicht irgendwie ahistorisch-allgemein. Er ist vielmehr überzeugt, dass wir christlich nur leben können, wenn wir wie auf gepackten Koffern sitzend leben, jederzeit zum Aufbruch bereit.
    • Denn genau so hat Jesus sein Evangelium verkündet: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! " Jesus hat dies nicht nur verkündet. Wenn Gott Mensch wird, ist die Zeit erfüllt und naht sein Reich.
  • Das Zentrum des christlichen Glaubens ist die Menschwerdung Gottes im historischen Jesus Christus. Das Zentrum seiner Botschaft aber war dieser Aufruf zur Umkehr mit der Begründung, dass nun eine neue Zeit anbricht. Nur von diesem Zentrum her ist der Glaube zu leben und zu verstehen. Christen leben daher, wenn sie den Glauben ernst nehmen, immer in einer ungeheuren Spannung: Auf der einen Seite ist die feste Gewissheit, dass die Gestalt dieser Welt vergeht, dass alles relativ wird vor dem kommenden Reich Gottes. Auf der anderen Seite der Glaube, dass Gott in eben diese vergängliche Welt hinein Mensch geworden ist und wir daher diese Welt als den Ort sehen, an dem wir zur Umkehr und zum Leben aus dem Glauben aufgerufen sind. Jesus geht auf Simon und Andreas, Jakobus und Johannes zu und ruft sie - und sie lassen alles liegen und stehen und folgen ihm. Es ist also durchaus christlich, Rücksichten aufzugeben und sich der Forderung des Reiches Gottes zu stellen.
  • Das Reich Gottes hat wirklich begonnen, weil Gott es begonnen hat. Aber er hat es in einer Weise begonnen, die die Welt nicht machtvoll in die Knie zwingt, sondern in der Schwachheit des Kreuzes überwindet. Nur aus dieser Schwäche heraus, sie ertragend und erleidend, können wir als Christen das Evangelium verkünden und leben. Die Auferstehung ist uns Unterpfand der Hoffnung auf die Vollendung dieses Reiches, wenn Christus wiederkommt. Bis dahin muss es Christen geben, die seinem Ruf folgend das Evangelium geben und muss es Christen geben, die in der Gegenwart sich darum mühen, dass sein Reich sichtbar wird.

2. Eine Deutung der Zeit

  • Damit sind wir aber mitten in der Zeit. Gegen alle Sekten hat es die Kirche immer abgelehnt, sich aus der Gegenwart zu verabschieden. In unserer Zeit verkünden wir und hoffen wir. In der Gegenwart nehmen wir Teil an der Gestaltung der Welt, um mit unseren Kräften daran zu bauen, dass in dieser Welt Zeichen sichtbar werden für die Vollendung, die aussteht. Apolitisch beiseite stehen kann daher nie christliche Grundhaltung sein.
  • Damit zwingt uns der Glaube aber auch, Position zu beziehen. Diese Position kann - etwa unter einem totalitären Regime - für die Kirche zwingend sein. Aber auch in einer freiheitlichen Demokratie muss jeder Christ Position beziehen. Die Kirche als Ganze sollte sich sehr zurückhalten, in der Vielfalt der möglichen Meinungen eilfertig das Reich Gottes oder seine Gegner zu identifizieren. Der Glaube verlangt das aber von jedem Christen, der sich in Politik und Gesellschaft engagiert. Der Rückzug ins meinungslose Selbstgespräch mag für gescheiterte Dichter eine Alternative sein, für verantwortliches Handeln ist er es nicht.
  • "Ein Jahrhundert wird abgewählt" war der treffende Titel für die Umwälzungen vor zehn Jahren, die mit der Öffnung der Mauer ihr ausdrucksstärkstes Symbol gefunden hatten. Es war das Jahrhundert der Ideologien, der ideologisch begründeten Gewalt und Kriege. Im Einflussbereich der Sowjetunion wurde dieses Jahrhundert 1989 mit der Vertreibung der Kommunisten von der Macht in fast allen Ländern Mittel- und Ost-Europas abgewählt. Aber auch westlich der Elbe war bis dahin der Anspruch des Kommunismus gesellschaftliche Realität, wie immer man zu den großen ideologischen Auseinandersetzungen der alten Bundesrepublik stehen mag. Dagegen haben sich Christen in der ehemaligen Bundesrepublik gewehrt. Im Rückblick wird man leicht feststellen können, dass dabei von Manchen leichtfertig die Sozialdemokratie mit dem Sozialismus sowjetischer Prägung gleichgesetzt wurde. Es gab aber auch nicht wenige, die heute kritisch auf ihre damalige Nähe zur Sowjetideologie zurückblicken.
  • Für vierzig Jahre Bundesrepublik Deutschland konnte all dies für Christen zu den Zeichen der Zeit gehören. Es waren - und sind Menschen - die sich um die Verwirklichung der Gerechtigkeit bemüht haben und damit mitten in heftigen Auseinandersetzungen standen. Der Gegner wurde nicht nur im Real Existierenden Sozialismus des Ostens, sondern auch im eigenen Land identifiziert. Es ist daher durchaus ernst zu nehmen, wenn Politiker sich in dieser ideologischen Konfrontierung fühlten, als stünden sie "mit dem Rücken zur Wand". Jeder, der sich einmal wirklich in einer strittigen aber wichtigen Frage engagiert hat, wird diese Erfahrung kennen. Ein solches Engagement ist nicht mit halbem Herzen möglich, sondern fordert den Menschen ganz. Daher kann die Bedrohung auch so persönlich erlebt werden.

