Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr A 2008 (1.Thessalonicherbrief)

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26. Oktober 2008 - Universitätsgottesdienst St. Antonius, Frankfurt

1. Ausgespannt

  • Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Ich muss nur auf den Kalender schauen, dann weiß ich welcher Tag gestern war und welcher morgen sein wird. Aber eigentlich weiß ich damit gar nichts. Ich weiß dadurch noch nicht, was die Vergangenheit für mich bedeutet und was die Zukunft, und wie das alles Bedeutung hat für mich heute. Ich lebe heute und muss heute meine Entscheidungen treffen.
  • Dabei habe ich Vergangenheit. Was ich in früher getan habe und wer ich früher gewesen bin, hat Spuren hinterlassen. Meine Mitmenschen haben sich ein Bild von mir gemacht, ob ich es will oder nicht. Mit meinen Entscheidungen habe ich Wege beschritten, die ich nicht zurück kann. Man kann ein zweites Studium anfangen, weil das erste nicht erfüllt. Aber zumindest die Jahre sind vergangen. Und mehr noch hat sich in meinen Charakter eingekerbt, was ich gewohnt bin zu tun. Ich bin, der ich geworden bin.
  • Die Zukunft ist Hoffnung und Gericht. Ja, ich hoffe, in der Zukunft Glück zu finden. Aber zugleich wird die Zukunft zeigen, was aus dem wird, was ich heute tue und was ich heute bin. Ob sich die Investitionen von jetzt einst auszahlen werden, oder ob alles sich als wertlos herausstellt, die Zeit wird es weisen. Die Zukunft ist daher immer auch das Gericht über die Gegenwart.

2. Eingebettet

  • In der Trias von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erschließt sich, wovon Paulus zu Beginn seines Briefes an die Tessalonicher schreibt. Er dankt der Gemeinde für ihr Glaubenszeugnis, durch das offenbar geworden ist "wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn vom Himmel her zu erwarten, Jesus, den er von den Toten auferweckt hat und der uns dem kommenden Gericht Gottes entreißt." Dahinter steht für Paulus die Trias von Glaube, Hoffnung und Liebe und die Trias von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Und wie immer ist das bei Paulus alles andere als abstrakte Theorie. In seinen Briefen hat Paulus immer die ganz konkrete Existenz der Christen im Visier.
  • Denn der Glaube reicht von der Vergangenheit in die Gegenwart. Das Evangelium verkündet ja die Gegenwart Gottes in seinem Sohn Jesus Christus und erkennt zugleich in Gott denjenigen, der die Welt erschaffen hat, sich ein Volk erwählt hat als sein Eigentum - Israel - und diesem Volk seine Barmherzigkeit erwiesen hat. Der Glaube setzt damit einen Kontrapunkt gegen einen Blick auf die Vergangenheit, der nur das eigene Tun und Lassen sieht oder nur das, was mich aus meiner menschlichen Bestimmtheit prägt, von den ererbten Genen über die ererbten Sitten und Unsitten, die Schulden, die mir meine Vorfahren hinterlassen haben und die Geschichte einer Menschheit, die den Krieg nie überwunden und den Hass nie begraben hat.
  • Dem gegenüber dürfen wir im Glauben die Spuren Gottes in der Vergangenheit sehen und uns dazu entscheiden, dieses Tun Gottes und nicht das der Menschen als das letztlich Entscheidende anzunehmen. Und genau dieser Glaube an die Treue Gottes ist der Grund christlicher Hoffnung, dass wir unser Glück finden, indem wir Gemeinschaft haben mit Gott. Und dies, nicht zuletzt, ist der Anker, der uns Halt gibt um in jedem Jetzt ganz aus der Liebe zu leben, die bleibt, wenn der Glaube zum Schauen geworden ist und sich die Hoffnung erfüllt.

3. Ausgerichtet

  • Zugleich spricht Paulus in diesen ersten Versen auch von Gott dem Vater, von Jesus Christus, dem Sohn, und vom Heiligen Geist. Wie nirgends wird hier deutlich, dass die christliche Rede von der Dreifaltigkeit nicht beliebige Zutat ist, sondern wesentlich. Die Tessalonicher haben den Glauben angenommen, dass Gott "Jesus, den von den Toten auferweckt hat und der uns dem kommenden Gericht Gottes entreißt." Dieser Satz ist überhaupt nur verständlich, wenn Jesus "eines Wesens mit dem Vater" ist (Credo).
  • Denn das Gericht und die Rettung geschieht durch denselben Gott. Beides aber ist Ausdruck von Gottes Liebe zu uns Menschen. Das Gericht ist die von Gott kommende Zukunft, die über unsere Gegenwart richtet. Angesichts des Leidens so vieler Opfer der Menschengeschichte ist dieses Gericht Barmherzigkeit. Es lässt den Schrei der Gequälten nicht verhallen. Gott stellt sich an die Seite derer, die Opfer sind. Zugleich aber ist Gott selbst in seinem Sohn der, der in der Auferstehung dieses Leid überwunden hat. Für Paulus ist Christsein daher, mit diesem Christus verbunden sein. Wer glaubt, dass der Gekreuzigte der Auferstandene und Herr ist, der kann loslassen. Er kann sich die Freiheit erlauben, ais dem Kreislauf der Vergangenheit auszusteigen, auch wenn er damit riskiert, nach menschlichen Maßstäben Verlust zu erleiden. In Jesus zu sein und das eigene Leben an das Leben Jesu zu binden, ist der Weg, um sich im Gericht über die Gegenwart ganz der Barmherzigkeit Gottes anzuvertrauen. Ganz paradox: Ich fang dann an mein Glück zu finden, wenn ich es loslasse und nicht mehr 'auf Teufel komm raus' mein Glück suche.
  • In Gottes Händen liegt meine Zeit und unsere Zeit. Diese Hände sind nicht passiv. Gott will uns formen durch diese Hände - wenn wir ihn lassen. Dazu sind wir hier. Dazu beten wir. Dazu singen wir. Dazu hören wir auf Gottes Wort und empfangen Christi Gegenwart im Sakrament. Das ist Gottes Gegenwart in unserer Gemeinschaft - Gottes HeiligerGeist. Dieser Geist formt Israel und alle die glauben, dass in der Liebe zu Gott und zum Nächsten "das ganze Gesetz samt den Propheten" ebenso hängt wie unsere Gegenwart, die sich ausstreckt nach dem Glück. Amen.