Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag im Lesejahr C 2004 (Nehemia)

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25.01.2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt

1. Freude

  • "Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke." Hätte ich eine Top-Ten-Liste von Bibelzitaten, der Satz wäre wohl darunter. Es ist ein Satz, den man sich in Manier alter Fachwerkhäuser über die Tür schreiben könnte.
    Ebenso schön ist die Szene, in die der Satz eingebettet ist. Nachdem jede zweite Vorabend-Seifenoper meint, am Schluss müssten sich alle in einer Mischung aus Weinen und Lachen in den Armen liegen, ist uns das Bild vielleicht vergällt. Und dennoch atmet es etwas so ungeheuer Ansteckendes, wie das ganze Volk in Tränen ausbricht, als das Gesetz des Mose durch Esra verkündet wird.
  • In den biblischen Büchern der Chronik, dem Buch Esra und dem Buch Nehemia wird die Geschichte des Volkes Israel erzählt. Das Volk, das Gott selbst sich berufen hat, hatte über lange Jahrhunderte versucht, zugleich Volk Gottes und zugleich ein Königreich wie alle anderen Völker rundum zu sein. Damit ist es gescheitert. Die Zerstörung Jerusalems und des Tempels und schließlich die Verschleppung der Führungsschichten in das Babylonische Exil in der Mitte des sechsten Jahrhunderts sind Dokumente dieses Scheiterns. Erst nach Jahrzehnten, nachdem das Babylonische Großreich durch die Perser abgelöst worden war, durften die Exilierten nach Jerusalem zurück kehren. Nun, unter den neuen Bedingungen als Provinz des Perserreiches, entdeckt Israel sich neu: als ein Volk, dem Gott unterwegs in der Wüste das Gesetz des Lebens gegeben hat.
  • Als in einem großen Freiluft-Gottesdienst das Wort Gottes vorgelesen wird - so verdichtet die Lesung die historische Erfahrung - da wird dem versammelten Volk bewusst, wozu es berufen ist und wie sehr sie alle in der Vergangenheit die Chance ihres eigentlichen Lebens vertan haben. Die Leute weinen Tränen der Trauer und der Freude zugleich. Trauer über die bisherige Gottesvergessenheit. Freude über den Neuanfang, der da möglich ist.

2. Gesetz

  • Wir Christen haben zumeist auf das Geschenk des Gesetzes vergessen. Weil uns die Differenziertheit der Gesetzeskritik eines Paulus zu kompliziert ist, haben die allermeisten Christen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: mit der Kritik an falscher Gesetzesfrömmigkeit ging zugleich jeder Sinn für das Geschenk des biblischen Gesetzes verloren. In der Mischung aus primitivem Antijudaismus und christlicher Arroganz war lange Zeit dieser Teil der befreienden Botschaft der Bibel verschüttet.
  • Das Gesetz des Mose ist in der Wüste gegeben, auf der Wanderschaft. Die fünf ersten Bücher der Bibel, die auf dem Platz vorgelesen werden, enden mit dem Ausblick auf das gelobte Land. Die Landnahme und die unseligen Zeiten der Herrschaft von Königen im Staate Israel gehören nicht zum Fünfbuch, dem Pentateuch. Und ganz genau so ist das Volk, das sich nun über die Wiederentdeckung des Gesetzes freut, kein Staatsvolk, das allen Untergebenen dieses Gesetz aufdrücken könnte. Vielmehr lebt es als eines unter vielen Völkern im Großreich Persien. Nur der relativen Toleranz dieses Großreiches ist es zu verdanken, dass das Gesetz öffentlich gelesen und gelebt werden kann. Zu anderen Zeiten muss das Leben nach Gottes Gesetz ganz ohne diesen äußeren Halt auskommen.
  • Das Wort "Gesetz " hat nicht den Klang, den es hier haben sollte. Die jüdische Tradition spricht von der Thora, wenn sie das Gesetz des Mose meint. Es sind Gemeinschaftsregeln, Lebenshalt, Vision und Orientierung. Natürlich ist das, was in den ersten fünf Büchern der Bibel festgehalten ist, nicht eins zu eins für unser Leben anwendbar; muss es auch nicht, weil die Offenbarung der Heiligen Schrift weiter gegangen ist. Aber was der Thora zu Grunde liegt, ist heute so liebenswert wie ehedem: Gott kann unserem Leben Halt geben.

3. Dreifaltiger Gott

  • Gott wird nur zu gern als Mitstreiter für unsere Pläne in Anspruch genommen. Was ich mir von Gott erwarte und wünsche, kreist oft um meine Erwartungen und meine Wünsche. Das ist auch ganz in Ordnung. Auch dazu ermuntern uns die Heiligen Schriften des Alten und des Neuen Bundes. Aber es ist nicht alles. Schon das Vater Unser ist in der "wir"-Form gehalten. Die Erlösung findet im "wir" statt, nicht allein im "ich". Der Mensch steht nicht allein vor Gott, sondern in Gemeinschaft. Daher befreit uns Gott nicht als losgelöstes Individuum, sondern als Gemeinschaft. Ja, Gott befreit uns dazu, Gemeinschaft zu sein: sein auserwähltes Volk, auserwählt teilzuhaben an seiner Heiligkeit und Liebe.
  • Uns selbst in den Griff zu bekommen wäre schon viel. Gerade aber, wenn wir unser eigenes Leben in den Blick nehmen, können wir die vielfältigen sozialen Bezüge nicht ausblenden, in denen wir stehen und leben. Das beginnt bei den Menschen, mit denen wir vor Ort zusammen leben, und geht hin bis zur großen, medial moderierten, globalen Öffentlichkeit. Wer meint, sein Leben allein in den Griff zu bekommen und nicht darauf achtet, wie er sich zu anderen verhält, mit welchen anderen er sich umgibt und welcher Öffentlichkeit er sich aussetzt, wird scheitern. Für sich alleine kann keiner Christ sein.
  • Was wir von unserem Ursprung aus Gott her sind, ist Gemeinschaft. Der erste Schöpfungsbericht fasst das in die Urformel: "Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie." (Gen 1,27) Im Glauben an den dreifaltigen Gott wird deutlich, dass in der Erschaffung nach Gottes Abbild schon Gemeinschaft angelegt ist. Die ganze Heilige Schrift handelt davon, denn sie erzählt von dem Volk, zu dem Gott spricht und durch das sich Gott der Welt offenbart. Das Gesetz, nach dem wir als Gemeinschaft leben, ist daher Ort der Offenbarung Gottes. Es ist Geschenk, durch das wir teilhaben an dem einen Gott, der selbst die Liebe ist. Amen.