Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr B 2015 (Hebräerbrief)

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25. Oktober 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Von der Bedeutung des Tuns

  • Ich muss selbst etwas tun. Wie kaum eine andere Heilungsgeschichte betont das heutige Evangelium, wie wichtig es ist, auch selber tätig zu sein. Das Schreien, die ganze Energie, mit der Bartimäus auf sich aufmerksam macht, wird von der Bibel positiv gesehen. "Was soll ich dir tun?", fragt Jesus.
  • Heilung kann im Letzten nur geschehen, wenn ich selber es will. Auch jedwede wundersame Heilung ist nur dann von Dauer, wenn sie nicht nur von oben über mich kommt, sondern auch mit eigenem Tun verbunden ist (nicht zuletzt, weil auch meine eigene, freie Kraft von Gott geschenkt ist).
    Wenn Jesus Kranke heilt und Sünder beruft, dann sind das nicht zwei völlig verschiedene Dinge. Vielmehr sind Heilung von körperlicher Krankheit und Heilung von der Krankheit der Sünde ähnliche Vorgänge. Vor allem braucht es bei beiden Vorgängen das eigene Mittun des Kranken bzw. des Sünders.
  • Dies gilt dann auch ebenso bei der Vergebung, die unter Menschen stattfindet, wie bei der Vergebung von Sünden durch Gott. Es reicht nicht aus, dass der eine, dem Unrecht getan wurde, dem Täter vergibt. Es braucht auch das aktive Mittun dessen, dem vergeben wird. Nur so ist Heilung möglich. Wie Jesus dem Blinden von Jericho mit seiner Frage die Möglichkeit eröffnet, aktiv bei seiner Heilung mit zu tun, so ist es auch bei der Vergebung von Schuld.

2. Vom Sinn der Liturgie

  • Dass bei der Heilung einer körperlichen Krankheit der Kranke mit tätig sein muss, weiß heute sogar in der Schulmedizin jeder Arzt. Dass Sühne und Opfer wichtiges Mittun des Schuldigen im Prozess der Vergebung sind, haben wir Christen dagegen leider häufig vergessen. Dabei ist es von jeder biblischen Rede über Sühne und Opfer vorausgesetzt.
  • Keine Opfergabe der Gläubigen hat ihren Sinn darin, dass Gott etwas bräuchte. Das wäre absurd. Es ist umgekehrt: Gott lädt uns ein, am Prozess der Vergebung mitzuwirken. Gott selbst ist vor allem "gnädig und barmherzig", zutiefst versöhnlich. Seine Vergebung geht jedem Tun von unserer Seite voraus. Also geschieht die Einrichtung des religiösen Opfers - dort wo wir von Gott und nicht irgendwelchen Götzen reden - um des Menschen willen. Wir sollen nicht passive Empfänger bleiben. Es ist Gottes Liebe, die uns einlädt, mitzutun.
    [Ich erlaube mir einen gewagten Vergleich aus dem Fußball: Vergangene Woche siegte Hannover durch Handspiel-Tor in Köln. Der Spieler wusste, dass es Handspiel war, der Schiedsrichter aber hat es übersehen. Das Spiel mag nach formalen Regeln gewonnen sein; moralisch wäre es dennoch angemessen gewesen, dass der Spieler sein Handspiel meldet, statt einen erschlichenen Sieg einzuheimsen. Nun: Nehmen wir an, die Hannoverander würden das Unrecht ihres Verhaltens eingestehen (das ist immer Voraussetzung für Versöhnung); nehmen wir zweitens an, die Kölner wären großherzig und würden den Hannoveranern verzeihen; so wäre ein dritte Schritt, dass die Kölner den Hannoverranern erlauben, ihnen eine Runde Bier auszugeben. In der vom Schuldigen ausgegebenen und vom Opfer angenommenen Runde Kölsch könnte dann Versöhnung wirklich geschehen, weil Köln das Bier annimmt und zusammen mit den Hannoveranern auf Fairness im Fußball anstößt. - Das Heilige Messopfer ist also in dem Bild: Dass Gott uns erlaubt, eine Runde Brot und Wein auszugeben]]
  • Dass wir die Heilige Liturgie als Messopfer feiern, hat hier seinen Sinn. Denn in dieser Feier gehen menschliches und göttliches Tun zusammen. Das Tun Gottes ist seine Liebe, die er uns in Jesus erwiesen und offenbart hat. Seine Hingabe geht unserem Tun voraus. Aber in der Heiligen Messe werden wir aktiv Teilnehmende an dem, was von Gott her schon geschehen ist. Mit Brot und Wein bringen wir gemeinschaftlich symbolisch uns selbst vor Gott. Und was so "Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit" (Gabengebet) ist, das wird real zum Leib Christi inmitten seiner Kirche - Gottes Barmherzigkeit wird im Leib Christi unsere Speise.
    Deswegen kann der Hebräerbrief, aus dem die zweite Lesung heute genommen ist, Jesus als von dem Menschen genommenen Hohenpriester darstellen, von Gott erwählt, "zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen." Jesu eigene Hingabe wird in der Feier der Heiligen Messe gegenwärtig. Durch den Lobpreis und das Amen der Gemeinde bringt Christus selbst, der "Priester auf ewig", das Opfer dar.

3. Vom Opfer des Lobes

  • Das ist denn auch das überraschende am christlichen Opfer. Die Kirche hat immer betont, dass das eigentliche Opfer in der Heiligen Messe, der Lobpreis ist. Wer sich nur äußerlich etwas unter Opfer vorstellt, der würde sich das immer irgendwie als irgendeine Form von blutiger Schlachtung vorstellen. Mit diesem Missverständnis sähe der Katholische Ritus aus wie ein Fest des Masochismus.
  • Wer aber selbst erfahren hat, welch ein großes Geschenk es ist, nicht nur die Vergebung und Verzeihung als Zuspruch zu hören, sondern darauf antworten zu dürfen, der hat einen Zugang zu dem, was wir in jeder Heiligen Messe - auch - tun.
    [Uns sind diese Zusammenhänge in den letzten Jahren sehr bewusst geworden, als es der Institution der Kirche und vielen Christen in ihr zum ersten Mal so richtig klar wurde, in welchem Ausmaß Institutionen und Gemeinschaften denen schweren Schaden zugefügt haben, die als Kinder missbraucht worden waren und erleben mussten, dass ihr Leiden verdrängt und geleugnet wurde. Manchen der Opfer hat es geholfen, dass nun - oft sehr spät - öffentlich das Unrecht ausgesprochen wurde. Eine echte Wiedergutmachung durch den Täter und die Institution, aus der er kam und die es vertuschte, ist nicht möglich. Statt dessen wurde den Opfern die Zahlung einer Anerkennung für erlittenes Unrecht angeboten. Wir sind uns vielleicht nicht klar, welche Leistung der Vergebung seitens der Opfer darin steckt, eine solche Anerkennung zuzulassen und ein solches Mitwirken an der Versöhnung anzunehmen. Die Zahlung ist nicht Voraussetzung der Vergebung, sondern immer schon ihre Folge.]
  • In der Liturgie ist das Tun gemeinschaftlich und symbolisch. Das hat seine Risiken. Es kann Gruppenzwang entstehen und es kann missverstanden werden, als würde das symbolische, liturgische Tun das Tun im realen Leben ersetzen. Ich denke aber, es überwiegt das Positive: Die Liturgie, diese heilige Feier, ist ein befreiendes Einüben in eine Haltung, die dankbar mitwirkt an der Versöhnung Gottes und damit der Versöhnung untereinander den Weg öffnet. Amen.