3. Kommt her, folgt mir nach

  • Aber: Im Blick auf die Zeichen der Zeit und im - notwendigen! - Eifer des Gefechts verliert man leicht das Evangelium aus dem Blick. Vielleicht können Sie das aus eigener Erfahrung bestätigen.
    • Versuche Sie sich, daran zu erinnern, wo Sie sich einmal diesem Wagnis ausgesetzt haben, Position zu beziehen.
    • Sehen Sie die Gefahr, wenn man sich für die gute Sache mit aller Kraft einsetzt, den Blick dafür zu verlieren, welche Mittel erlaubt sind?
    • Dazu kommt, dass ein solches Engagement nie allein, sondern notwendig immer in einer Gruppe gleichgesinnter geleistet werden muss. Machen Sie sich klar, welche Auswirkung es hat, in der täglichen Auseinandersetzung auf die Unterscheidung von "wir" und "die anderen", von "Freund" und "Feind" angewiesen zu sein, um die Kräfte mobilisieren zu können, die diese Auseinandersetzung erforderte. Gerade das Handeln in der Gruppe ist nicht nur unerlässliche Voraussetzung für erfolgreiche Politik, sondern auch die größte Gefahr für das kritische Urteil. Das ging einem CDU-Politiker nicht anders als denen, die sich zusammengefunden haben, um mehr Demokratie zu wagen oder gegen um den NATO-Doppelbeschluss, die Startbahn West oder Atommüll-Transporte zu verhindern. Dass Engagement fast naturgesetzlich partielle Blindheit zur Folge hat, ist doch der Grund, warum viele andere gleich ganz die Finger von der Politik lassen - und damit durch Unterlassung noch viel mehr schaden, als andere durch ihr Tun.
  • Damit sind wir wieder beim Evangelium. Die Jünger, die Jesus ruft, werden von ihm in die Auseinandersetzung gestellt und erfahren den Widerstand gegen das Evangelium im Kreuz ihres Herrn und am eigenen Leib. Jeder, der sich bis heute als Christ diesem Ruf Jesu stellt, wird nicht umhin können, Position zu beziehen, sich mit anderen zusammenzutun um sich für mehr Gerechtigkeit einzusetzen.
    • Es bleibt aber die Spannung, in die wir durch die Taufe hineingestellt sind. Da ist nicht nur der Aufruf Jesu zur Umkehr und damit die Forderung nach Gerechtigkeit, sondern da ist mit der Tatsache seines Kommens auch das andere: Die Gelassenheit, dass die Welt nicht durch unser Tun gerettet werden muss, sondern von Gott bereits gerettet ist. Gott ist bereits so in der Welt, das nichts und niemand uns vom letzten Heil trennen kann.
    • Der selbstlose Einsatz für das als gut erkannte Ziel ist daher ganz in Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben. Aber wer sich mit dem Rücken zur Wand fühlt, verliert leicht den Blick für das Entscheidende. Denn wenn wir zu Mitteln greifen, die Recht und Gerechtigkeit widersprechen, haben wir die Spannung nicht ausgehalten zwischen dem Reich Gottes, das kommt, und dem Retter, der in Christus schon gekommen ist.
    • Die Tragik, die in einem solchen Fehler liegt, ändert nichts daran, dass der Mensch dabei schuldig geworden ist, vor Gott und den Menschen. Welch wunderbare Offenbarung, dass vor Gott die Schuld nicht das letzte Wort behält.
  • Das Jahrhundert der Ideologien ist abgewählt worden, aber die Geschichte ist damit nicht zu Ende. Im Blick auf unsere Welt kann niemand sagen, dass die Forderung nach Gerechtigkeit obsolet geworden ist. Gott wird auch weiter Menschen berufen, im Blick auf das ausstehende Reich Gottes sich leidenschaftlich einzusetzen für den Menschen. Wir sind auch weiter berufen, das Risiko einer Meinung zu wagen und uns dafür einzusetzen, allein und in Gruppen und Parteien. Was dabei die "Zeichen der Zeit" sein werden, wird sich nur langsam herausstellen.
    • Vielleicht wird die zentrale Auseinandersetzung die sein zwischen der virtuellen Welt der elektronischen Netze und der sozialen Welt der Menschen, die daran nicht teilhaben und darin nicht auftauchen. Es sind ja nicht mehr nur die virtuellen Finanzstrukturen, die in Gefahr stehen zu vergessen, was sie abbilden und wem sie dienen sollen. Das Internet teilt die Menschheit gerade deswegen so radikal in die, die drinnen sind, und die, die draußen sind, weil das Internet von Anfang an global ist.
    • In "Die Matrix" haben die beiden Amerikaner Larry und Andy Wachowsky mit den Mitteln Hollywoods diesen Konflikt als mythologische Erzählung inszeniert. Auch das kommende Zeitalter wartet auf Erlösung. Denn die Bedrohung rührt aus dieser Spaltung der Welt zwischen einer nur noch online vermittelten Künstlichkeit und der traurigen Realität. Die künstliche Intelligenz und ihre Strukturen, geschaffen dem Menschen zu dienen, werden mehr und mehr zum Herrscher über den Menschen. Was mir an diesem filmischen Gemälde aber auffällt ist, dass auch hier wie selbstverständlich die Guten sich berechtigt fühlen, jedes Mittel zu wählen, das zu ihrem Ziel führt. Wer zu den Guten zählt, darf zur Waffe greifen. Das Heil kommt durch den kämpfenden Held.
    • Daher bleibt auch künftig der Einspruch des Evangeliums von Nöten: Bekehrt Euch, denn das Rech Gottes kommt von Gott. Ja, kämpft für mehr Gerechtigkeit! Aber meint dabei nicht, alle Mittel seien erlaubt, weil ohne Euch die Welt verloren geht. Im Glauben wissen wir: Dafür ist Gott allein zuständig. Und ihm können wir dies ruhig anvertrauen. Amen